Heiligenkalender
6. August
Der heilige Chremes Einsiedler
(Kindschaft Gottes)
Dieser ausgezeichnete Streiter Christi lebte zur Zeit, da die Insel Sizilien in der Gewalt der Sarazenen war. Über Vaterland, Eltern und die ersten Lebensjahre des hl. Chremes fehlen genauere Nachrichten. Da er älter war, wollte er sich ganz dem Dienet Gottes hingeben; um dieses besser ausführen zu können, zog er sich von allen zeitlichen Angelegenheiten zurück und wählte sich zum Aufenthalt eine wilde Einöde, in deren Nähe, aber erst viel später, die Stadt Frankavilla gebaut wurde. Hier ragt ein ungeheurer großer Felsen in die Höhe mit steilen Abstürzen von allen Seiten, der nur einen einzigen Zugang hat von der Abendseite her. Diese Felshöhe, noch von keiner Menschenhand angebaut, wählte Chremes zu seinem Aufenthalt, brachte hier dem Allhöchsten des Dankes Opfer dar für die empfangenen Wohltaten, betete Tag und Nacht, züchtigte den Leib mit Fasten und Wachen und mancherlei Strengigkeiten.
In den Zeitläuften, da Herzog Roger die Sarazenen bekriegte und in Sizilien umher zog, kam er auch einmal in die Nähe des Felsens, auf welchem Chremes sein übernatürliches Leben führte. Als der heilige Einsiedler solches merkte, dachte er, da sei ein Liebes-Erweis wohl am Platz; er solle einem herzog, der sich um die Angelegenheiten des Christentums so wohl verdient gemacht, entgegen gehen, ihm Glückwunsch darbringen wegen der Siege, welche er über die Feinde Christi errungen. Ja der heilige Einsiedler fühlte sich innerlich gemahnt seine Freude und sein Wohlwollen dem frommen Kriegsmann auch mit einigen Geschenken zu beweisen. Allein wie sollte ein Mann, der fern von allem menschlichen Verkehr in der Wildnis von allem entblößt lebte, was man sonst zum Lebensbedarf rechnet, wie sollte ein solcher Mann Geschenke aufbringen, die man einem Fürsten darbringen dürfte? Was sollte der halbnackte arme Einsiedler machen?
Der Apostel Paulus schreibt ausdrücklich und wiederholt, daß wer Christi Geist habe, der sei ein Kind Gottes, und wer ein Kind Gottes sei, der sei ein Erbe Gottes und Miterbe Christi, und ein solcher rufe: „Abba, Vater!“ Deshalb gibt es keinen Menschen in der Welt, welcher so reich ist als ein wahres Kind Gottes; denn ein solcher hat den vornehmen, reichsten und gütigsten Vater in der Welt. Zwar ist ihm die Fülle der Herrlichkeit aufgespart für das jenseitige Leben, wann die irdische Prüfung vorüber ist. Aber auch hier auf Erden reicht Gott seinen wahren Kindern Alles, was ihnen gedeihlich ist. Wir sehen daher oft, daß Gott manchem Heiligen, welcher Alles hergegeben hat um Christus nachzufolgen, selbst auf wunderbare Weise plötzlich das geschenkt hat, dessen er zu einem guten Zweck bedürftig war. Solches geschah auch hier, wo der fromme Einsiedler Chremes ein fürstliches Geschenk machen wollte. Mit kindlicher Zuversicht wendete er sich mit seiner Bitte zu dem himmlischen Vater, er möge ihm aus seiner reichen Schatzkammer etwas geben, das er dem christlichen Herzog zum Geschenk anbieten könne.
Was geschah? Als Chremes einige Zeit so gebetet hatte, schenkte ihm Gott den Gedanken und die Gewalt seinen Wunsch zu erfüllen. Chremes rief den wilden Tieren, welche im Wald sich aufhielten und die zur menschlichen Nahrung tauglich waren, z. B. Hirsche, Rehe, Hasen usw. Alsbald sammelte sich eine große Menge von verschiedenem Wildbret um ihn. Chremes ging nun den Herzog aufzusuchen, und die ganze Herde von Tieren lief mit ihm wie eine Herde Schafe. Als er den herzog mit seinem Kriegsvolk fand, grüßte er den Fürsten mit ehrerbietigem Gruß und bat ihn freundlich, die Tiere, welche er hierher gebracht habe, zum Geschenk anzunehmen. Roger und seine Soldaten waren höchst erstaunt über diesen Anblick, hatten aber auch ein außerordentliches Vergnügen daran. Endlich fragte der Herzog den hl. Einsiedler, was für Kunst und Mittel er angewandt habe, um diese wilden Tiere so folgsam zu machen. Da Chremes sagte, er habe sie alle mit einander aus den Höhlen und Waldungen zusammen gerufen, konnte es der Herzog fast nicht glauben; er hielt es nicht wohl für möglich, daß eine Herde wilder Tiere auf einmal alle Wildheit und Furchtsamkeit, die ihnen von Natur aus inne wohnt, gänzlich ablege und zahm werde. Da wandte sich Chremes, um die Macht Gottes darzutun, gegen die Tiere und sprach: „Weil Roger euch nicht zum Geschenk annehmen will, so geht wieder fort, und genießt wieder die Freiheit, worin ihr vorher gelebt habt.“ Sobald nun der heilige Mann den Segen über sie gesprochen hatte, liefen alle in lustiger Eilfertigkeit auseinander, jedes nach seinem gewohnten Aufenthaltsort. Roger erstaunte sos ehr über dieses Wunder, daß er alsbald vom Pferd sprang, sich dem Heiligen zu Füßen warf und sprach: „Weil dein Gebet offenbar bei Gott so große Geltung hat, so bitte ich dich, du mögest mich Sünder bei Gott empfehlen und viel für mich beten.“
Da nun das Gespräch zu Ende war, ließ sich Roger von dem Einsiedler auf den rauhen, schwer zugänglichen Felsen führen. Der Herzog sah, daß man hier eine schöne große Aussicht habe zu dem Berg Ätna und bis zum Meer, und daß der Platz überhaupt geeignet zu einem Kloster wäre. Da er nun ohnedies eifrig war, Gotteshäuser herzustellen, so sagte er zu Chremes: „Ich will hier ein Kloster bauen lassen und dasselbe mit all` dem Wald und den Feldern beschenken, die du hier siehst, damit die Mönche zu leben haben; du aber sollst dem Kloster vorgesetzt sein und die Regeln und Vorschrift der Lebensweise geben.“ Nachdem Roger sich noch einmal das Gebet des hl. Chremes empfohlen und seinen Segen erhalten hatte, kehrte er zu seinen Soldaten zurück. Auf seine Anordnung und seine Kosten wurde sodann das Kloster gebaut; es kamen aber viele, angezogen von dem Ruf der Heiligkeit, worin Chremes stand, um losgelöst von den Schlingen der weltlichen Geschäfte auf jenem Felsennest in Gottseligkeit die Freiheit der Kinder Gottes zu suchen.
Bevor der hl. Chremes eine Regel vorschrieb, suchte er durch sein eigenes Vorbild die Brüder auf dem Weg zur Vollkommenheit anzuleiten; dann aber führte er die Ordensregeln des hl. Basilius ein. Allein bei dem großen Zulauf kamen eben doch auch Leute, die bald von ihrem ersten Eifer abließen und des strengen Lebens überdrüssig wurden. Wenn aber der Mensch einmal nachläßt im religiösen Eifer und gleichsam schläfrig wird, so bekommt auch der böse Feind mehr Gewalt über ihn. So suchte auch der Teufel gerade jene lau gewordenen Brüder aufzuhetzen, sie sollen den strengen Alten, der ihnen nur das Leben schwer mache mit seinem harten Regiment, aus der Welt schaffen; sie könnten dann eher leben nach ihrem eigenen Gutbefinden. Sie faßten auch wirklich einen solche ruchlosen Plan. Als an fest gesetztem Tag Chremes vor dem Kloster einher ging, faßten sie ihn unversehens und stießen ihn über den senkrechten Felsen hinab.
Durch Fügung Gottes, damit ein Denkmal der Missetat und der göttlichen Hilfe übrig bliebe, prägte sich die Fußstapfe des hl. Mannes in den Felsen, wo er zuerst den Boden berührte. (Das Mal wurde in späteren Zeiten fortwährend von Wallfahrern besucht und angeschaut.) Die Missetäter freuten sich schon ihres ruchlosen Werkes, in der Meinung, den Greis nun von der Welt geschafft zu haben. Aber der gütige Gott, der stets über den Seinigen wacht, sandte dem treuen Diener seine Engel, die ihn unverletzt am Fuß des Berges nieder ließen. Durch diese abscheulicheTat wurde aber der sanftmütige Mann gar nicht erbittert, sondern las einen Bündel Holz zusammen, lud ihn auf den Rücken und kehrte ruhig in das Kloster zurück, wie wenn er nur ausgegangen wäre zum Besten der Mönche Holz zu holen.
Indem nun die schlechten Mönche, welche ihren geistlichen Vater hinab gestoßen, über ihre Schandtat frohlockten, erblickten sie plötzlich den tot geglaubten Chremes, der mit heiterem freundlichen Antlitz seine Brüder grüßte. Vor Erstaunen brachten sie fast kein Wort über ihre Zunge; sie wußten nicht ob sie träumten oder wachten, ob sie den Geist des Chremes sähen oder ihn selbst. Da sie endlich zu sich kamen und erkannten, wie sich die Sache verhalte und daß Chremes ein wahrhaft heiliger Mann sei, warfen sie sich zerknirscht und mit Tränen ihm zu Füßen, bekannten ihre Schandtat, baten um Verzeihung und erklärten, daß sie unwürdig seien ihn anzublicken und von ihm angeblickt zu werden. Der gütige Altvater vergab den Söhnen, die so zusammen weinten, ihr Vergehen; er gab allen den Friedenskuss und den Segen und wendete ihnen wieder seine frühere Liebe und Wohlwollen zu.
Als Chremes das Herannahen seines Todes fühlte, ließ er die Mönche zusammen kommen, und ermahnte sie inständig, sie möchten recht ernstlich sich bemühen, den Weg der Vollkommenheit zu wandeln und darauf zu beharren, ganz besonders aber die Liebe zu einander zu bewahren. Dann aber bat und beschwor er sie inständig, daß sie ihn nicht in einem ehrenvollen Grabmal beerdigen, sondern vor den Stufen der Kirche, damit alle, die zur Kirche gingen, mit Füßen auf ihn träten. Hierauf empfahl er Gott seine reine heilige Seele, und entschlief unter den Umarmungen und Küssen seiner Jünger. Wie lieb und angenehm Gott diese Selbst-Verdemütigung seines Dieners war, offenbarte sich durch ein Wunder. Denn es entsprang aus der Erde Schoß eine Quelle des klarsten Wassers gerade an der Stelle, wo der Leib des hl. Chremes beigesetzt wurde, und man sagt, daß alle Fieberkranke, welche mit Vertrauen davon trinken, die Gesundheit erlangen. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 3 Juni bis September, 1872, S. 206 – S. 210