Heiligenkalender
6. September
Heiliger Eleutherius Abt von St. Markus bei Spoleto
(Gefahr des Ruhmes)
Der hl. Gregor, jener berühmte Papst, dessen Geschichte du am 12. März gelesen, erzählt selbst in seinen Schriften das Leben des hl. Eleutherius in folgenden Worten:
„Eleutherius, der Vater des Klosters vom hl. Evangelisten Markus, welches vor den Mauern von Spoleto liegt, hat lange in dieser Stadt in einem Kloster mit mir Umgang gehabt und ist daselbst gestorben. Seine Schüler erzählen von ihm, daß er kraft des Betens einen Toten erweckt habe. Er war aber ein Mann von solcher Einfachheit und Zerknirschung, daß nicht zu zweifeln ist, daß die Tränen, die aus einem so demütigen und einfachen Herzen kamen, bei dem allmächtigen Gott Vieles erlangen konnten. Ich will nun ein Wunder von ihm erzählen, welches er mir auf meine Fragen einfach selbst erzählt hat.
Da er eines Tages auf der Reise war und er am Abend sonst keinen Ort zur Unterkunft fand, kehrte er in einem Kloster von Jungfrauen an; in diesem war ein kleiner Knabe, den der böse Geist jede Nacht zu plagen pflegte. Da aber die gottgeweihten Frauen den mann Gottes aufnahmen, fragten sie ihn und sprachen: darf jener Knabe diese Nacht bei dir bleiben? Eleutherius nahm ihn gütig auf und erlaubte, daß er die Nacht hindurch bei ihm liege. Da es aber Morgen geworden war, so fragten die Klosterfrauen den genannten Vater sorgfältig aus, ob ihm der Knabe, welchen sie ihm beigegeben hatten, in der Nacht etwas getan habe. Verwundert, warum sie ihn so fragten, antwortete er: Nichts. Nun teilten jene den Umstand desselben Knaben mit und erzählten, daß der böse Geist keine Nacht von ihm weiche, und baten inständig, daß Eleutherius ihn mit sich in sein Kloster nehme, weil sie bereits sein Geplagtwerden nicht mehr sehen könnten. Der Greis willigte ein; er führte den Knaben in das Kloster. Da dieser nun schon lange Zeit im Kloster war und bisher der alte Feind nicht mehr sich getraute zu kommen, so wurde das Herz des Greisen über die Befreiung des Knaben etwas übermäßig von Fröhlichkeit erfaßt; denn er sagte einst zu den Brüdern: „Brüder, der Teufel trieb seinen Spaß mit jenen Schwestern: da nun aber der Knabe zu den Dienern Gottes gekommen ist, wagt jener nicht mehr den Knaben anzufallen.“ Kaum war das Wort gesprochen, so wurde in der nämlichen Stund und Augenblick der Knabe vor allen Brüdern von dem Teufel ergriffen und gequält. Über diesen Anblick brach der Greis in wehklagen aus. Da ihn die Brüder lang zu trösten versuchten, antwortete er: „Glaubt mir, es wird heute keiner einen Bissen Brot in den Mund bekommen, wenn nicht jener Knabe dem Teufel entrissen wird.“ Hierauf begab er sich mit allen den Brüdern zum Gebet, und es ist so lange gebetet worden, bis der Knabe von der Besessenheit befreit war. Und zwar is er so vollkommen geheilt worden, daß der Teufel keinen neuen Anfall mehr wagte.“
Es ist eine schon tausendmal gemachte Erfahrung, daß, wenn man von Gott irgend eine Gnade empfangen hat, und man sich dieser Gnade rühmt oder überhaupt unnötiger Weise davon spricht, so verliert man sie gewöhnlich. Selbst Weltmenschen wissen dieses, insofern sie in Bezug auf zeitliche Güter oft Besorgnis zeigen, es zu beschreien. Sobald nämlich an einer Gnade Gottes, die wir besitzen, Selbstgefälligkeit und Eitelkeit sich bildet, so wird uns die Gnade Gift an der Seele, gleichsam Nahrung für die Sünde. Deshalb nimmt sie Gott dann hinweg. Sei deshalb sorgsam, über die Gnaden Gottes zu schweigen, und wo du glaubst, davon reden zu müssen, so tue es in einer Absicht und Art, daß nicht du, sondern nur Gott Ehre davon habe. –
Die kleine Eitelkeit, welche den hl. Eleutherius beschlichen hat, wurde wieder gesühnt durch die Reue, Demütigung und das eifrige Gebet. Andere haben keinen so heiligen Wandel und das Gebet frommer Brüder in die Waagschale zu legen, daß sie gleich dem hl. Eleutherius die verscherzte und entzogene Gnade wieder zurück rufen könnten.
Der hl. Gregor erzählt weiter:
„Wie groß die Gewalt des Gebetes dieses Mannes war, habe ich an mir selbst erfahren. Denn als ich zu einer gewissen Zeit im Kloster an großer Entkräftung litt und durch häufige Beengungen stündlich meinem Ende mich nahte, und die Brüder nur durch öftere Darreichung von Stärkungsmitteln verhinderten, daß mir der Lebensfunke nicht ganz ausging, kam der Ostertag. Da nun am heiligen Karsamstag, wo alle, selbst kleine Kinder fasten, ich nicht fasten konnte, so fing ich an, mehr durch den Kummer darüber, als durch die Leibeskrankheit dahin zu schmachten. Aber das traurige Gemüt fand bald Rat, indem ich den Mann Gottes heimlich in den Betsaal führte und ihn bat, er möge bei dem allmächtigen Herrn durch seine Bitte erwirken, daß mir an jenem Tag die Kraft zu fasten gegeben werde; was auch geschah. Denn bald, nachdem wir in den Betsaal eingetreten waren, begab er sich demütig und mit Tränen ins Gebet, und ging nach Vollendung desselben hinaus. Aber auf den Ruf seines Segens bekam mein Magen eine solche Stärkung, daß mir Speise und Krankheit ganz aus dem Sinn kam. Ich fing an, mit Verwunderung zu betrachten, wer ich jetzt sei und wer ich gewesen war, indem ich nichts mehr von dem fühlte, woran ich vorher litt. Ja, als es Abend wurde, war ich so kräftig, daß ich das fasten, wenn ich gewollt hätte, bis an den andern Tag aushalten hätte können. Ich machte auf diese Art an mir die Erfahrung, daß auch das von Eleutherius wahr sein werde, wo ich nicht selbst dabei gewesen bin.“
Außer dem, was der hl. Gregor hier erzählt, weiß man vom hl. Eleutherius keine genaueren Lebensumstände; … –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 3 Juli bis September, 1872, S. 393 – S. 396