Das Feuer der Liebe – Des Christen Sehnsucht nach dem Leiden
Lange vor seinem Leiden hat Christus, der Herr, diese Sehnsucht mit den Worten geäußert: „Ich bin gekommen, Feuer zu senden auf die Erde, und was will ich anders, als daß es brenne? Aber ich muss mich mit einer Taufe taufen lassen, und wie drängt es mich, bis es vollbracht ist!“ (Luk. 12, 49 u. 50) Er ist in diese Welt gekommen, um durch den heilige Geist in den Menschenherzen das Feuer der Liebe Gottes anzuzünden; dies aber sollte im vollsten Maße erst durch sein Leiden und Sterben, das er eine Taufe nannte, und durch welches er diese Gnade verdiente, bewirkt werden; und daher brannte in seinem liebeglühenden Herzen dieses heiße Verlangen, diese flammende Sehnsucht nach den Stunden, in welchen er dieses große Versöhnungs-Opfer darbringen könnte. Dasselbe Verlangen drückte der Herr vor der Einsetzung des allerheiligsten Altarssakramentes aus, indem er zu seinen Jüngern sprach: „Ich habe ein großes Verlangen gehabt, dieses Osterlamm mit euch zu essen, bevor ich leide“ (Ibid. 22, 15); eben weil es das letzte war, hierauf sein Leiden begann, und sein Heimgang zum Vater folgte, wie es auch seine darauf folgenden Worte andeuten: „Denn ich sage euch: Ich werde es von nun an nicht mehr essen, bis es seine Erfüllung erhält im Reiche Gottes.“ (Ibid. 16) Auch zu Judas hat er bei dem letzten Abendmahl gesprochen: „Was du tun willst, das tue bald“ (Joh. 13, 27); über welche Worte der heilige Bernardus die Bemerkung macht, daß er mit denselben so viel sagen wollte, als: „Willst du mich den Juden verkaufen, o Judas! Ich will verkauft werden. Willst du mich überliefern? Ich will überliefert werden. Willst du, daß ich getötet werde? Ich will getötet werden. Das liebe ich, das verlange ich. Was du willst, das tue bald.“ (Serm. 3. de Coena. Dom.) Diese so oftmaligen Äußerungen einer solchen Sehnsucht nach dem Leidenskelch offenbaren uns auch denLiebesbrand, der in seinem göttlichen Herzen loderte, und nicht befriedigt werden konnte, bis er sich und alle das Seinige hingeopfert haben würde; und darum wünschte der Herr auch den Zeitpunkt so sehr herbei, wo dieses Brandopfer dargebracht werden könnte.
Es flammt nun aber seither das Feuer dieser Liebe und Sehnsucht auch in der heiligen Kirche Christi welche am Vorabend des Pfingstfestes immer neuerdings zu Gott fleht: „Mit jenem Feuer, flehen wir, o Herr! Wollte uns der heilige Geist entflammen, das unser Herr Jesus Christus auf die Erde gesendet, und von dem er gewollt hat, daß es mächtig entzündet werde.“ (Orat. Miss. Sabb. Pent.) Von diesem Feuer brannten die heiligen Märtyrer, wie der heilige Papst Leo spricht, indem er in der Lobrede auf den heiligen Laurentius den Tyrannen, der ihn peinigen ließ, also anredet: „Mit deinen Flammen konnten die Flammen der Liebe nicht besiegt werden; und das Feuer, das von außen brannte, war lässiger, als jenes, welches von innen glühte. Du hast als Verfolger gegen den Märtyrer gewütet; du hast gewütet, und, indem du die Pein vermehrtest, hast du die Siegespalme vergrößert.“ (Serm. De S. Laurent.) So sprach auch der heilige Bischof Ignatius, als er zur Marter geführt wurde: „Feuer, Kreuz, wilde Tiere, Zerbrechung der Gebeine, Zerstückelung der Glieder, Zermalmung des ganzen Leibes und alle Peinigungen des Teufels sollen über mich kommen, damit ich nur Christum gewinne!“ (Epist. ad. Rom.) Das Märtyrervolk von Japan hat sich auf die Tage des Martertums wie auf Festtage vorbereitet, und gefreut, und ist in Festgewanden in den Tod geeilt. Millionen von Blutzeugen haben von diesem Liebesfeuer geglüht, und dieses Feuer brennt auf Erden fort bis an das Ende der Welt, weil Jesus Christus uns geliebt und sich für uns in das Leiden und in den Tod hingegeben hat.
Christus, der Herr, trug in seinem göttlichen herzen auch darum diese Sehnsucht nach seinem Leiden und Sterben, weil er durch dasselbe die Sünden der Welt so bald als möglich hinweg nehmen, und das Menschengeschlecht mit seinem himmlischen Vater versöhnen wollte. Wir aber haben dafür noch den besondern Grund, weil wir Alle selbst Sünder sind, und von ganzer Seele wünschen müssen, unsere persönlichen Sünden abbüßen, und unsere eigenen Schulden tilgen zu können; denn der heilige Augustinus schreibt: „Niemand sage, daß er unverdient etwas Hartes leide; weil man, wenn auch nicht in Taten, so doch in Worten und, wenn nicht in Worten, doch in vermessener Erhebung innerlich im Herzen, oder in der Sprache der Gedanken sündigt; und, weil vor Gott nichts verborgen ist, sage Keiner, der gegeißelt wird, daß er unverdienter Weise gezüchtigt werde.“ (Annot. in Job. c. XXXVIII.) Durch das Leiden und Sterben aber kann man in der Vereinigung mit dem Leiden und Sterben des Herrn und in seiner Nachahmung Gott für die Sünden Genugtuung leisten, und die für die Sünden verdienten zeitlichen Strafen abtragen. Was soll uns demnach erwünschter sein als das Leiden?
Diese Sehnsucht nach dem Leiden, welche von der Liebe Gottes entzündet ist, findet darin ihre Nahrung, Kraft und Stärke, daß sie Gott im Leiden sieht, und den Geliebten am Kreuz schaut; sie wächst im Leiden und nimmt zu, bis sie alles aufgezehrt hat, wie der heilige Gregorius schreibt: „Die Sehnsucht der Auserwählten nimmt, während sie von Widerwärtigkeiten gedrückt wird, zu, wie das Feuer, wenn es vom Wind bedrängt wird, wächst und eben durch das, wodurch es ausgelöscht zu werden scheint, erstarkt“ (Moral. Libr. XXVI. c. 10.); und: „Die Sehnsucht der Gerechten wird im Kampf geweckt, auf daß ihnen auch größere Belohnungen in der Vergeltung aufgehäuft werden; und das Mühsal soll sich verlängern, damit auch die Siegeskrone wachse.“ (Ibid. c. 15.) Will also Jemand wissen, wie sehr er seinen Gott und Erlöser liebe, und wie sehr ihm sein eigenes Seelenheil am herzen liege; so sehe er darauf, wie sehr er sich nach Leiden sehne, und ob in den wirklichen Leiden, die er zu erdulden hat, seine Sehnsucht nach noch größeren und mehreren Leiden wachse. Das ist der sicherste Prüfstein der Liebe.
Schön ist die arbeitende und betende Liebe, aber schöner ist die verfolgte und leidende Liebe, am schönsten jedoch ist die blutende und sterbende Liebe; und mit aller dieser Liebe hat uns der Sohn Gottes geliebt. Wie ihm die Menschen, als er sichtbar unter ihnen wandelte, vergolten haben; ach! so vergelten ihm Ungläubige und Undankbare auch nach seinem Erlösungs-Opfer noch immerfort. –
aus: Georg Patiss SJ, Das Leiden unsers Herrn Jesu Christi nach der Lehre des heiligen Thomas von Aquin, 1883, S. 215 – S. 218
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