Über die religiöse Macht der christlichen Eltern
Die hl. Felicitas bekannte mit vollster Überzeugung den Grundsatz: „Was kann ich meinen Söhnen Besseres geben als den Himmel?“ Sie hätte auch noch den andern Teil dieses Grundsatzes beifügen dürfen. „Was kann Vater oder Mutter ihren Kindern Schlechteres geben, als die Hölle?“ Ist dieser Grundsatz aber auch wahr? Ist die Macht der Eltern so groß, so weitreichend, daß es von ihrem Willen, von ihrer Entscheidung abhängt, ihre Kinder in die Herrlichkeit des Himmels hinauf zu heben, oder in die Schrecknisse der Hölle hinab zu stürzen? Ja, antwortet die Geschichte; ja, antwortet die tägliche Beobachtung; und zwar aus folgenden zwei Gründen:
1. Ein Kind ist eben ein Kind, ein sehr schwächliches, hilfsbedürftiges Wesen. Und seine größte Hilfsbedürftigkeit ist darin begründet, daß es so ganz unwissend auf die Welt kommt, daß es Alles erst lernen muss, das Essen, das Stehen, das Gehen, das Reden, das Sichankleiden… Selbstverständlich muss es um so notwendiger lernen, daß es für Gott und für den Himmel erschaffen sei, daß und wie es beten, Gott lieben und dienen, die Sünde verabscheuen und die Gefahren dazu fliehen soll. Das Kind ist eben ein Kind, sagt der hl. Basilius, zart und bildsam wie weiches Wachs, aus dem die Hand der Eltern einen Seligen des Himmels oder einen Verdammten der Hölle formen kann. Das Kind ist eben ein Kind, einem jungen Bäumchen im Garten der Familie gleich, sagt der hl. Chrysostomus, und von der Sorge des Gärtners hängt es ab, ob es verkümmere oder krumm oder gerade und schön aufwachse. Das Kind ist eben ein Kind und nimmt die Belehrung und Zucht so auf, wie sie ihm geboten wird, unfähig zu unterscheiden, was gut oder böse ist. Und eben weil die ersten Einwirkungen und Eindrücke auf das Kind so mächtig und entscheidend sind für Zeit und Ewigkeit, deswegen stellt sich Jesus an die Seite des Kindes und bittet: „Was ihr den Kleinen tut, das habt ihr Mir getan; aber wehe demjenigen, der eines der Kleinen ärgert! Es wäre ihm besser, man würde ihm einen Mühlstein an den Hals hängen und ihn in die Tiefe des Meeres versenken“ (Matth. 18) – eine Strafe, die nur über die abscheulichsten Mörder verhängt wurde.
2. Die Eltern sind die ersten und wirksamsten Lehrer und Erzieher des Kindes. Diese Wahrheit bedarf wohl keines Beweises. Denn wer weiß nicht, daß Gott ein unerschöpfliches Maß von Liebe, von wohlwollender, geduldiger, beharrlicher, opferwilliger Liebe gegen die Kinder in das Vater- und Mutter-Herz hinein gelegt hat! Diese unergründliche Liebe zwingt die christlichen Eltern, ihre Kinder als diejenigen zu lieben, die sie sind, d. h. zu lieben nicht bloß als ihr Fleisch und Blut, als ihre künftige Stütze und Ehre und als die Erben ihres Adels und ihrer Güter, sondern als die durch das kostbare Blut Jesu Erlösten, als die Kinder des himmlischen Vaters, als die lebendigen Tempel des heiligen Geistes, als die berufenen Erben des Himmelreiches. Diese Liebe zwingt sie, das ihnen mitgeteilte übernatürliche Leben des Glaubens, der Hoffnung, und der Liebe zu nähren, zu pflegen, fruchtbar zu machen. Diese Nahrung und Pflege wird auch vom Kindesherzen am liebsten angenommen und am willigsten genossen. Die Sprache des Vaters und der Mutter wird vom Kind am besten verstanden, ihre Lehren sind ihm die höchste Wahrheit, ihre Beispiele die kräftigste Autorität und ihre Religiosität wird sich unfehlbar im Herzen des Kindes ab- und ausdrücken. Deshalb, ihr christlichen Eltern, gebt, wie die hl. Felicitas, euern Kindern das Beste – den Himmel! –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 520 – S. 521
Christliche Eltern haben immer einen schweren Kampf zu bestehen, daß sie bei der Erziehung ihrer Kinder die natürliche Liebe zu ihnen der Liebe zu Jesus und ihrem Seelenheil unterordnen. Nur wenige Mütter lieben, wie die heilige Felicitas, ihre Kinder, daß sie lieber deren Tod wünschen, als sie durch eine Sünde in der Welt glücklich zu sehen…. Anstatt zum Himmel, verhelfen sie ihnen dadurch zur Hölle, weil sie aus natürlicher Liebe ihrem Eigenwillen und bösen Neigungen nichts versagen…
Beherzigung für die christlichen Kinder
Wie glückselig sind die sieben Söhne, die eine so heilige Mutter hatten! Allein was hätte ihnen die Heiligkeit der Mutter genützt, wenn sie deren Ermahnungen und Beispiel nicht befolgt hätten? Christliche Kinder! hat euch Gott solche Eltern gegeben, die für euer Heil sorgfältig sind, so nehmt ihre Ermahnungen und Bestrafungen bereitwillig an; gehorcht ihnen und bekehrt euch selbst zur Nachfolge Jesu dadurch, daß ihr nach seiner Lehre durch Mitwirkung mit der Gnade die Eigenliebe und die natürlichen Neigungen beherrscht. Auf diese Weise werdet ihr euch mit euern Eltern einst ewig im Himmel erfreuen. Im Gegenteil befinden sich viele Kinder in der Hölle und verfluchen und verwünschen ihre Eltern ohne Unterlaß, weil diese ihnen zu viel Freiheit gestattet, ihre Fehler nicht bestraft, sie zum Guten nicht angehalten, oder durch böses Beispiel und Gespräch zum Bösen verleitet haben, und so die Ursache ihrer Verdammung geworden sind. Gleichfalls verfluchen die Eltern ihre Kinder wegen ihres Ungehorsams. Willst du einst nicht ewig in der Hölle leiden, so gehorche dem Befehl Gottes, der also lautet: „Du Mein Sohn!“ (meine Tochter), „höre auf die Lehre deines Vaters, und verlasse nicht das Gesetz deiner Mutter.“ (Sprichw. 1,8) –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 536 – S. 537