Heiligenkalender
2. Oktober
Heiliger Thomas von Cantilupe Bischof
(Seligkeitsbedingung)
Dieser Heilige war zuerst Kanzler in England und wurde nachher zum Bischof von Hereford ernannt. Wenn Jemand nach seinem Tod heilig gesprochen wird, so werden sehr umständliche genaue Untersuchungen über den Wandel desselben vorgenommen, gleichsam ein Prozess, wobei die wichtigsten Zeugen einen Eid auf ihre Aussagen ablegen müssen. Nun ist noch die beschworene Aussage des Bischofs Richard vorhanden, welcher mit dem hl. Thomas bei 14 Jahre lang umgegangen ist und sein Nachfolger im Amt wurde. Aus dessen Bericht will ich nun Einiges anführen.
Der Beichtvater des hl. Thomas, ein Mann von großer Heiligkeit und ausgezeichneter Wissenschaft, der Erzbischof Robert von Canterbury, äußerte sich in öffentlicher Versammlung über Thomas: „So wahr mir Gott helfe, jener Mensch ist so rein in Bezug auf Keuschheit der Seele und des Körpers, wie er von seiner Mutter zur Welt geboren wurde, obschon er schon 54 Jahre alt ist.“ Schon bevor Thomas Bischof wurde, vermied er, soweit die Schicklichkeit es zuließ, alle Gesellschaft und Unterredung mit weiblichen Personen selbst aus der nächsten Verwandtschaft. Wenn er irgendwo zweideutige Scherze hörte, worüber andere lachten, so war er in solchen Dingen so unschuldig wie ein Kind, so daß er Andere fragte, was dieses Lachen zu bedeuten habe. Wenn er es aber verstand, gab er denen, die solche Unziemlichkeiten geredet, einen scharfen Verweis. Als er einmal gefragt wurde, warum sein Neffe, den er sonst sehr lieb gehabt hatte, nun weniger in Gunst bei ihm stehe, sagte er: „Die jungen Leute sind nicht mehr so ehrbar wie in früheren Zeiten. Wenn mich eine schöne Weibsperson angeschaut hätte, da ich ein Jüngling war, so wäre ich errötet und hätte meine Augen hinweg gewendet, um sie nicht zu sehen; jetzt machen es aber diese Jünglinge nicht mehr so.“
Der Zeuge Bischof Richard sagte ferner aus, Thomas habe so wenig gegessen und getrunken, wie man bei einem gesunden Menschen es nicht für möglich halten sollte, daß er damit leben könne. Einmal habe er nach der Mahlzeit den heiligen gefragt, warum er so wenig esse, ob er keinen Appetit habe? Da zeigte Thomas auf ein größeres Stück Brot, als er je zu essen pflegte, und sagte: „Ich könnte dieses Stück noch mit gutem Appetit essen.“ Thomas versicherte auch bei einer andern Gelegenheit, daß er seit 30 Jahren täglich mit eben so vieler Esslust von dem Tisch aufgestanden sei, als er sich dazu gesetzt habe. Von besseren Speisen versuchte er nur ein klein wenig und schickte das Übrige armen Kranken. An jedem Freitag aß er nur Brot und Gemüse; desgleichen fastete er den Tag vor allen Mariafesten in Wasser und Brot. Wenn zuweilen solche Personen zu Gast bei ihm waren, bei welchen die Höflichkeit verlangte, daß er mit ihnen Bier oder Wein trank, so setzte er den Becher an den Mund ohne wirklich zu trinken; er sagte, eine solche Verstellung sei schon erlaubt.
Der heilige Bischof trug unter seinen Kleidern, und auch wenn er im Bett lag, ein Hemd von Tierhaaren, welches so rauh war, daß Blut und Stückchen Haut und Fleisch daran gefunden wurden. Oft schlief er, statt im Bett, auf dem Boden; sehr oft kleidete er sich nicht einmal aus, sondern setzte sich zu seinen Büchern und brachte den größten Teil der Nacht mit Lesen, Predigtschreiben oder Gebet zu.
Nun aber besteht die Heiligkeit darin allein noch nicht, daß man die Sinnlichkeit, den Leib, in strenger Zucht hält, sondern es muss zugleich der Geist, die Seele, das Herz wahrhaft und ungeteilt Gott ergeben sein. Wenn Thomas die hl. Messe las, war er so zerknirscht und ergriffen und vergoß so viele Tränen, wie wenn der Altar der Kalvarienberg wäre und er bei der Kreuzigung Christi gegenwärtig wäre. Diese tiefe Andacht bewirkte auch, daß er zu dem hl. Messopfer oft viele Zeit brauchte. Außerdem betete er langsam und mit großer Andacht täglich das Brevier; und obschon diese Andacht in solcher Weise mehr als zwei Stunden erforderte, so betete er außerdem noch die sieben Bußpsalmen und die Brevier-Andacht für die Verstorbenen.
Aber es kann Abtötung der sinnlichen Lüste und viele Frömmigkeit bei einem Menschen zu finden sein, und dennoch der Seele die wahre Heiligung fehlen. Diese hat als unerläßliches Merkmal stets die Demut und die Liebe bei sich. Schon der Umstand, daß Thomas im Alter von 44 Jahren das höchste Staatsamt als Großkanzler nieder legte, um Theologie zu studieren und geistlich zu werden, ist ein Beweis von seiner großen Demut; auch ließ er sich später nur mit Widerstreben und Weinen zum Bischof konsekrieren. Es wurden dem hl. Thomas manches Unrecht und manche Beleidigungen zugefügt, sowohl von seinem Vorgesetzten, Johannes, dem Erzbischof von Canterbury, als auch von geringer gestellten Leuten; aber keine einzige war stark genug, um die Sanftmut und Geduld des heiligen Mannes zu überwältigen und ihn zu ungebührlichem Zorn hinzureißen. Außerdem, daß er nach Kräften Almosen gab, ließ er täglich viele Arme bei sich im Hause speisen. Er nannte dieselben seine Brüder und begehrte auch von seiner Dienerschaft, daß sie den Armen keinen andern Namen gebe. Wenn Thomas erfuhr, daß Jemand von höherem Stand durch Unglück in Armut geraten war, so sandte er ihm heimlicher Weise Unterstützung, um ihn nicht zu beschämen. Desgleichen ließ er selbst damals schon, da er noch Pfarrer war, Kleider für die ärmeren unter seinen Pfarrkindern machen und verteilen. Ja als Thomas noch in Paris studierte, ließ er einen andern Studenten, welcher dem Würfelspiel und Wirtshaus-Sitzen ergeben war, einen schönen Rock und Mantel machen, wofür ihm dieser das Gelöbnis ablegen musste, ein Jahr lang kein Wirtshaus mehr zu besuchen und keinen Würfel mehr anzurühren. Seine Liebe zu den Armen zeigte er aber auch noch auf andere Weise, als durch Wohltaten; man hat nämlich bemerkt, daß, wenn starker Zusammenlauf von Beichtleuten war, Thomas zuerst die Armen anhörte und dann erst die Reichen. Wenn er einer Leiche begegnete, stieg er jedesmal vom Pferd ab und verrichtete vorerst die priesterlichen Gebete für den Verstorbenen, bevor er seinen Weg fortsetzte.
Endlich hängt der Wert eines Menschen vor Gott noch davon ab, wie er denPflichten seines besonderen Berufes nachkommt. Aus der Zeit, wo Thomas noch Kanzler bei dem König Heinrich war, wird von ihm geschrieben: „Thomas war in seinen Reden wahrhaft, im Rat vorsichtig, in übertragener Amtsführung treu. In jedem Geschäft hielt er seine Hand rein von Geschenken und Bestechung. Die Üppigkeit hochmütiger Reichen hielt er im Zaum, von der Wahrheit wich er niemals ab, gewährte allen Armen willig Gehör, und streckte seine Hand aus zur Barmherzigkeit.“ Insbesondere zeigte er einmal seine Gerechtigkeit, Gottesfurcht und Barmherzigkeit in einer Ratssitzung, wo der König auf den Rat der andern Besitzer den Beschluss faßte, einem getauften Juden die Vollmacht zu erteilen, alle Untertanen, welche Geld beschneiden oder verfälschen, an Leib und Leben zu strafen. Da stand Thomas auf und erklärte seinem Herrn, dem König, es sei ungeziemend, daß ein ehemaliger Jude eine solche Gewalt über Christen habe; er stimme diesem Ratschluss durchaus nicht bei. Darauf bat er den König unter Tränen um seine Entlassung; dieser jedoch stand lieber von seinem Beschluss wieder ab und forderte den hl. Thomas auf, ferner in seinem Rat zu bleiben.
War er aber als königlicher Beamter höchst pflichtgetreu, so wird er gewiß als Beamter Gottes, d. h. als Bischof es nicht minder gewesen sein. Er predigte auch als Bischof sehr fleißig und hörte Beichte. Dabei nahm er so wenig Rücksicht auf vornehmen Stand, daß er einen Offizier und Baron, Namens Reginald, exkommunizierte wegen öffentlich bekannter Versündigungen gegen das sechste Gebot, und ihn eher nicht in die Kirche aufnahm, bis er sich der gebührenden Buße unterzogen hatte. Ein anderer Baron, Roger von Clifford, hatte den Vorgänger des hl. Thomas im bischöflichen Amt während eines allgemeinen Krieges gefangen genommen, um Geld von ihm zu erpressen. Da er sich später mit der Kirche versöhnen wollte, brachte er dem hl. Thomas 1200 Gulden, um sich damit von der öffentlichen Buße loszukaufen. Allein dieser nahm es nicht an, sondern bestand darauf, daß Robert im Bußhemd und barfuß in der Kirche vor allem Volk sein Unrecht und seine Reue an den Tag legte, wie es auch Andere damals tun mussten, welche ähnliche Vergehungen auf sich hatten. Obschon der heilige Mann wegen seines scharfen Verstandes und großer Kenntnisse früher zum Staatskanzler vom König erwählt worden war, so wollte er doch aus Demut und Gewissenhaftigkeit nie etwas Wichtiges unternehmen, ohne darüber die Meinung seiner bischöflichen Räte gehört zu haben. Insbesondere aber hatte er mit äußerst großen Schwierigkeiten und selbst Gefahr die Rechte wieder errungen, welche seiner Kirche durch gewalttätige Ritter und Grafen entrissen worden waren. Einmal war Thomas sogar genötigt, nach Rom zu reisen, um die Rechte des Bistums gegen die Übergriffe des Erzbischofs Pakham von Canterbury zu verteidigen.
Thomas war schon Jahre lang der Kolik unterworfen; als er nun auf der Rückreise war, befiel ihn das alte Übel auf`s Neue. Von Alter, Kränklichkeit und Strapazen geschwächt, fühlte er, daß seine letzte Stunde gekommen sei. Nachdem er noch die hl. Sterbesakramente empfangen hatte, starb er selig mit den Worten: „In deine Hände empfehle ich meinen Geist.“
Es gibt mancherlei gute Werke und Vollkommenheiten, wodurch einzelne Heilige sich ausgezeichnet haben, welche aber nicht Jedermann unerläßlich notwendig sind, um Gott zu gefallen und selig zu werden. In dem Leben des heiligen Thomas von Cantilupe siehst du aber einfach und klar zusammen gestellt, was jeder Christ ohne Ausnahme haben muss, wenn er einst vor Gott bestehen will, nämlich:
Keuschheit, Mäßigkeit, überhaupt Beherrschung der sinnlichen Begierden; ferner wahre Frömmigkeit, die über Alles Gott sucht und will; ferner Demut und Liebe, welche den Menschen friedfertig, geduldig und barmherzig macht. Endlich wird unerläßlich gefordert, daß Jeder die Pflichten, welche sein Stand oder Beruf mit sich bringt, gewissenhaft und vollständig erfülle. Wie manche Teile am Körper so notwendig, daß das Leben unmöglich ist, wenn auch nur ein einziger fehlt, z. B. der Magen, das Herz, das Blut, das Gehirn; so kann man auch von jenen Tugenden sagen, daß jede derselben zum ewigen Leben durchaus notwendig ist. Wenn dir daher von all` den genannten Erfordernissen am Ende deines Lebens auch nur eine einzige mangelt, so kannst du nicht in den Himmel eingehen, wie du nicht gesund bist, wenn auch nur ein Teil deines Leibes krank ist. (siehe auch den Beitrag: Einige Zeichen der Auserwählung)-
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 4 Oktober bis Dezember, 1872, S. 4 – S. 9