Diamant oder Glas – Allen Christen zum Betrachten vorgelegt (1851)
2. Das 6. Kapitel bei Johannes – Wer von diesem Brot ißt, wird ewig leben
Hier wird erzählt, wie Jesus mit wenigen Broten mehrere tausend Menschen, so viele Menschen als etwa in einer Stadt wohnen, gespeist hat, und zwar dergestalt, daß noch zwölf Körbe voll übrig blieben. Indem er das Brot durch die Apostel austeilen ließ, bewirkte er, daß es sich in ihren Händen bei dem Austeilen vermehrte.
Dadurch, daß Jesus auf eine solche wunderbare Weise dem Leib Nahrung verschaffte, hatte er es glaubhaft gemacht, daß er auch auf wunderbare Weise der Seele Nahrung verschaffen könne, und zwar auch wieder durch die Hand der Apostel und ihrer Nachfolger. Auf den Abend, da seine Jünger über den See fuhren, sahen sie ihn während eines heftigen Sturmes mitten auf dem tiefen Wasser einher wandeln; er nahte sich ihrem schiff und stieg hinein.
Dadurch hat Jesus gezeigt, daß die schwere, der Anprall des Sturmes, überhaupt die Gesetze der Natur über seinen Körper nicht wie über unsere Körper Gewalt ausüben können, wenn er es für angemessen halte, sich über die Ordnung der Natur hinaus zu setzen.
Den andern Tag, als ihm die Juden wieder zugeströmt waren aus Begierde, mehr auf solche wunderbare Weise genährt zu werden, sprach nun Jesus Worte, welche die Juden und Jünger nicht verstehen konnten, die aber eine Prophezeiung und Verheißung von dem waren, was ein Jahr hernach wirklich wurde. Jesus sprach Vers 51 und 52: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel kommt; wer von diesem Brot ißt, der wird ewig leben. Und zwar ist das Brot, das ich geben werde, mein Fleisch, das ich hingeben werde für das Leben der Welt.“
Nun suche einmal in der ganzen Welt etwas, welches Brot ist, welches lebendig ist, welches vom Himmel kommt, welches auch Fleisch ist, und welches zugleich auch eine menschliche und göttliche Person ist, nämlich der gekreuzigte Heiland Jesus Christus selbst, und welches endlich gegessen werden soll, damit man ein besonderes Leben bekomme, welches andern Menschen nicht zu teil wird. Der Protestant weiß nichts von einem solchen geheimnisvollen Brot; deshalb macht er künstliche Deutungen von diesen Worten des Heilandes, so daß die Worte nicht gelten, was sie sagen. Hingegen in der katholischen Kirche wird etwas gefunden und geglaubt und verehrt, auf das alle obigen Worte des Herrn eintreffen, nämlich die geweihte Hostie. Sie ist für die Sinne Brot, sie ist für den Glauben Fleisch, sie ist nämlich das Wesen Jesu Christi selbst, der vom Himmel gekommen und sich aufgeopfert hat; sie ist also lebendig und nährt das höhere Geistesleben. –
Wenn nun die Lehre der Protestanten vom Abendmahl wahr ist, so gelten die Worte Jesu nichts, wie er sie gesprochen hat; wenn aber die Lehre der katholischen Kirche wahr ist, dann ist Jesus Christus wahrhaftig lebendiges Brot, das vom Himmel gekommen ist, und jenes Brot ist das Fleisch, der Leib, den er an das Kreuz gegeben hat. Wem willst du glauben?
Diese Worte des Herrn konnten die Juden freilich zu der Zeit, als sie gesprochen wurden, noch nicht verstehen; aber sie konnten denken: Wer so große Wunder getan hat, wie wir gesehen haben, der ist von Gott gesendet und spricht auf jeden Fall die Wahrheit; wir wollen daher seinen Worten glauben, wenn wir sie auch nicht verstehen, und wollen abwarten, bis er sich deutlich darüber erklärt. Allein der Menschengeist ist voll Hochmut, so armselig er auch ist; er will sich nicht beugen unter das Wort der Offenbarung, wenn er nicht begreift. Die Juden achteten alle Wunder des Herrn nicht mehr, sondern hielten sich über seine Worte auf als eine sonderbare, unsinnige Rede. Die Heilige Schrift sagt Vers 53: „Hierüber zankten sich die Juden miteinander und sprachen: Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?“
Was wird Jesus bei dieser mißliebigen Aufnahme tun? Er wird sich bestimmter erklären, wie seine Worte zu verstehen sind. Wenn er es gemeint hat, wie die Protestanten es verstehen, so wird er sagen: „Seid nicht so unverständig, an das Essen meines Fleisches zu denken; ich werde nur ein Mahl einsetzen, wobei man Brot isset und dabei an mich denkt.“ Wenn aber der Herr seine Worte so gemeint hat, wie sie die Katholiken verstehen, so musste er gerade so sprechen, wie er nun wirklich in den folgenden Versen gesprochen hat. Es heißt Vers 54: „Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esset und sein Blut nicht trinket, so habt ihr kein Leben in euch.“ Vers 56: „Denn mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise, und mein Blut ist wahrhaft ein Trank.“ Wem willst du glauben?
Nun begab sich eine Scheidung. Solche, die mehr ihrem eigenen Kopf glaubten als den unbegreiflichen Worten des Heilandes, sagten: „Das ist eine harte Rede; wer kann sie anhören?“ Darauf sagte ihnen Jesus etwas anderes, was ebenso unerhört und unbegreiflich war und dreiundvierzig Tage nach Stiftung des heiligen Abendmahles geschah. Er sprach: „Ist euch dieses anstößig? Wie dann, wenn ihr den Menschensohn sich dahin erheben sehen werdet, wo er zuvor war?“ Er wollte sagen: So gewiß, als ich sichtbar in den Himmel mit meinem Leib aufschweben werde, obschon es dem Menschenverstand unmöglich scheint, so gewiß ist mein Fleisch eine speise für die Menschen. Und ein so großes Wunder die Himmelfahrt ist, ein so großes ist mein Herabkommen in das Abendmahl. Allerdings ist der Leib des Herrn im Abendmahl nicht ein sinnlicher Leib, der solche Gestalt, Natur und Umfang hat wie unser Leib, sondern er hat eine Beschaffenheit wie die Leiber nach der Auferstehung, welche der Apostel Paulus (1. Kor. Kap. 15) unverweslich, herrlich, kraftvoll, geistig, himmlisch nennt. Darum sagt der Herr (Joh. 6, 64): „Der Geist ist es, der Leben gibt, das Fleisch ist ohne Nutzen. Die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und Leben.“
Diese Worte bedeuten: wenn man irdisches Fleisch ißt, so ist dasselbe von einem Leib genommen, aus welchem das Leben ausgetrieben wurde, man ißt also Fleisch ohne Leben und ohne Geist, totes Fleisch; das Fleisch, welches ich euch aber gebe, ist durchdrungen von geist und Leben, es ist lebendig und mit Geist beseelt und hat nur seinen Nutzen durch das Leben darin.
Es kann sein, daß Jesus noch mehreres bei dieser Gelegenheit gesprochen hat, was in der Heiligen Schrift nicht aufgeschrieben ist; auf jeden Fall aber haben die Jünger seine Erklärung nicht erträglicher und begreiflicher gefunden; denn viele hielten seine Rede für so widersinnig, daß sie von dieser Zeit an zurück traten und sich nicht mehr zu ihm hielten. Jesus ist aber der Hirt, welcher dem verlorenen Schaf nachgeht. Wenn daher seine Worte nicht vom wirklichen Essen seines Lebens zu verstehen gewesen wären, so hätte er nicht so viele eines Missverständnisses wegen fortgehen und abfallen lassen; es wären dem Heiland die paar Worte nicht zu viel gewesen, um den zweifelhaften Jüngern zu sagen, es sei nur ein Gleichnis gewesen und sinnbildlich zu verstehen. Statt sie aber zurück zu rufen und eine andere, mildere Erklärung zu geben, so sprach Jesus zu den Zwölfen: „Wollt auch ihr weggehen?“ – Da gab Simon Petrus die schöne Antwort: „Herr, zu wem wollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir glauben und erkennen, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“
Die Juden und viele der Jünger glaubten nicht an die Worte des Heilandes, weil sie dieselben nicht begreifen konnten; hingegen die Apostel konnten sie auch nicht begreifen, glaubten aber dennoch, weil sie ihn für den Sohn Gottes erkannten. Wem gleichen die Protestanten, welche die Rede Christi zu hart finden und sie deshalb anders auslegen, und wem gleicht die katholische Kirche, welche festhält an dem Wort des Herrn: „Mein Fleisch ist wahrhaftig eine Speise“?
Willst du zu den Juden und Jüngern und den Protestanten halten, welche die Rede des Herrn zu hart finden – oder willst du zu Petrus und zur katholischen Kirche halten, welche treu glaubt und festhält, was und wie der Herr gesprochen hat? –
aus: Alban Stolz, Gesammelte Werke, Kleinigkeiten, Erste Sammlung, 1909, S. 55-59
Fortsetzung: Die Einsetzung des heiligen Abendmahles