Das Geheimnis des kostbaren Blutes Jesu
Das kostbare Blut wurde unmittelbar von der göttlichen Person unseres Herrn aus seiner unbefleckten Mutter angenommen.
Es wurde nicht bloß von seinem Leib angenommen, so daß sein Leib direkt von der Person des Wortes angenommen wurde, sein Blut aber nur indirekt oder mittelbar als Teil seines Leibes. Das Blut, das der vorher bestimmte Preis unserer Erlösung war, ruhte direkt und unmittelbar auf der göttlichen Person und ging so den höchsten und unaussprechlichsten Grad der hypostatischen Vereinigung ein, wenn wir in einem so anbetungswürdig einfachen Geheimnis von Graden sprechen können.
Es war nicht bloß ein Begleiter des Fleisches, ein unzertrennliches Akzidenz des Leibes. Das Blut selbst als Blut wurde unmittelbar von der zweiten Person der heiligsten Dreifaltigkeit angenommen.
Es kam auch von Mariä Blut. Mariä Blut war das Material, aus dem der Heilige Geist, die dritte Person der heiligsten Dreifaltigkeit, der Künstler der heiligen Menschheit, das Blut Jesu bildete.
Hier sehen wir, wie notwendig zur Freude unserer Andacht die Lehre von der unbefleckten Empfängnis ist. Wer könnte den Gedanken ertragen, daß die Materie des kostbaren Blutes jemals selbst durch die Makel der Sünde verdorben, daß es einst ein Teil von Satans Reich gewesen sei, daß, was den freien preis unserer Erlösung bilden sollte, einst in der Sklaverei des schwärzesten und häßlichsten Feindes Gottes war?
Ist es nicht in der Tat ein endloser täglicher Jubel für uns, daß die Kirche uns als einen Artikel des Glaubens jene süße Wahrheit auferlegt hat, die die Instinkte unserer Andacht schon so lange zu einem wirklichen Teil unsers Glaubens gemacht hatten?
Überdies gibt es einen Teil des kostbaren Blutes, der einst Mariä eigenes Blut war und noch in unserm Herrn bleibt, unglaublich erhöht durch die Verbindung mit seiner göttlichen Person, aber doch immer derselbe ist. Dieser Teil von Ihm durfte, wie der fromme Glaube sagt, die gewöhnlichen Veränderungen der menschlichen Substanz nicht erleiden. In diesem Augenblick behält Er im Himmel noch etwas bei, was einst seiner Mutter gehörte und was möglicher Weise als solches den Heiligen und Engeln sichtbar ist. Er ließ sich in der Messe herab dem heiligen Ignatius gerade den Teil der Hostie zu zeigen, der einst der Substanz Mariä angehört hatte. Er hat vielleicht eine ausgezeichnete und besondere Schönheit im Himmel, wo es durch Seine Erbarmung einst unser glückseliges Los sein kann ihn zu sehen und anzubeten.
Allein mit Ausnahme dieses Teiles von Ihm war das kostbare Blut etwas Zunehmendes. Es nahm zu, wie Er zunahm an Leibesgröße und Alter. Es wurde genährt von der Brust seiner Mutter. Es wurde von der irdischen Nahrung gespeist, die Er zu nehmen sich herabließ. Während seiner dreiunddreißig Jahre empfing es tausenderlei Vermehrungen.
Aber jede dieser Vermehrungen wurde unmittelbar von seiner göttlichen Person angenommen. Es wurde nicht bloß verdünnt durch das, was schon vorher vorhanden gewesen. Es nahm nicht in geringerem Grade an der hypostatischen Einigung Teil. Der letzte Tropfen Blutes, der in Ihm nach den Gesetzen des menschlichen Lebens hervor gebracht wurde, vielleicht während Er am Kreuze hing, war gleich erhaben, gleich göttlich, gleich anbetungswürdig wie die ersten unschätzbaren Tropfen, die Er von seiner gebenedeiten Mutter empfing.
Unser teuerster Herr war vollkommen und wahrhaft Mensch. Er war Fleisch von unserm Fleisch und Bein von unserm Bein und seine unvergleichliche Seele, obgleich unvergleichlich, war einfach und wahrhaftig eine menschliche Seele. Alles in seiner menschlichen Wesenheit war so erhaben durch die Vereinigung mit seiner göttlichen Person, daß es anbetungswürdig war.
Und doch war es nur sein Blut, das die Welt erlösen sollte, es war nur sein Blut, das durch Vergießung uns erlösen sollte; es war nur sein Blut, das vergossen im Tode, der Preis unserer Erlösung sein konnte.
Das Blut, vergossen bei der Beschneidung war anbetungswürdig; das Blut, vergossen in Gethsemane, war anbetungswürdig. Wenn es wahr ist, was einige beschauliche Seelen in der Vision gesehen haben, daß Er Blut schwitzte zu verschiedenen Zeiten in seiner Kindheit, weil Er im Geiste die Sünde und seines Vaters Zorn schaute, dann war auch dieses Blut anbetungswürdig.
Aber es war das am Kreuze vergossene Blut oder wenigstens das Blut, das im Verlauf des Sterbens vergossen wurde, was das Lösegeld unserer Sünden war.
In den ganzen drei Tagen der Passion blieb all sein Blut, wo immer es vergossen und verspritzt wurde, von seiner Gottheit angenommen, in Vereinigung mit seiner göttlichen Person, gerade wie sein seelenloser Leib, und war deshalb mit göttlicher Anbetung ebenso zu verehren wie der lebendige und ewige Gott.
Bei der Auferstehung als sein kostbares Blut durch den Dienst der Engel gesammelt worden war und Er es noch einmal mit seinem Leib vereinigte, während Er auferstand, wurde etwas davon nicht wieder aufgenommen. Es geschah vielleicht zum Trost seiner Mutter oder zur Bereicherung der Kirche mit den unschätzbarsten Reliquien.
Dies war der Fall mit dem Blut am Schleier der Veronika, mit dem heiligen Grabtuch, mit einigen Teilen des Kreuzes und mit den Dornen und Nägeln.
Allein dieses Blut, das bei der Auferstehung nicht wieder angenommen wurde, verlor sein Recht auf absolute Anbetung und wurde nur eine ungemein heilige Reliquie, die sehr hoch zu verehren, aber nicht als göttlich anzubeten war wie das Blut Gottes. Es war nicht länger ein Teil von Ihm.
Aber das Blut im Kelch ist das Blut des lebendigen Jesus im Himmel. Es ist das Blut, das in der Passion vergossen, bei der Auferstehung wieder angenommen, bei der Auffahrt in den Himmel getragen und daselbst in seiner vollendeten Glorie und verschönerten Unsterblichkeit zur rechten Hand des Vaters gesetzt wurde. So ist es das wahre Blut Gottes und es ist das Ganze seines Blutes, das jenen Teil enthält; den Er ursprünglich von Maria angenommen.
Das wunderbarliche Blut ist nicht das kostbare Blut. Auch ist es nicht wie das Blut der Passion, das nicht wieder angenommen wurde; denn dieses war einst kostbares Blut gewesen und hatte nur aufgehört es zu sein durch den besondern Willen unseres Herrn, nachdem Er es bei der Auferstehung nicht wieder annehmen wollte.
Die Hostie hat bei der Messe auf wunderbare Weise geblutet, um den Glauben der Menschen zu bestärken oder eine Umwandlung in ihrem Leben hervor zu bringen. Sie hat in den Händen von Juden und Irrgläubigen geblutet, wie um den Gottesraub zu rächen und ihren Seelen einen Schrecken einzujagen, gleich der heftigen Furcht, die Jerusalem bei der Passion befiel. Kruzifixe haben Blut geschwitzt um Sünder zu bekehren oder um ein öffentliches Unglück vorher zu verkünden oder um sinnbildlich die unaufhörliche Teilnahme unseres Herrn mit seiner leidenden Kirche zu zeigen.
Aber dies ist nicht das kostbare Blut, noch ist es jemals kostbares Blut gewesen. Es hat nie in unserem Herrn gelebt. Es ist hoch zu verehren, insofern es ein wunderbares Erzeugnis Gottes ist, und es spricht besonders die Verehrung der Gläubigen an, weil es dazu bestimmt wurde figürlich das kostbare Blut darzustellen.
Wenn der Engel, der um Mitternacht über Ägypten hinzog, um die Erstgeburt zu schlagen, das an die Türpfosten der Israeliten gesprengte Blut des Passah-Lammes mit heiliger Scheu verehrte, bloß weil es ein Vorbild des Blutes Jesu war, wie viel mehr sollten wir das wunderbarliche Blut verehren, das aus der Hostie und aus dem Kruzifix hervor dringt, da es etwas höheres und heiligeres ist als das symbolische Blut der Tiere! Und doch ist es nicht das kostbare Blut, noch ist ihm göttliche Anbetung zu erweisen.
Je mehr wir über das kostbare Blut nachdenken, um so deutlicher erscheint es als eine Erfindung der unendlichen Liebe. Während wir uns bemühen es mehr zu verstehen, scheint unser Verständnis dafür abzunehmen.
Aber es ist auch eine merkwürdige Offenbarung von der Entsetzlichkeit der Sünde. Neben einer praktischen Erkenntnis Gottes gibt es nichts, was zu wissen und wirklich zu erkennen, für uns nützlicher wäre als die außerordentliche Sündhaftigkeit der Sünde. Je tiefer diese Erkenntnis ist, desto höher wird das Gebäude unserer Heiligkeit sein. Daher ist ein wahres Verständnis der furchtbaren Schuld und Schande der Sünde eine der größten Gaben Gottes.
Aber in Wirklichkeit ist diese Offenbarung von der Sündhaftigkeit der Sünde nur eine andere Art von Offenbarung Gottes. Nach der Höhe seiner Vollkommenheiten bemessen wir die Tiefen der Sünde. Ihr Gegensatz zu seiner unaussprechlichen Heiligkeit, die Größe ihres Frevels gegen seine glorreiche Gerechtigkeit und die Innigkeit seines Hasses gegen sie offenbaren sich durch die Unendlichkeit des Opfers, das Er forderte. Wenn wir es versuchen uns vorzustellen, was wir von Gott und der Sünde gedacht haben würden, wenn Jesus sein Blut nicht vergossen hätte, dann werden wir sehen, was für eine Quelle himmlischer Wissenschaft, was für ein Aufleuchten einer übernatürlichen Offenbarung das kostbare Blut für uns gewesen ist. –
aus: Frederick William Faber, Das kostbare Blut oder der Preis unserer Erlösung, 1920, S. 34 – S. 41