Glaube, Hoffnung, Liebe und Gebet
Der Rosenkranz – ein Himmelsschlüssel
Ein Klosterbruder, auf dem Sterbebett von seinem Ordensobern befragt, ob er noch einen Wunsch habe, den er gern erfüllt sähe, erwiderte: „Keinen als den, daß man mir meinen Rosenkranz in den Sarg mitgebe“. Bei einem Klosterbruder aber, ja, bei jedem gläubigen Christen ist es fast selbstverständlich, daß er in seine Totenlade einen Rosenkranz mitbekommt. Darum mochte der Ordensobere gerne wissen, warum der sterbende Bruder gerade nur diesen Wunsch geäußert, der ihm ohnehin erfüllt würde. Er aber sagte, es habe ihm in der vorher gehenden Nacht geträumt, er sei abgeschieden von seinem Leibe, dem Himmelstore zugewandert und vor demselben mit einer Seele zusammen getroffen, die einen ganzen Bund Schlüssel bei sich hatte, und einen um den andern probierte, das Himmelstor aufzuschließen, aber umsonst, keiner wollte passen. In ihrer Not aber griff sie zu allerletzt noch zu ihrem Rosenkranz, um damit einen Versuch zu machen, das verriegelte Himmelstor zu öffnen. Und siehe da, was ihr mit keinem Schlüssel gelingen wollte, gelang ihr mit dem Kreuz am Rosenkranz. Dieser Seele also sei der Rosenkranz zum – Himmelsschlüssel geworden. Nun meinte der Klosterbruder, was jener Seele am Himmelstor aus der Verlegenheit geholfen und ihr den Himmel geöffnet habe, könne auch ihm helfen, zumal er keinen Schlüssel so zu drehen und zu handhaben wisse als seinen Rosenkranz, den er von Jugend auf fast täglich gebetet habe. Darum wolle auch er sich mit diesem Himmelsschlüssel versehen, damit, wenn ein anderer Schlüssel ihm das Himmelstor nicht öffne, er trotzdem nicht in Verlegenheit komme.
Nun dürfte es sich aber jedem Christen empfehlen, diesen klugen Rosenkranz-Beter nachzuahmen und sich ebenfalls mit dem Rosenkranz so vertraut zu machen, daß er ihn, wenigstens im Notfall, als Himmelsschlüssel zu gebrauchen wisse. Darum wollen wir einmal zusehen, ob denn der Rosenkranz auch wirklich alle Eigenschaften habe, die zu einem Himmelsschlüssel gehören.
Der hl. Johannes sagt in seiner Geheimen Offenbarung vom himmlischen Jerusalem, der ewigen Stadt Gottes. „Der Bau ihrer Mauer ist aus Jaspis; die Stadt selbst aber ist reines Gold, durchsichtig wie Glas; und ihre zwölf Tore sind zwölf Perlen, jedes Tor aus einer Perle; und auch die Gassen der Stadt sind reines Gold, wie durchscheinender Kristall“. Wo nun aber die Tore reine Perlen sind und, wie die Kirche beifügt, aus Saphir und Smaragd bestehen, da versteht es sich von selbst, daß auch die Schlüssel zu den Toren nicht aus ordinärem Metall, nicht aus gewöhnlichem Erz, sondern aus den kostbarsten Stoffen zusammen gesetzt und gearbeitet sein müssen. Wenn also der Rosenkranz ein wahrer Himmelsschlüssel ist, dann müssen sich in ihm die edelsten Metalle, die in dem schätzerischen Bergwerk des Christentums verborgen liegen, zusammen finden. Dem ist aber in der Tat so; der Rosenkranz ist zusammen gesetzt aus den kostbarsten Metallen und Edelsteinen, welche sich im Christentum vorfinden und zu einem Himmelsschlüssel eignen.
Dazu gehört vor allem der Glaube. Jetzt läuft die Welt voll von solchen, welche die Sucht nach irdischem Erwerb, die Gier nach sinnlichem Genuss und dabei eine widerliche Religions-Verachtung, ja, einen teuflischen Gotteshass in ihrer ganzen Haltung offen und ausgeprägt zur schau tragen, die da in einem fort lauern und auf Gelegenheit warten, um die ganze Verkommenheit ihrer gotteslästerlichen Seele in gehässigen, frivolen Reden, Zoten, Witzen, Spöttereien, Flüchen vor aller Welt auszustellen oder, wie der heilige Apostel Jakobus sagt, „ihre Schande auszuschäumen“. Man begegnet ihnen auf allen Spaziergängen, in allen Wirtshäusern, auf allen Bahnhöfen, in allen Wartesälen, in allen Postwagen, und vorab auf allen Hochschulen. Nun ist es aber ein schreckliches Unglück, dieser Menschensorte anzugehören: es sind Verbrecher, die von Gott bereits verurteilt sind. Denn Christus, der Richter der Lebendigen und der Toten, hat gesagt „Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet“, und das Urteil lautet: „Wer nicht glaubt, wird verdammt werden“… Und wahrlich, so hart dieses Urteil auch lautet, so ist es doch ganz gerecht; denn was tut der Ungläubige? Er schleudert durch seinen Unglauben unserm Herrgott die Beleidigung ins Gesicht. „Was du zu meinem Heile gelehrt, getan und gelitten hast, das glaube ich nicht!“ Das greift doch aber Gott in seinen herrlichsten Eigenschaften, in seiner Wahrhaftigkeit, seiner Heiligkeit und seiner Barmherzigkeit an. Der Ungläubige muss verdammt werden: Gott kann nicht anders, und er selbst will nicht anders. Deshalb ist auch der Glaube ein wesentlicher Bestandteil eines jeden Himmelsschlüssels: ohne Glaube wird keiner öffnen.
Nun wurde es aber schon weiter oben gesagt und wird weiter unten noch ausführlicher gesagt werden, daß der Rosenkranz nichts anders ist, als der Glaube mit besonderer Hervorhebung seiner größten Geheimnisse und seiner schönsten Taten, eine kurz gefaßte Übersicht der Gesta Dei per Jesum et Mariam, eine Übersicht der Großtaten Gottes, nicht durch die Franken, sondern durch Jesus, unsern Erlöser, und Maria, seine Mutter. Also haben wir im Rosenkranz den ersten wesentlichen Bestandteil eines Himmelsschlüssels, den Glauben…
Wer also einmal in die himmlische Stadt Gottes eingelassen werden will, muss von sich für sein Leben sagen können: credidi, ich habe geglaubt. Nun spricht ja aber der Glaube, und zwar der wahre, katholische Glaube, aus jedem Worte im Rosenkranz: da ist alles – Glaube, echter, unverfälschter Glaube. Wohl also dem, der den Rosenkranz liebt und betet, er besitzt in ihm einen gültigen Reisepaß, einen Vorweis, der am Himmelstor sicher respektiert wird.
Zu einem Himmelsschlüssel gehört sodann die Hoffnung… Ich wüßte nun aber kein Gebet, das so reichliche Hoffnung zu erwecken vermag, als der Rosenkranz: er gewährt Hoffnung den Gerechten, Hoffnung den Sündern, Hoffnung auf Verzeihung, Hoffnung auf Gnade, Hoffnung auf Auferstehung, Hoffnung auf ewiges Lebens. Im Rosenkranz also besitzen wir den zweiten Bestandteil eines Himmelsschlüssel, die Hoffnung; wer ihn zu seinem Lieblings-Gebet macht, mag herzhaft sprechen: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und ich werde auferstehen am jüngsten Tage, und ich werde in meinem Fleische meinen Gott schauen: diese Hoffnung ruht in meinem Busen!“
Zu einem Himmelsschlüssel gehört die Liebe. Ohne die Liebe kommt keiner in den Himmel! Aber es muss jene Liebe sein, auf welche das „Signalelement“, die Personal-Beschreibung paßt, welche ihr der Weltapostel … ausgestellt.
Nun wirkt ja aber der Rosenkranz auf das Herz, wie der Stahl auf den Feuerstein: man muss ihn schon unsäglich gedankenlos beten, wenn dabei nicht Funken der Liebe aus dem Herzen heraus springen sollen. Mag einer den gnadenreichen Rosenkranz beten und dabei im Geiste eine Wallfahrt zur Krippe nach Bethlehem machen, er wird, wofern er den Beweggrund erwägt, der den Sohn Gottes veranlaßte, in unser geistiges und leibliches Elend nieder zu steigen und Mensch zu werden, nämlich seine Liebe, unendlich in jeder Richtung, unendlich in ihrer Länge und Breite, in ihrer Höhe und Tiefe, er wird nicht anders sagen können als:
Nimm mein hartes Herz und lege
Es in deines Herzens Glut,
Daß sich Dank und Liebe rege
Und der Reuetränen Flut.
Nur für dich soll es noch schlagen,
Kämpfen, leiden für und für,
Jeder Herzschlag soll dir sagen:
Dank und Liebe ewig dir!
Oder mag einer den schmerzenreichen Rosenkranz beten, und dabei betrachtend den leidenden Erlöser von Station zu Station, bis hinauf auf Golgatha, begleiten, er wird, wofern er sich alles mit ansieht, was sein Heiland für ihn tut und leidet, opfert und zahlt, ausrufen müssen:
Laß mich knie`n zu deinen Füßen,
Herr, die Liebe bricht mein Herz,
Laß in Tränen mich zerfließen,
Selig sein in Kreuz und Schmerz!
Oder mag einer den glorreichen Rosenkranz beten und seinem Erlöser in seinem Siegeslauf, seinem Triumphzug bis in den Himmel hinein folgen, er wird, wofern er den Herrn in seiner Herrlichkeit zur Rechten des Vaters schaut und das ewige Alleluja hört, das ihm die Engelchöre und alle Heiligen singen, in Sehnsucht und Himmels-Heimweh entbrennen und sprechen:
Ach, Heiland, allen Erdentand
Reiß selbst aus meiner Brust!
Der Himmel ist mein Vaterland,
Und du sei meine Lust!
Im Rosenkranz also besitzen wir ein drittes, überaus kostbares Stück zu einem Himmelsschlüssel, die Liebe: ihrem Drang vermag weder Schloß noch Riegel zu widerstehen, wenn es jener Drang ist, von dem geschrieben steht: „Die Liebe zu Christus drängt uns!“
Zu einem Himmelsschlüssel gehört das Gebet, oder dies ist schon für sich allein ein Himmelsschlüssel. Wir haben zum Beweise dafür das Wort des Heilandes: Pulsantibus aperietur, den Anklopfenden wird aufgetan werden. Wer sind sie denn aber, diese Anklopfenden? Ei jene, die da beten, aber mit Demut und Andacht beten, mit Vertrauen und Ergebung beten, mit Ausdauer und Beharrlichkeit beten. Der also hat recht, der sagt:
Nach oben musst du blicken,
Gedrücktes, wundes Herz,
Dann wandelt in Entzücken
Sich bald dein tiefster Schmerz.
Froh darfst du Hoffnung fassen,
Wie hoch die Flut auch treibt;
Du bist noch nicht verlassen,
Wenn das Gebet dir bleibt.
Jawohl, den Betenden wird aufgetan werden, das Gebet ist ein Himmelschlüssel. Der Rosenkranz ist aber nichts anders als ein herrlicher Blumenstrauß, zusammen gesetzt aus den schönsten Gebeten, welche die christliche Religion besitzt.
Der Rosenkranz ist also, man mag ihn betrachten, von welcher Seite man will, ein recht bewährter und zuverlässiger Himmelsschlüssel: er wird denen, die sich seiner bedienen, einmal sicher öffnen. –
aus: Philipp Hammer, Der Rosenkranz, eine Fundgrube für Prediger und Katecheten, ein Erbauungsbuch für katholische Christen, I. Band, 1896, S. 60 – S. 68
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