Des Todes Stachel ist die Sünde (Paulus der Apostel)
Der Spruch ist klein, hat aber viel Geist in sich; und man mag ihn betrachten von welcher Seite man will, so leuchtet einem die Wahrheit davon hell in die Augen. Es ließe sich gar vielerlei darüber predigen, und auch ganz gelehrt, daß der gemeine Mann wenig davon verstünde, z. B. Wie der Teufel durch die Sünde den Tod in die Welt gesetzt und den Menschen eingeimpft habe: aber wir wollen nur das hiervon reden, was man für das Haus brauchen kann.
Die Sünde ist das größte Übel und die Wurzel, der Stachel und das Gift aller Übel. Selbst der Tod wäre für manchen schier nur ein Spaß, wenn die Sünde nicht wäre: nur so, wie wenn man in einen andern Ort auswanderte, in ein Land, wo es einem besser geht. Es würde manchem mit dem Sterben noch pressieren, und es würde es fast nicht erwarten können, besonders wenn er alt ist und nicht viel hat. – So aber denkt auch mancher, der üble Zeit hat: „Ich wollte gern sterben, wenn ich nur wüßte, wie es einem geht.“ Denn der Mensch fühlt wohl, daß er ein ganzes Pulverfäßlein von Sündenschulden in sich herum trägt und daß es böse Geschichten absetzen wird, wenn die Seele ihre Feuerprobe vor Gericht aushalten muss. Und diese Feuerprobe bleibt eben keinem aus, sobald er stirbt. Die Schrift sagt: „Es ist einem jeden Menschen gesetzt, einmal zu sterben, und nach dem Tod kommt das Gericht.“
Warum kann man so ruhig zusehen, wenn ein unschuldiges Kind stirbt? Regt sich gerade nicht der Neid, so regt sich doch Wehmut bei der Leiche eines Kindes: nicht Wehmut, weil das Kind gestorben ist, sondern über einen selber, weil man nicht auch als Kind hat sterben dürfen. Warum ist nichts Schreckhaftes am Sarg und Grab eines Kindes? Und warum ziemt es sich so wohl, sein grab und Kreuz mit Blumen zu zieren, wie wenn da etwas Fröhliches geschehen, etwas Hochzeitliches, da wäre? Das ist nicht schwer zu ergründen: die Ursache ist, weil der Tod ohne Sünde selbst ein schöner Engel ist, abgesandt von Gott, die Seele aus der Fremde in ihr himmlisches Vaterland heim zu führen.
Ach, wäre man ohne Sünde, wie leicht stürbe es sich! Man erschräke nicht, wenn einem die Umstehenden das Kruzifix in die Hand geben und das Wachslicht anzünden und anfangen zu beten: man sänke in den Tod so inniglich getröstet und vertrauensvoll, wie ein Kind im Schoß der lieben Mutter einschläft. Das sieht man zuweilen auch beim Sterben eines besseren Christen, als die gewöhnlichen sind. Es ist ihm fast noch wohl dabei, daß es dem Tod zugeht, wenn er zurück sieht, wie nun allem Schweiß, allen Leibesbeschwerden, allem Streiten gegen den Zorn und andere Sünden ein Ende word für immer. Ja es ist schon passiert, daß, wo die Türe zur andern Welt halb offen stand und die Seele mit einem Fuß schon aus dem Körper des Leibes heraus geschritten war, es einem unschuldigen Jungfräulein und einem gottesfürchtigen Greis vorgekommen ist, als hörten sie süßes Singen, und als schwebten himmlisch schöne weiße Gestalten um sie her. Der hl. Aloysius und mancher andere Heilige haben darum, als sie starben, vor Freude noch jubiliert und Gott in Psalmen gepriesen. Und wenn man dabei steht, wo ein solcher guter Mensch stirbt, da wird es einem selber wohl und weh im Gemüt; es kommt einem wie ein leises Heimweh. Man möchte nicht über den Toten weinen, sondern über sich selbst, daß man nicht auch mit ihm kann und bei ihm ist, die Seele dort droben im Sternensaal des Himmels. –
Und wenn mir Gott anböte in der einen Hand die Sünde und ein lustiges Leben ewig auf Erden dazu, und in der andern Hand Sündenlosigkeit und den Tod dabei, so würde mir die Wahl nicht weh tun: gern und dankbar würde ich den Tod ohne Sünde wählen, und hätte gewiß eine gute Wahl getroffen. – Was tätest du? Aber ach, an eine solche Wahl ist nicht zu denken. Es heißt: Sterben musst du auf jeden Fall, du magst sündigen oder nicht. Mit den Jahren kommen aber auch die Sünden; freilich mit unterschied. Wie geht`s aber, wenn man es mit dem Sündigen nicht so genau genommen hat, und der Tod klopft an? Wenn dieser Gerichtsbote des Herrn zur Türe herein schreitet, wenn der Mensch merkt: Das ist meine letzte Krankheit, da wird es manchem, wie wenn er einen gewaltigen Schlag auf den Kopf bekommen: er wird ganz betäubt, und es zittert das herz, sonst so übermütig und frech. Es ist nicht sowohl der Schrecken vor dem Tod, als vor dem Gericht und der endlichen Vergeltung. Da winselt mancher: „Hol mir den Herrn, ich will beichten; betet, betet für mich; die Kinder sollen auf die Wallfahrt gehen; Frau, zünd die geweihte Kerze an; gib Almosen für mich; hol mir den Notar, ich will etwas in die Armenkasse oder ins Spital vermachten.“ Aber was soll der Priester bei dir, du alte Todsünde? Weißt du nicht mehr, daß du über nichts lieber im Wirtshaus gespottet hast als über Religion und Pfaffen – und du weißt ja kaum mehr, wie man es macht, wenn man beichten will? Das Kerzenlicht mag dich erinnern an ein böses, böses Feuer. Und wo ist das Geld her, das du den Armen geben willst lassen? Sticht nicht ein neuer Vorwurf wie ein Dolch durch die Seele? Es ist vielleicht Sündengeld, erschlichen in List und Betrug, in Leugnen und Verhehlen sündhaft erworben, und Tränen von Waisen kleben davon… Weh! Das einzige, was dich recht trösten könnte, wäre, wenn du noch einmal gesund würdest und dann die Sünde und ihre Schuld ganz von dir tätest. Wird aber der barmherzige Gott dir noch einmal Leben und Gesundheit schenken, damit du Zeit habest, dich zu bekehren, zu bessern, den Schaden gutzumachen, den du in der Welt angerichtet hast? Gar wohl mag es sein, daß dir Gott diesmal keine neue Frist gibt. Denn Gott weiß wohl, daß du nur aus Angst das versprichst, und wenn du gesund wärest, wieder in deinem alten breitgetretenen Hohlweg der Sünde behaglich forttaumeln würdest. Gott hat es ja vielleicht schon einmal oder einige Male mit dir probiert; hat dich ernstlich krank und dann wieder gesund werden lassen. Was ist dabei heraus gekommen? Weiter nichts, als daß du in der Krankheit alle guten Vorsätze gemacht hast, als wolltest du in Zukunft leben wie ein Heiliger; und dann, da die Gesundheit wieder die Glieder durchfloss, hast du es in wenigen Wochen fast ärger gemacht als vor der Krankheit. Es ist also nichts dabei heraus gekommen, als daß du jetzt selber siehst, daß alle deine Versprechungen auf dem Kranken Bett pure Lüge und Heuchelei sind. Und will denn Gott nur alte, kranke, verwelkte Menschen zu seinem Dienst? Meinst du, der elendeste Rest deines Lebens, der Bodensatz, die paar tage deiner letzten Krankheit sein gut genug, ums i noch Gott zuzuwenden – und durch ein paar Seufzer: „Gott sei mir armen Sünder gnädig! Jesus, erbarme dich meiner usw.“ werde deine Seele schon in den Himmel fliegen ohne Anstoss? Da müsste der Himmel ein gar wohlfeiles Ding sein, und der Heiland hätte nicht recht gehabt, daß er sagte: „Viele werden suchen in das Reich Gottes einzugehen, werden aber nicht dahin gelangen, weil sie nicht Kraft genug anwenden.“
Bedenk es wohl: Gott hat viel um dich getan, da du noch gesund warst; aber du hast nicht gewollt. Gott hat dir gerufen, du mögest umkehren, durch den Mund deines Seelsorgers. Aber du hast sein Wort nicht anhören wollen; oder wenn du es hörtest und es war nich nach seinem Sinn, so hast du darüber gespottet oder geschimpft. – Gott hat dir gerufen durch besondere Schicksale, durch Leid und Freud, ob dein herz nicht erweiche. Aber du hast im Leid nur gemurrt und gemeint, Gott tue dir unrecht; und die Freude hast du gierig verzehrt, und darüber Gott noch mehr vergessen, und dich in die Welt und ihre Lust verliebt. – Gott hat dich gewarnt und erschreckt durch Schicksale anderer Menschen um dich her. Der eine wurde von einem schnellen Tod unversehens weg gerissen; ein anderer musste, hingeworfen auf ein Krankenbett von Stroh, in Armut, Krankheit und Elend lange, lange Wochen und Monate dahin siechen und büßen für Sünden, die nicht so schwer waren, als wie du schon verübt hast; oder einer deiner Kameraden kam in das Zuchthaus, oder (bist du ein Weibsbild) eine deiner Gespielinnen kam in Schande vor der Welt und hat es doch auch nicht ärger getrieben als du. – Gott hat dich gemahnt, gerufen, gewarnt durch die Stimme des Gewissens. Jahrelang ist er dir nachgegangen und hat dir gerufen, bald sanft, bald ernst; bald bittend, bald drohend, um Mittag und um Mitternacht: du mögest doch anders werden. Du hast aber nicht gewollt; du hast einmal gesagt: Jetzt habe ich keine Zeit, mit meinem Seelenzustand mich abzugeben; ein andermal hast du gesagt: Was tue ich denn? Ich bin auch nicht schlechter als andere, und wolltest den Ruf Gottes nicht verstehen. Und ließ es dir gar keine Ruhe, daß du doch nachdenkend wurdest, so haben bald die leichtfertigen Reden und lustiges Gelächter am Wirtstisch die ernsteren Gedanken verscheucht, und du bist froh, gewesen, daß dein Gewissen zuletzt müde geworden ist, dich zur Umkehr zu ermahnen, wie ein liederlicher Sohn froh ist, wenn er nicht mehr seinen ernsten Vater um sich hat, damit ihn der Alte mit seinen Zureden nicht mehr plage. – Jetzt ist dein Maß voll, deine Frist abgelaufen: die verlorenen Gnaden alle werden von dir gefordert; du musst Rechenschaft geben, genaue, strenge Rechenschaft über jeden Pfennig, jedes Wort, jeden Tag – weh!
Wohl bist du, lieber Mensch, jetzt nicht krank, und vielleicht muss dein Herz noch vielmal schlagen, bis der letzte Herzschlag auf der Uhr deines Lebens ausgeschlagen hat. Es wäre auch ein schlechter Trost, wenn dir einer, da du einen Ansatz zum Sterben nimmst, so etwas vorbeten wollte, wie du jetzt gelesen hast. Das wäre ungefähr so ein Trost, wie der Teufel dem Judas und auch sonst schon manchem, der gerade röchelte, d. h. am Sterben war, in die Ohren geflüstert hat; ein Trost, der mit anderen Worten heißt: „Verzweifle, für dich ist keine Gnade bei Gott!“ Aber das, was der Teufel zum Schaden einem zuletzt sagt, das kann sehr gedeihlich werden, wenn man es einige Jahre früher zu Herzen nimmt. Der Mensch kann zwar auch in den letzten Stunden des Lebens noch Gnade finden, wenn er sich noch bekehrt, dies bleibt gewiß. Aber ob der Mensch, der in gesunden Tagen genug vergeblich gemahnt worden, sich dann noch bekehrt, ist eine andere Frage. –
aus: Alban Stolz, Kompass für Leben und Sterben, 1898, S. 22 – S. 27