Heiligenkalender
22. Mai
Die heilige Humilitas Äbtissin
(Der Schutzengel)
Sie war die einzige Tochter sehr reicher Eltern, welche es höchst ungern sahen, wie dieselbe schon in früher Jugend Alles gering achtete, was der Reichtum gewähren kann. Insbesondere machte es den Eltern Kummer, daß Humilitas so entschiedene Neigung zeigte, in ein Kloster einzutreten. Im Jahr 1242 wurde die italienische Stadt Faventia, wo Humilitas zu Hause war, vom Kaiser Friedrich eingenommen. Ein Verwandter des Kaisers hörte von der außerordentlichen Schönheit des Mädchens und begehrte sie zur Ehe – allein sie wollte durchaus nichts vom Heiraten wissen. Jedoch scheint Humilitas zuletzt doch dem Willen ihrer Eltern nachgegeben zu haben, denn sie wurde später mit einem angesehenen Mann ihrer Vaterstadt verehelicht. Mit diesem lebte sie neun Jahre lang in der Ehe, redete ihm aber im Verlauf derselben sehr oft zu, daß sie ihren Stand mit einander ändern wollten. Allein dieser spottete über das Ansinnen seiner Ehegattin und erklärte, daß er nie und nimmermehr hierin einwilligen werde. Da suchte sie nun durch anhaltendes Gebet von Gott zu erwirken, was ihr von ihrem Gemahl nicht bewilligt wurde. Dieser verfiel nach einiger Zeit in eine schwere Krankheit eigentümlicher Art, wobei ihm die Ärzte mit einander erklärten, er müsse in ehelicher Beziehung sich ganz enthalten, weil er sonst in einen unheilbaren Zustand verfallen werde, der in kurzer Zeit einen qualvollen Tod herbei führen würde. Nun willigte er zu dem ein, was Humilitas schon lange begehrt hatte, nämlich daß sie nur wie Geschwister mitsammen leben wollten. Später brachte sie ihren Mann weiter zu der Einwilligung, daß jedes von ihnen in einen Klosterorden eintrat. Humilitas, obschon noch nicht dreißig Jahre alt, zeigte gleich bei ihrem Eintritt in den Orden eine solche religiöse Haltung, daß man hätte glauben sollen, sie komme nicht aus dem Weltleben, sondern aus der Einsiedelei; denn sie war gleich anfänglich schon den übrigen Klosterfrauen ein Vorbild im Stillschweigen, im Gebet, in der Zurückgezogenheit, in Dienstfertigkeit gegen Gesunde und Kranke, in Enthaltsamkeit und in Übernahme beschwerlicher Arbeiten. Das Leiden Christi trug sie fortwährend im herzen; ja es ereignete sich einmal, als sie in dessen Betrachtung bitterlich weinte und mit ihrem Tuch die Tränen von den Augen abtrocknen wollte, daß sie dasselbe voll Blut statt des Wassers sah.
Als Humilitas später Äbtissin wurde, nahm der Ruf ihrer Heiligkeit so sehr zu, daß sehr viele der vornehmsten Familien ihre Töchter ins Kloster brachten, damit sie unter Aufsicht der ausgezeichneten Vorsteherin erzogen würden.
Humilitas hatte die eigentümliche Gabe von Gott erhalten, daß sie bei manchen Menschen, welche aus einer verderblichen Scham von ihren größten Sünden verschwiegen hatten, solcher erkannte, es ihnen vorhielt und sie durch ihre Zureden dahin brachte, eine vollständige eichte abzulegen. Aber auch andere Offenbarungen hatte die Heilige, und viele derselben hat sie selbst diktiert und nieder schreiben lassen. In der von ihr hinterlassenen Schrift behauptet sie insbesondere auch, daß sie nicht nur bei ihrer Geburt einen Schutzengel bekommen habe, sondern als sie nach der Wahl zur Äbtissin auch die Seelsorge über ihre Untergebenen übertragen bekommen, sei ihr ein zweiter Engel beigegeben worden, der sie in ihrem Vorsteheramt leite. Sie sagt darüber:
„Ich liebe alle himmlischen Engel, aber zwei sind ganz besonders meine Freunde, die mir Tag und nacht beistehen und mir unschätzbare Gaben ihres Reichtums mitteilen. Mein Herr hat sie mir als Schützer zugeteilt, daß sie mich vor jedem Übel behüten; und diesen göttlichen Auftrag haben sie bis jetzt auf das Sorgfältigste vollführt, denn ich bin durch ihre Kraft vollständig gestärkt worden. Jene beiden stützen mich gleichsam von der rechten und von der linken Seite, und ich kann nicht fallen außer durch meine Nachlässigkeit. Aus besonderer Begnadigung weiß ich auch den eigenen Namen eines jeden. Der erste ist aus dem Chor jener Engel, welche den Menschen in ihrem Leben zum Schutz beigegeben werden; sein name ist Sapiel, was göttliche Weisheit bezeichnet. So oft ich jenen Namen aussprechen höre, wird plötzlich mein Herz aufgeheitert. Dieser Engel aber war bei mir von dem Augenblick an, wo ich in dieses Leben eingetreten bin. Ich bekenne zwar, daß ich ihn öfters durch meine vielen Fehler beleidigt habe; allein er selbst, wie er denn ganz gütig ist, hat mir alle Schuld verziehen, ja er war mir auch immer bei dem Herrn Jesus ein emsiger Anwalt. Der andere wird Emmanuel genannt und ist aus der Ordnung der Cherubim; er wurde mir beigegeben nach dem dreißigsten Jahr meines Alters, als ich in die Besorgung großer Geschäfte eingetreten bin, weil mir da von Gott die Hut der Schafe anvertraut worden ist, während ich selbst zu einem so großen Werk keine zureichende Stärke und Kräfte besitze. Jener breitet aber seine eigene Flügel aus und hilft mir in meinen Arbeiten und Mühen, und weil er gütig ist, tröstet er mich und teilt mir von seinen reichen Schätzen mit.“
„Ich habe eine unermessliche Glorie in meinem Herzen, indem ich die Gewissheit von dem Adel und der Größe meiner Engel habe; wenn ich aber erwäge ihre Schönheit, so fühle ich mich abkommen in Entzückung (Ekstase), und wie aus mir selbst gerissen vor Freude, weil ich zwei so vollkommene Freunde habe, welche immer in der Gegenwart Gottes stehen, und unterdessen mir zu großem Beistand gereichen. Sie sind wie zwei unüberwindliche Felsen, in ihnen ist mir alle Sicherheit hinterlegt, und ihre Kraft ist so groß, daß ich mich nicht fürchte mit jedem möglichen Feind es aufzunehmen. Sie sind sehr weise und so tätig, daß sie mich in jeder Gattung von Tugend unterweisen. Ihr meine starken Engel, behütet alle meine Wege und wachet sorglich, daß die Feinde sich nicht zu nahen vermögen den Türmen meines Herzens; schwinget vor mir das Schwert eurer Verteidigung, und haltet meinen Mund verschlossen, daß kein eitles und müßiges Wort daraus hervor gehe. Schärfet meine Zunge, um alle Sünden auszurotten und die Tugenden zu pflanzen. Auf meine Augen leget zwei Siegel der Liebe, daß sie kein Ding dieser Welt im Vergleich mit dem geliebten Herrn ansehen mögen; hingegen haltet sie offen und wach, daß sie mich nicht durch Schläfrigkeit hindern an dem Gebet und Lob Gottes. Haltet meine Ohren offen für den Namen Jesu, und lasset nicht zu ihnen dringen irgend ein Wort, das für die Seele ein tödliches Gift wäre. Fesselt meine Füße mit der Kette der Liebe, daß sie sich nicht bewegen können auf den Weg der Sünde, sondern daß alle meine schritte zur Ehre Christi und seiner glorreichen Mutter gereichen. Bindet meine Hände an eure gesegneten Flügel, die stets bereit und gerüstet sind, die göttlichen Befehle zu vollziehen. Haltet meinen Geschmack entfernt von aller Nichtigkeit, daß meine Seele nur schmecke den Geruch der himmlischen Blumen. Bewahret alle meine leiblichen Sinne so, daß die geistigen sich ergötzen und meine Seele in Ruhe verkehren könne mit ihrem Geliebten. Helfet die Wege der göttlichen Liebe in mir so zu befestigen, daß die Fluten eitler Ergötzungen dieselben nicht überfluten und ersäufen können! Meine geliebtesten Engel, sehet, ich bin eurer Hut anvertraut und euch übergeben von meinem süßesten Jesus; ich bitte euch in seinem Namen, daß ihr mich immer sorgfältig behütet. Ich empfehle mich euch, o gütigste Engel mein, bittet das ewige Wort, daß es wolle an sich ziehen mein herz, und nicht zulasse, daß es je anders wohin abschweife. O Emmanuel, o Sapiel, meine Schutzengel, ich bitte euch, ihr Liebsten: daß ihr mir aus allen euren Kräften eine so wirksame Hilfe leistet und mich zur Gegenwart der großen Königin führet, und ich schauen könne die Mutter mit ihrem vielgeliebten Sohn, und ich nehmen dürfe von dem Mutterschoß jenes glorreiche Kind in meine Arme!“
Was die katholische Kirche lehrt, daß nämlich jedem Menschen Schutzengel beigegeben werden, das haben manche Heilige gleichsam gesehen, weil ihre ausgereinigte Seele leichter solches wahrnehmen konnte. Jeder Mensch ist gleichsam ein unmündiges Kind in Betreff so vieler Gefahren an Leib und Seele, die er großenteils nicht einmal kennt; darum gibt der himmlische Vater einem Geist, der mit höherer Einsicht und Kraft begabt ist, den Auftrag, diesen Menschen vor allen Übeln zu behüten, vor welchen er sich selbst nicht behüten kann. Vielleicht ist kein Vater und keine Mutter zu finden, welche so treue Liebe und Sorge dem Kinde zuwendet, als dessen Schutzengel. Denn die Liebe der Eltern ist eine natürliche, und hat ihre Wurzel in Fleisch und Blut; die Liebe des Schutzengels ist aber eine himmlische, und deshalb edler, tiefer und erleuchteter.
Ich frage dich nun, o Christ, wie dankst du diesem Wohltäter, der dir schon Jahre lang still und unsichtbar nachgegangen ist? Vielleicht vergeht ein ganzes Jahr und du denkst kaum ein einziges Mal an deinen Schutzengel, der dich noch keine Stunde deines Lebens vergessen hat! Vielleicht ist dein Undank aber noch viel ärger, vielleicht hast du deinen Engel nicht nur viele tausend Mal betrübt durch böse Gedanken, Worte und Werke, sondern hast ihn schon lange ganz von dir vertrieben durch Sünden von der Art, deren Abscheulichkeit einem Engel unerträglich ist. Ja, es gibt Menschen, welche ganz in die Gewalt des Teufels geraten zu sein scheinen, und von einem Satansengel sich beherrschen lassen. Hast du Grund zu fürchten, daß dein Schutzgeist vor dir gewichen sei, so rufe ihn baldmöglichst zurück. Wir dürfen wohl glauben, daß, wie eine reumütige Beichte die Gnade Gottes zurück bringt, auch der Schutzengel mit Freuden zu dem bekehrten Sünder zurück kehrt. Aber ich füge noch eine zweite Frage bei: hast du nicht schreckliche Ankläger in der anderen Welt zu gewärtigen? Sieh`, die Kinder haben ganz gewiß noch ihre Schutzengel; hast du nicht in der Gegenwart eines Kindes und seines Schutzengels schon so geredet und dich so benommen, daß die Seele des Kindes verdorben, und der Engel der Kinderseele in seinem innigsten streben gekränkt wurde? Kennst du das Weh, das der Heiland über solche Menschen ausruft? –
Das Leben der hl. Humilitas möge bei dir das Andenken an den Schutzengel neu erwecken. Denke oft ans eine Gegenwart, und benimm dich stets so, wie es in Gegenwart eines himmlischen Geistes geziemt. Höre auf seine innerlichen Warnungen und Mahnungen. Achte besonders Kinder und fromme Menschen deshalb, weil sie stets von einer zweiten hohen Person unsichtbar begleitet sind. Danke auch mehr deinem Schutzengel, verehre ihn als deinen hohen gütigen Freund, bitte ih dich nicht zu verlassen und stets dein Fürsprechen zu sein – denkst du viel und dankbar an ihn, so wird es ihm gewiß lieber und leichter, noch mehr für dich zu tun. –
Auch ich will von nun mehr an meinen Schutzengel denken. (siehe dazu den Beitrag: Unsere Pflichten gegenüber unserem Schutzengel) –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S.250-255
siehe auch den Beitrag: Die heiligen Schutzengel im Leben der Heiligen