Wie überaus notwendig das kostbare Blut Jesu ist
Laßt uns die Welt ohne sein kostbares Blut betrachten.
In den ersten Jahrhunderten der Erde, während die ursprünglichen Erzählungen vom Paradiese noch frisch und stark waren und als Gott von Zeit zu Zeit sich auf übernatürliche Weise offenbarte, entfernte sich die Welt so schnell von Gott, daß ihre Sünden eine ungeheure Größe anzunehmen begannen. Es war eine vollständige Verwirrung aller sittlichen Gesetze und Pflichten. Es herrschte eine solche Kühnheit der Ruchlosigkeit, daß die Menschen Gott offen Trotz boten und den Himmel zu stürmen drohten.
Er schickte auffallende Gerichte über sie, aber sie wollten sich nicht bekehren lassen. Die Heilige Schrift stellt uns sehr nachdrücklich mit einem menschlichen Ausdruck die schreckliche Natur ihrer Missetaten vor. Sie sagt, daß es den Ewigen reute getan zu haben, was er zu tun von Ewigkeit beschlossen hatte, daß es Ihn reute den Menschen geschaffen zu haben.
Endlich öffnete die göttliche Gerechtigkeit die Schleusen des Himmels und vernichtete alle Bewohner der Erde, acht Personen ausgenommen, wie wenn der Strom des Bösen nicht anders gedämmt werden könnte.
Dies ist für uns eine göttliche Offenbarung von der Natur und dem Charakter des Bösen. Es vervielfältigt sich; es strebt riesengroß zu werden und sich jeder Schranke zu entziehen. Es wächst immer zu einer offenen Empörung gegen die Majestät Gottes heran. Überall auf der Erde kämpft das kostbare Blut dieses Böse im Einzelnen nieder. Auf alle Äußerungen des Bösen wirkt die Tätigkeit des kostbaren Blutes unaufhörlich ein. Zu keiner Zeit und an keinem Ort ist es ganz unwirksam.
Laßt uns betrachten, was die Welt für ein Aussehen hätte, wenn das kostbare Blut sich von diesem unaufhörlichen Kriege mit dem Bösen zurückzöge.
Es ist klar, daß Millionen von Sünden an einem Tage durch das kostbare Blut verhindert werden; dies ist nicht bloß eine Verhinderung von so vielen einzelnen Sünden, sondern es ist ein unermeßlicher Druck auf die Kraftäußerung der Sünde.
Wenn also die Tätigkeit des kostbaren Blutes sich aus der Welt zurück zöge, dann würden die Sünden nicht nur unberechenbar an Zahl zunehmen, sondern die Tyrannei der Sünde würde sich fruchtbar vermehren und unter einer größeren Zahl von Menschen verbreiten. Sie würde so kühn werden, daß niemand sicher wäre vor den Sünden anderer. Es wäre ein beständiger Kampf oder eine kaum mehr zu leistende Wachsamkeit notwendig um Rechte oder Eigentum zu sichern. Falschheit und Lüge würden so allgemein werden, daß sie beinahe die Bande der Gesellschaft auflösten und der trauliche Herd des Familienlebens würde sich entweder in die Zelle eines Gefängnisses oder eines Tollhauses verwandeln.
Wir können uns nicht in der Gesellschaft eines schweren Verbrechers aufhalten ohne ein Gefühl des Unbehagens und der Furcht. Wir möchten nicht gerne mit ihm allein gelassen sein, selbst wenn seine Ketten nicht gelöst wären.
Aber ohne das kostbare Blut würde es solche Menschen im Überfluss in der Welt geben. Sie könnten sogar die Mehrheit werden.
Wir wissen von uns selbst, aus Blicken, die Gott manchmal im Leben uns in unser Inneres werfen ließ, was für unglaubliche Möglichkeiten der Schlechtigkeit wir in unsern Seelen haben. Die Zivilisation vermehrt diese Möglichkeiten. Die Erziehung vervielfältigt und vergrößert unsere Fähigkeiten zu sündigen. Die Verfeinerung fügt eine frische Bösartigkeit hinzu. Die Menschen würden so teuflisch böse werden, bis zuletzt die Hölle diesseits des Grabes wäre.
Es würde auch ohne Zweifel neue Arten von Sünde geben und schlimmere Arten. Die Erziehung würde für die Neuheit sorgen, die Verfeinerung würde sie bis zum Übernatürlichen steigern.
Alle hoch verfeinerten und üppigen Entwicklungen des Heidentums haben für diese Wahrheit fürchterliche Beispiele geliefert. Ein bösartiger Barbar ist wie eine Bestie. Seine wilden Leidenschaften sind gewalttätig, aber nur zu Zeiten, und seine Notwendigkeiten zu sündigen scheinen nicht zuzunehmen. Ihr Kreis ist beschränkt.
Aber auch ein hoch gebildeter Sünder ohne die Schranken der Religion gleicht einem Dämon. Seine Sünden sind weniger auf ihn selbst beschränkt. Sie ziehen andere in ihr Elend hinein. Sie fordern, daß andere ihnen gleichsam zum Opfer gebracht werden. Überdies pflanzt die Erziehung, wenn man sie einfach als eine Kultur des Verstandes betrachtet, die Sünde fort und macht sie mehr allgemein.
Die Zunahme der Sünde ohne die Aussichten, die der Glaube uns eröffnet, muss zur Vermehrung der Verzweiflung führen und zwar zu einer Vermehrung nach einem riesenhaften Maßstab. Mit der Verzweiflung muss Wut, Wahnsinn, Gewalttat, Aufruhr und Blutvergießen kommen.
Aber von welcher Seite her könnten wir Trost erwarten in diesem schrecklichen Leiden?
Wir würden auf unserm eigenen Planeten wie eingekerkert sein. Der blaue Himmel über uns wäre nur das Dach eines Gefängnisses. Der grüne Rasen unter unsern Füßen wäre wirklich die Decke unseres künftigen Grabes.
Ohne das kostbare Blut gibt es keinen Verkehr zwischen Himmel und Erde. Das Gebet wäre unnütz. Für unser unglückliches Los gäbe es kein Heilmittel…
Ebenso würde in dieser imaginären Welt der üppig wuchernden Sünde keine Motive zur Geduld geben. Denn der Tod wäre unser einziger Trost, aber er wäre nur ein scheinbarer Trost; ist doch der Tod etwas anderes als ein ewiger Schlaf. Unsere Ungeduld würde Wahnsinn werden, und wenn unsere Leibesbeschaffenheit stark genug wäre um zu verhüten, daß der Wahnsinn in vollständige Tollheit ausartete, würde er zu einem Haße Gottes werden, der vielleicht nicht so ungewöhnlich ist, als wir meinen.
Eine Erde, aus der aller Sinn für Gerechtigkeit verschwunden wäre, wäre in der Tat der trostloseste Aufenthalt. Die Erde vor der Sündflut zeigt nur eine Neigung nach dieser Richtung hin; das Nämliche gilt von den schlimmsten Formen des Heidentums.
Das kostbare Blut war immer da. Ungenannt, unbekannt und unvermutet hat das Blut Jesu jede Äußerung des Bösen gemildert, die jemals hervor trat, gerade wie es noch zu dieser Stunde die Strafen der Hölle lindert.
Was wäre unser eigenes Los im Einzelnen auf einer so verdorbenen Erde?
Alle unsere Kämpfe besser zu werden wären einfach hoffnungslos. Es wäre kein Grund vorhanden, warum wir uns nicht jeder Art von Genuss hingeben sollten, den unsere Verdorbenheit wesentlich in der Sünde findet.
Die Befriedigung unserer sinnlichen Triebe ist etwas, und dies liegt auf der einen Seite, während auf der andern absolut nichts ist. Aber wir würden den Wurm des Gewissens bereits spüren, wenn auch die Flammen der Hölle noch einige Jahre entfernt blieben. Fühlen, daß wir Toren sind, und dennoch der Kraft ermangeln weiser zu sein, ist nicht gerade dies zum Rasend-Werden?
Und doch würde es in einer Welt, wo es kein kostbares Blut gäbe, nebst den Vorwürfen des Gewissens unser normaler Zustand sein. Was wir noch sittlich Gutes an uns hätten, würde unser Elend aufs empfindlichste vermehren.
Gute Menschen, wenn es solche gäbe, wären, wie der heilige Paulus sagt, unter allen die elendesten. Denn sie würden vom Genuß dieser Welt weg gezogen werden oder deren Genuss würde für sie durch ein Gefühl der Schuld und Schande vermindert sein, und es gäbe keine andre Welt, nach der sie streben oder für die sie arbeiten könnten. Die Heftigkeit unserer Hölle zu mindern ohne ihre Ewigkeit abzukürzen, wäre kaum ein zwingender Grund, wenn die Versuchungen der Sünde und die Lockungen der Sinnlichkeit so lebhaft und so stark sind. –
aus: Frederick W. Faber, Das kostbare Blut oder Der Preis unserer Erlösung, 1920, S. 58 – S. 63