Heiligenkalender
18. Dezember
Der selige Hermann, Soldat und Laienbruder im Karmel
(Wandeln in der Gegenwart Gottes)
Die Heiligen der zwei voran gegangenen Tage gehörten zu den Reichen der Welt; ihrem Reichtum wurde aber der Stachel und das Gift genommen durch die vielen Leiden, welche beide dulden mussten. (siehe den Beitrag: „Die heilige Adelheid“ sowie den Beitrag: „Die hl. Olympias“) Jetzt kommt ein Mann, der ganz arm gewesen ist und aus niederem Stand, der gleichfalls dasselbe Ziel erreicht hat, wie Adelheid und Olympias – denn die Heiligkeit ist eine Pflanze, die noch viel leichter in der Taltiefe der Armut gedeiht, als auf der Höhe des vornehmen Ranges.
Ein junger Soldat, Namens Hermann, betrachtete einmal im Winter einen Baum, wie er nackt da steht, später aber Blätter, Blüten und Früchte aus den dürren Zweigen hervor brechen – und an dem Baum stieg dann seine Betrachtung weiter hinauf zu dem Schöpfer, der all` dieses so geordnet hat – und in dieser Betrachtung entzündete sich eine große mächtige Liebe Gottes in seinem Herzen. Diese Liebe war aber nicht wie ein schnell abgebranntes Strohfeuer, sondern bewog ihn, ganz der Welt zu entsagen, und er meldete sich in einem Karmeliterkloster zu Paris, um als Laienbruder daselbst aufgenommen zu werden. Die ersten Jahre hatte er sehr schwer zu leiden von innerlicher Unruhe, Traurigkeit und angst, teils wegen seiner Sünden, teils wegen Zweifel, ob er auf dem rechten Weg sei. In dieser großen Not nahm er seine Zuflucht zum Gebet, zur Abtötung, zu Weinen und Wachen, und bekam zuletzt den tapferen Entschluss, er wolle dieses Elend selbst in Ewigkeit tragen, wenn es Gott so gefällig sei. Nach diesem innerlichen Opfer zerteilte sich gleichsam das finstere Gewölk in der Seele, und die süßesten Gnaden strahlten freundlich hinein.
Ich will nun einige Sätze aus seinen Briefen anführen, worin er seinen Zustand schildert:
„Alles, was ich mit leiblichen Augen sehe, kommt mir vor, wie Träume und Gespenster; was ich aber mit den Augen des Geistes sehe, ist mir allein wahres Gut und Freude. Ich trachte darnach, stets in der heiligen Gegenwart Gottes mich zu halten durch einfältiges Aufmerken und liebevolles Aufsehen zu Gott; es ist dieses ein stummes geheimes Unterreden der Seele mit Gott, was mir oft unsägliche Wonne verursacht. Seit langen Jahren ist es mir ebenso unmöglich, nicht fortwährend an Gott zu denken, als es mir anfangs schwer gewesen, mich daran zu gewöhnen!“
Wie nun ein Kristall oder ein Tautropfen, wenn die Sonne hinein strahlt, selbst sonnig wird: so bekam der selige Hermann durch den unaufhörlichen Umgang mit Gott selbst göttliche Art. Er wurde sehr sanft, und hatte das aller redlichste, aufrichtigste Herz. Jedermann wurde von Hochachtung und Liebe zu ihm erfaßt, der sein holdes Antlitz, sein leutseliges freundliches Wesen, seinen einfachen sittlichen Wandel sah. Er war besonders darauf bedacht, in seinem Benehmen keine Sonderlichkeit zu zeigen, und wollte sich nicht von den Brüdern unterscheiden; ja zuweilen tat er absichtlich etwas Einfältiges oder Kindisches, um seine Tugend demütig zu verbergen.
Hermann musste mehrere Jahre lang die Klosterküche besorgen; dies Geschäft war ihm von Natur sehr zuwider; aber nachdem er sich gewöhnt hatte, bei Allem Gottes Gnade zu Hilfe zu rufen und es aus Liebe Gottes zu tun, ist ihm Alles sehr leicht geworden. So machte es ihm auch viel Vergnügen, als ihm später das Geschäft aufgetragen wurde, Schuhe und Sohlen zu flicken, weil er auch dieses aus Liebe zu Gott tat. Für ihn machte überhaupt die Zeit des Gebetes und die Zeit der Arbeit keinen Unterschied, weil sein Geist auch bei der Arbeit stets in Gott war; er sagte selbst: „Ich besitze Gott so ruhig in den unruhigen Geschäften der Küche, wo oft viele Personen verschiedene Dinge auf einmal von mir fordern, als wenn ich vor dem Altar auf den Knien liege. Und es ist nicht notwendig, große Dinge zu verrichten. Ich wende einen kleinen Pfannkuchen in der Pfanne aus Liebe zu Gott um; wenn derselbe fertig ist und ich sonst nichts zu tun habe, werfe ich mich zur Erde und bete meinen Gott an, von welchem mir die Gnade gekommen selbigen zu machen, und dann richte ich mich wieder auf, viel vergnügter als ein König. Wann ich nichts Anderes kann, so ist es mir genug, einen Strohhalm aus Liebe zu Gott von der Erde aufzuheben.“
Da Hermann einst krank lag, besuchte ihn der berühmte Erzbischof Fenelon und fragte, was er wählen würde, wenn Gott ihm anböte: entweder noch länger zu leben, um seine Verdienste zu vermehren, oder ihn jetzt gleich in den Himmel zu nehmen: Der gute Bruder antwortete ohne sich lange zu besinnen: „Ich würde Gott die Wahl überlassen und in Frieden warten, was er beschließt.“ Seine Liebe zu Gott war so rein, daß er wünschte, Gott möchte nicht alle Werke, die er ihm zu Ehren tue, gewahr werden, damit er ihn dafür nicht belohnen könnte. Ungeachtet aber der seligen Stunden, die er in der Gegenwart Gottes zubrachte, verglich er sich mit einem Verbrecher, der an der Tafel seines Königs ißt und trinkt und von diesem bedient wird, und doch in Ungewissheit und Bangigkeit schwebt, ob ihm vergeben sei.
Der Bruder Hermann wurde sehr alt und sagte manchmal in seiner Gottseligkeit, sein Hauptleiden bestehe darin, daß er kein Leiden habe. Endlich schickte ihm Gott eine sehr schmerzliche Krankheit. Da ließ er sich absichtlich auf die rechte Seite legen, weil ihm diese Lage am meisten Schmerzen verursachte, und er auf diese Art seine Begierde zu leiden mehr befriedigen konnte. Er sagte auch, wenn es Gott gefiele, wolle er diese Schmerzen tragen bis zum jüngsten Tag; ja, wenn man Gott in der Hölle lieben könnte, so würde er nichts darnach fragen in die Hölle zu kommen, die Gegenwart Gottes würde ihm dann die Hölle zum Paradies machen. Als Hermann oder, wie er mit seinem Klosternamen hieß, Bruder Lorenz dem Sterben nahe war, fragte ihn ein Geistlicher, was er jetzt mache. Da antwortete der Sterbende: „Ich tue jetzt, was ich in alle Ewigkeit tun werde – ich preise Gott, ich lobe Gott, ich bete ihn an und liebe ihn von ganzem Herzen!“ Dann schlummerte er ohne allen Todeskampf ins ewige Leben hinüber.
Zum Schluss noch einige Grundregeln, die der selige Hermann aus Erfahrung aufgestellt hat, wie man sich übt, in der Gegenwart Gottes zu wandeln:
„Die heiligste und notwendigste Übung im geistlichen Leben ist die göttliche Gegenwart, daß man nämlich seine Lust habe und sich gewöhne an die Gesellschaft Gottes, ihn demütig anspreche und sich mit liebreicher Zuneigung des Herzens mit ihm unterrede, und zwar zu allen Zeiten, ja alle Augenblicke, ohne Maß, besonders zur Zeit der Versuchung, der Widerwärtigkeit, der Dürre, der Verlassenheit, ja auch mitten in unserer Untreue und Sünden.
„Wir müssen während unserer Arbeit und andern Verrichtungen, auch unter dem Lesen und Schreiben, selbst unter äußerlichen Andachtsübungen und mündlichen Gebeten, hie und da, ja so oft wir können, einen Augenblick aufhören, um Gott in dem Grunde unseres Herzens anzubeten und ihn daselbst, wenn auch nur im Vorbeigehen und verstohlener Weise, inne zu werden, zu loben, anzurufen, das Herz aufzuopfern und zu danken.
„Diese Anbetungen müssen geschehen in und durch den Glauben, daß wir nämlich glauben, daß Gott wahrhaftig in unserm Herzen gegenwärtig ist; daß er im Geist und in der Wahrheit müsse angebetet, geliebt und ihm gedient werden; daß er Alles sieht, was in uns und in allen Kreaturen geschieht und geschehen wird; daß er von nichts abhänge und alle Kreaturen von ihm abhängen; daß er unendlich ist in allen seinen Vollkommenheiten, der wegen seiner unendlichen Hoheit und höchsten Herrschaft würdig ist zu schalten und zu walten über uns und über Alles, was im Himmel und auf Erden ist, nach seinem Wohlgefallen in Zeit und in Ewigkeit, so daß wir von Rechts wegen alle unsere Gedanken, Worte und Werke ihm schuldig sind.
„Was kann Gott angenehmer sein, als daß wir auf diese Art tausendmal den Tag über alle Kreaturen verlassen, um in unser Inwendiges einzukehren und zu rezitieren, ihn all da anzubeten. Zu geschwiegen, daß die Eigenliebe dadurch ausgerottet wird, weil selbige nicht bestehen kann als nur in den Kreaturen, wovon uns viele inwendige Einkehrungen zu Gott allmählich, und ohne daß wir es selbst wissen, los und frei zu machen.
„Das Mittel, auf solche Weise die Gegenwart Gottes zu erlangen, ist eine große Reinigkeit des Herzens, da man andächtig darüber wacht, daß man nichts tue, rede oder denke, welches Gott mißfallen könne; und wenn solches etwa geschehen wäre, daß man ihn dann demütig um Vergebung bitte und Buße darüber tue. Das Zweite ist eine große Treue in Übung dieser Gegenwart und des inwendigen Anschauens Gottes im Glauben, welches allezeit auf eine sanfte, demütige und liebreiche Weise geschehen muss, ohne einiger Störung oder Unruhe in sich Platz zu geben. Diejenigen, welche sich hierin zu üben anfangen, mögen innerlich einige wenige Worte gebrauchen, z. B.: Mein Gott! ich bin ganz dein eigen. O Gott der Liebe! dich liebe ich von ganzem Herzen. Herr, mache mich nach deinem Herzen! – oder sonst andere Worte, welche die Liebe eingibt. Sich in der Gegenwart Gottes also zu üben, macht zwar im Anfang ein wenig Mühe; aber wenn es fleißig geübt wird, bringt es heimlich wunderherrliche Wirkungen in der Seele hervor und macht, daß die Gnaden Gottes sich reichlich über sie ergießen, und die brennende Liebe Gottes Alles in der Seele verzehrt, was ihm zuwider sein kann.“ –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 3 Juli bis September, 1872, S. 461 – S. 465