Heiligenkalender
27. November
Heilige Oda von Brabant, Jungfrau und Einsiedlerin
(Beharrlichkeit)
Sie war die Tochter eines Königs von Schottland, von schöner Gestalt und gefälligem anmutigem Benehmen. Da der Vater darauf dachte, sie zu verehelichen, so machte ein großes Missgeschick dem Plan ein trauriges Ende, Oda wurde nämlich blind. Schönheit, Reichtum, hoher Rang waren ein geringer Trost gegen dieses Übel, und Oda hätte wahrscheinlich gern Alles dahin gegeben, wenn sie damit ihr Augenlicht hätte erkaufen können.
Da nun die Welt und ihre Lust großenteils für die blinde Königstochter gleichsam abgesperrt war, so ging es ihr wie einem Wanderer, wenn stockfinstere Nacht über die Erde gekommen ist – er schaut in die Höhe zum Sternenhimmel. Desgleichen schaute auch Oda in die Höhe zum Himmel, das heißt, sie suchte bei Gott ihren Trost und ihre Lebensfreude, und führte einen eingezogenen höchst gottseligen Wandel.
Um jene Zeit war in den Niederlanden eine Geschichte geschehen, welche Ähnlichkeit hat mit dem, was die hl: Schrift über das Ende des hl. Johannes des Täufers erzählt. Der König Pippin führte eine sehr lobenswerte Regierung, aber keinen guten Wandel, indem er seine Gemahlin verstieß, um mit einer schlechten Person, Namens Alpais, in ein sündhaftes Verhältnis zu treten. Die Bischöfe des Landes, an denen es gewesen wäre, dem König in das Gewissen zu reden, jammerten zwar über dieses große Ärgernis, aber getrauten sich nicht etwas zu sagen. Nur der Bischof von Lüttich, der hl. Lambert, wagte es, dem König Pippin Vorhalt und zudringliche Ermahnung zu machen. Darüber wurde die schlechte Alpais und ihr Bruder Dodo höchst erbittert und sie verabredeten sich, den heiligen Mann von der Welt zu schaffen. Als Lambert nach Gewohnheit Nachts in der Kirche war, drang Dodo mit einigen Mordgesellen hinein, rissen ihn zu Boden und stießen ihm eine Lanze durch das Herz. Der Leichnam wurde nach Utrecht gebracht und es geschahen viele Wunder an seinem grab; aus dem Sarg drang ein lieblicher Geruch, und oft soll man dabei ein himmlisches Singen gehört haben. Nach zwölf Jahren wurde der hl. Leib nach Lüttich gebracht, wo an dessen Grab auf`s Neue so viele Wunder geschahen, daß selbst in fremden Ländern viel davon geredet wurde.
Der Vater der hl. Oda kam nun auf den Gedanken, ob nicht auch seine blinde Tochter dort Hilfe finden könnte. Er veranstaltete deshalb Alles, was zur Überschiffung nach den Niederlanden nötig war, und sandte dann seine Tochter Oda mit königlicher Dienerschaft nach Lüttich. Sie vollendeten glücklich ihre ziemlich lange Reise: die Königstochter ließ das Pferd, worauf sie saß, unmittelbar zur Kirche führen, wo der Leib des hl. Lambert beigesetzt und die ihm zu Ehren gebaut war. Hier stieg sie ab, warf sich vor dem Grab des Heiligen auf die Erde und bat Gott mit inbrünstigem Flehen, er wolle nach seiner grundlosen Güte und durch die Fürbitte des hl. Lambert, wenn es anders zu ihrem Seelenheil gereichen sollte, nach so langer Finsternis sie wieder das Tageslicht schauen lassen.
Oda, welche blind nieder gekniet war, ist sehend aufgestanden, hat sich aber dann noch einmal demütigst auf die Erde nieder geworfen, um Gott den schuldigen Dank zu erstatten für so große Guttat. Man kann sich die Freude denken, als die Königstochter, hergestellt von ihrer Blindheit, an den fürstlichen Hof zurück kehrte. Allein durch die große Veränderung, welche das wieder erlangte Augenlicht in ihren Verhältnissen herbei führte, wurde Oda auf eine höchst wichtige Probe gestellt. Sie hatte während ihrer Blindheit sich hauptsächlich dem Gebet und Besuch der Kirchen gewidmet, dem Leib überflüssige Speisen entzogen, viel gewacht und sich mit allen Kräften bemüht, ihrem Heiland wohlgefällig zu leben; deshalb hatte sie ihm auch ewige Jungfrauschaft gelobt. –
Nun boten sich ihr auf einmal die Welt und ihre Lust wieder an, sie konnte jetzt wieder alle Vergnügungen, welche bei ihrem hohen Rang als Königstochter überflüssig sich ihr darboten, genießen; auch war es der ausdrückliche Wille ihres Vaters, daß seine Tochter, nachdem das Hindernis einer Verehelichung, die Blindheit, beseitigt war, in den Ehestand trete.
In eine solche Lage oder auf solche Probe werden sehr viele Menschen gesetzt; nämlich Gott sendet ihnen etwas, wodurch es ihnen erleichtert wird, von einer sündhaften Gewohnheit abzulassen und ein sittsames frommes Leben anzufangen. Mancher wird krank, ein anderer sitzt gefangen, ein dritter befindet sich in großer Armut, eine junge Frau hat einen Tyrannen zur Ehe, oder es ist krieg und Angst über dem Land, oder die Cholera oder auch eine strenge Mission führt den Leuten Tod und Gericht und Ewigkeit vor die Seele. So lange solche Zustände währen, enthaltet man sich von manchem Leichtsinn und kommt oft in ein besseres Gleis; man empfängt die hl. Sakramente, betet mehr und macht manche gute Vorsätze. Allein nach einiger Zeit nimmt Gott die äußere Not und Nötigung hinweg; der Kranke wird gesund, der Gefangene frei, der Arme kommt in bessere Umstände, die Frau wird Witwe, Krieg oder Seuche oder Bußprediger ziehen ab. Der Mensch wurde durch jene Bedrängnisse von Gott aus dem Sumpf der Sünde heraus gezogen und auf besseren Weg geführt; jetzt soll er auch ganz freiwillig Gott die Ehre geben vor der Welt, und soll auch im Wohlergehen von ganzem Herzen Gott treu bleiben. Allein wenige tun es; die meisten kehren, wenn sie wieder Gesundheit und Wohlergehen erlangt haben, zum Leichtsinn und zum Weltleben zurück, und ich glaube, daß selbst die meisten Alte und Tote, wenn sie wieder Leben und Jugend bekämen, den sündhaften Wandel ihrer Jugendzeit noch einmal beginnen würden. Ob aber Gott dann beim Gericht zu solchen Seelen sagen wird: „Kommt her, ihr Gebenedeite!“ – oder: „Weg von mir, Verfluchte!“ kann Jeder selbst berechnen.
Die hl. Oda war während der Zeit ihrer Blindheit innerlich stark in Gott geworden, so daß die Herrlichkeit der Welt ihr wieder in die Augen drang, aber nicht auch in das Herz. Alles Bitten und Drohen, womit der König sie zur Verehelichung bewegen wollte, waren umsonst. Um aber in ihrem religiösen Leben nicht fortwährend durch solche Zumutungen gestört zu werden, entschloss sich Oda, das Vaterland zu verlassen und in der Fremde ein dem Heiland geweihtes Leben zu führen. Sie bestieg wieder ein Schiff und wanderte dann als unbekannte Pilgerin durch die Niederlande an berühmte Wallfahrtsorte, wo Reliquien verschiedener Heiligen aufbewahrt wurden, um durch ihr Beispiel, Verehrung und Fürbitte die Gnade zu erlangen, auch einen heiligen Wandel zu führen.
Nachdem die gottselige Jungfrau einige Zeit in solcher Pilgerfahrt zugebracht, kehrte sie zurück nach Brabant in eine einsame Gegend, wo sie einen Ort von Bäumen und Gesträuch umgeben zu ihrem Aufenthalt wählte. Eine kleine Hütte war daselbst ihre Behausung; sie lebte nun in dieser Einöde in großer Armut, Reinigkeit und Demut; trug allerlei Beschwernisse mit großer Geduld dem Heiland zu gefallen. Als sie auf diese Weise viele Verdienste gesammelt hatte, wurde ihre Seele in das bessere Vaterland heim geholt, ihr Leib aber beerdigt, wo sie Gott so lange gedient hatte. Da man aber bald darauf den Platz ihres Begräbnisses Nachts übernatürlich erleuchtet sah und viele Heilungen daselbst geschahen, so wurde ihr Leib von dem Bischof Osbert später erhoben und nach Lüttich übertragen. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 4 Oktober bis Dezember, 1872, S. 346 – S. 349