Auf Todsünde folgt ewige Verdammnis
Da Gott der Anfang und das Ende des Geschöpfes (Apok. 1,8), und jedes Geschöpf in seinem Entstehen, Sein und Wesen, in seiner Fortdauer und in seinem Wohlsein unbedingt, durchaus und allseitig von ihm abhängig ist; so muss auch das ganze Geschöpf nach seiner Natur und Beschaffenheit, das vernünftige Geschöpf aber in freiem Streben Gott zugewendet, auf Gott hingerichtet sein, und alle ihm untergeordneten und dienstbaren Geschöpfe als Mittel dazu gebrauchen. (Ekkl. 12, 13,14)
Die Natur des Schöpfers und die Natur des vernünftigen Geschöpfes erfordern es, daß dieses Geschöpf den Schöpfer als das unendliche Gut und als die Quelle alles Guten über alles liebe, und lobe; und daß es Gott als der unendlichen Vollkommenheit und Majestät und als der Quelle aller Vollkommenheit und Würde die höchste Liebe und Ehrfurcht erweise; und daß es Gott als dem unumschränkten Herrn über alles in Liebe durchaus untertänig und gehorsam sei, und ihm diene. (Ps. 2,11) Diese Liebe, dieses Lob, diese Ehrfurcht, dieser Dienst, diese Ehre und Verherrlichung gebührt Gott, und ist das vernünftige Geschöpf Gott schuldig; darauf hat Gott naturgemäß das Recht, und dieses Recht kann Gott nicht aufgeben, ohne sich selbst zu leugnen; dazu hat auch das vernünftige Geschöpf naturgemäß die Pflicht, und diese Pflicht kann es nicht verletzen, ohne sein natürliches Verhältnis zu Gott zu zerstören.
In der Todsünde liegt ein unendliches Unrecht
Verweigert nun das vernünftige Geschöpf Gott diese Pflichterfüllung, so verletzt es dieses Recht Gottes, und fügt Gott ein Unrecht, eine Unbild zu, die eben so groß, als dieses Recht, als die Majestät, die Vollkommenheit, die Oberherrschaft Gottes und als seine Abhängigkeit von Gott ist; denn dieses Unrecht, diese Unbild muss nach dem Verhältnis, das zwischen Gott und dem vernünftigen Geschöpf besteht, und dadurch zerrissen wird, und nach der Erhabenheit der Majestät Gottes, sowie nach der Niedrigkeit dieses Geschöpfes, das aus sich selbst nichts ist, geschätzt werden. Überdies ist das Unrecht, die Unbild um so größer und schwerer, je größer und schwerer die Übeltat, durch welche Gott dieses Unrecht, diese Unbild zugefügt, und je boshafter der Wille ist, mit dem die Übeltat begangen wird. Nach allen diesen Richtungen hin liegt in der Todsünde ein so großes Unrecht, eine so große Unbild, daß, was Unrecht und Unbild betrifft, nichts Größeres und Schwereres gedacht werden kann; es liegt in der Todsünde gewissermaßen ein unendliches Unrecht, eine unendliche Unbild. Daher sagt der heilige Thomas: „Die gegen Gott begangene Sünde schließt wegen der Unendlichkeit der göttlichen Majestät eine gewisse Unendlichkeit in sich.“
Der Todsünder lädt eine unendliche Schuld auf sich
Daraus ergibt sich, daß der Mensch, der Gott ein solches Unrecht, eine solche Unbild zufügt, eine solche unendliche Schuld auf sich lädt, und für diese unendliche Schuld nach dem ewigen Gesetz der Gerechtigkeit auch eine entsprechende unendliche Genugtuung zu leisten verpflichtet ist, oder eine entsprechende unendliche Strafe erleiden muss, die, weil sie an sich an einem Geschöpf nicht unendlich sein kann, wenigstens der Dauer nach endlos sein, und darum ewig fortdauern muss. Zwischen dem Schuldigen, Genugtuungs-Pflichten, Straffälligen und dem Beleidigten, Richter und Rächer, zwischen dem Sünder und Gott besteht nun dieses trennende und feindliche Verhältnis so lang, bis die Schuld getilgt, die Genugtuung geleistet, oder die Strafe gebüßt, das Unrecht gutgemacht, die Unbild getilgt, und eine Versöhnung bewerkstelligt ist. Durch die Sünde wird also der Mensch von Gott, seinem letzten Ziel und Ende getrennt, Gott als Feind gegenüber gestellt; er verwirkt dadurch alles Gute, das mit diesem letzten Ziel und Ende verbunden ist, so wie auch alles übrige Gute, das er von der Liebe Gottes erhalten hat, oder erhalten haben würde, und hat auf dasselbe keinen Anspruch mehr, so lange er sich in dieser feindlichen Stellung befindet. –
aus: Georg Patiss SJ, Das Leiden unsers Herrn Jesu Christi nach der Lehre des heiligen Thomas von Aquin, 1883, S. 7 – S. 9