Der gottselige Hermann von Reichenau mit dem Zunamen der Lahme oder Kontraktus
Verfasser des Salve Regina
Er wurde im Jahre 1013 geboren, und war schon von Geburt aus an allen Gliedern gelähmt, so daß er nie gehen, sondern fast sein ganzes Leben sitzend zubringen musste. Wollte er sich von einem Ort zum andern begeben, so musste man ihn stützen und tragen. Sein Rücken war gekrümmt. Wollte er lesen oder schreiben oder sonst etwas tun, so vermochte er es nur mit der größten Anstrengung. –
Was ihm aber der liebe Gott an Körpergestalt an dem Gebrauch, der Glieder genommen hatte, das ersetzte er ihm an Geistes-Schärfe und Willenskraft. Seine Eltern gaben ihn in einem Alter von sieben Jahren zur Unterweisung in den Kenntnissen und Wissenschaften, zu deren Erlernung er großes Geschick zeigte, in das Kloster Reichenau in der Schweiz, wo Jünger des heiligen Benedikt eine berühmte Schule hatten. Darin zeichnete er sich durch Frömmigkeit und Gelehrigkeit aus, so daß er, ungeachtet seiner Gebrechlichkeit, die Profess ablegen durfte. –
Von nun an beschäftigte er sich unausgesetzt in seiner Zelle mit Gebet und dem Abfassen schöner und nützlicher Bücher. Seine Schmerzen und Leiden, die ihn nicht verließen, ertrug er mit unerschütterlicher Geduld; doch hegte er noch immer den geheimen Wunsch, von seinem Übel befreit zu werden, und den vollen Gebrauch seiner Glieder wieder zu erhalten. Von Kindheit an war er schon gewohnt, die allerseligste Jungfrau mit kindlichem Vertrauen zu verehren. Er rief sie deshalb mit heißer Inbrunst um ihre Fürbitte an, damit er die längst entbehrte Gesundheit wieder erlangen möchte. –
Allein ungeachtet seines großen Vertrauens und seines innigen Flehens fand er doch keine Erhörung. Er blieb kontrakt und kränklich sein Leben lang. Doch sein Gebet blieb nicht ohne Frucht. Maria flößte ihm bei all seinen Leiden einen heiteren und ungetrübten Geist und besonders eine wunderbare Klarheit und Einsicht in der Wissenschaft des Heils. Zum Dank hierfür, zu seinem und aller Betrübten und Leidenden Trost verfaßte er das wunderbar liebliche, allbekannte Gebet „Salve Regina“, welches also lautet:
Gegrüßet seist du, Königin, Mutter der Barmherzigkeit,
unser Leben, unsere Süßigkeit, unsere Hoffnung, sei gegrüßt!
Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas!
Zu dir seufzen wir trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen.
O wende denn du, unsere Fürsprecherin! Deine mitleidigen Augen zu uns,
und nach diesem Elend zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes! –
Die Worte „O milde, o gütige, o süße Jungfrau Maria!“ hat der heilige Bernhard später hinzu gesetzt, wie in seinem Leben erzählt wird.
Der gottselige Hermann war also der Erste, aus dessen liebeglühender Brust dieses trostreiche Gebet zum Thron der hohen Himmelskönigin empor stieg, und seitdem haben es mit Wonne im Herzen Millionen gebetet, die heilige Kirche hat es unter ihre öffentlichen Gebete aufgenommen, und seinen Inhalt gutgeheißen. – Hermann wurde 41 Jahre alt und starb gottselig im Herrn. (Trithemus.) –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Erster Teil, 1869, Sp. 259 – Sp. 260
Salve Regina – Gegrüßt seist du, Königin – Gregorianik
Salve Regina, mater misericordiae;
vita, dulcedo et spes nostra, salve.
Ad te clamamus exsules filii Hevae.
Ad te suspiramus gementes et flentes in hac lacrimarum valle.
Eja ergo, advocata nostra, illos tuos misericordes oculos ad nos converte.
Et Jesum, benedictum fructum ventris tui, nobis post hoc exsilium ostende.
O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria.