Diamant oder Glas – Allen Christen zum Betrachten vorgelegt (1851)
3. Die Einsetzung des heiligen Abendmahles
Die drei ersten Evangelisten erzählen dieselbe gleichmäßig. Ich will ihre Worte hier zusammen stellen; den Leser bitte ich aber, sie so zu lesen, wie wenn sie ihm zum ersten Mal als etwas ganz Neues vorgelegt würden. Die Worte sind zu finden Mt. 26, 26-28; Mk. 14, 22-24M Lk. 22, 19 20.
„Da sie nun aßen, nahm Jesus das Brot, dankte, segnete und brach es, gab es seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset, dieses ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Dieses tut zu meinem Andenken. Darauf nahm er den Kelch, dankte und gab ihnen denselben und sprach: Trinket alle daraus, denn dieses ist mein Blut, das Blut des Neuen Bundes, welches für viele zur Vergebung der Sünden vergossen wird.“
Wenn du nun auch bei diesem Mahl gewesen wärest, wie hättest du dieses verstanden? Du hättest es verstanden, wie du selber bist. Je weltlicher und hochmütiger du bist, desto weniger hättest du den Worten des Heilandes buchstäblich geglaubt. Deine Augen sagen: „Dies ist Brot und Wein; Christus sagt: „Dies ist mein Leib und Blut.“ Wenn du also deinen Herrn nicht zum Lügner machen willst, und doch lieber deiner Sinnlichkeit glaubst als ihm, so gibt es keinen andern Ausweg, als du musst allerlei Deutung ersinnen, als seien die Worte des Herrn nicht buchstäblich gemeint, obschon alle drei Evangelisten sie gleichmäßig erzählen.
Wenn du hingegen ein wahrhaft frommes, treues Gemüt hast, so wirst du nicht künstlich an den Worten des Herrn deuten. Er hat selbst eine Anweisung gegeben, wie man seine Worte nehmen und auslegen soll. Lk. 18, 17 sagt er: „Wahrlich, ich sage euch, wer das Reich Gottes nicht wie ein Kind aufnimmt, der wird nicht hinein kommen.“ Was aber der Herr vom heiligen Abendmahl sagt und was dabei geschieht und ist, gehört zum Allerwichtigsten des Reiches Reiches Gottes. Wie wird nun ein Kind die Worte des Herrn auslegen: „Dieses ist mein Leib“? Wird das Kind allerlei Auslegungen machen, wie Luther, Karlstadt, Calvin, Zwingli gemacht haben, oder wird es einfältig und buchstäblich die Worte des Herrn nehmen, wie er sie gesprochen hat, nämlich daß in der Brotsgestalt wirklich der Leib Christi auf wunderbare Weise enthalten ist?
Das Kind wird buchstäblich die Worte des Herrn annehmen und glauben, wie die katholische Kirche buchstäblich sie annimmt und glaubt. Und die katholische Kirche nimmt und glaubt die Worte des Herrn wie ein Kind. Wer aber in protestantischer Weise von bloßer Bedeutung spricht und künstliche Deutungen macht, der nimmt das Reich Gottes nicht wie ein Kind auf.
Es ist auch merkwürdig in der Heiligen Schrift, daß der Heiland nicht ein einziges Mal bei einem Menschen den Glauben als zu groß oder übertrieben tadelt, wohl aber fort und fort rügt, daß zu wenig Glauben vorhanden sei. Er tadelte den Nikodemus, daß dieser eine Wiedergeburt aus Wasser und dem Heiligen Geist für unmöglich hielt. Er tadelte die Jünger, daß sie nicht verstehen und glauben wollten, was er ihnen von seiner eigenen Auferstehung sagte. Hingegen hat er jedesmal Wohlgefallen und Lob ausgesprochen, so oft ein Mensch ungewöhnlich starken Glauben zeigte, zum Beispiel über die blutflüssige Frau, welche glaubte, durch Berührung seines Kleides gesund zu werden, über den Hauptmann, welcher gesprochen hat: „Herr, ich bin nicht würdig, daß du unter mein Dach eingehst; sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“
Nun hat der Heiland auf die bestimmteste Weise versichert, was im heiligen Abendmahl die Gestalt von Brot habe, sei sein Leib, und sein Leib sei wahrhaftig eine Speise, und so glaubt der Katholik; der Protestant läßt aber die Worte des Herrn nicht gelten, sondern disputiert sie gleichsam hinweg, indem er sie wendet, kehrt und deutet.
Wir wollen aber den Fall setzen, die Katholiken hätten sich doch geirrt, und das heilige Abendmahl sei nicht wahrhaft der Leib und das Blut Christi: wie würde es dann beim Gericht gehen, da man auch wegen des Glaubens gerichtet wird? Der Heiland könnte dem Katholiken keinen Vorwurf machen über seinen Irrtum. Wohl aber könnte der Katholik dem Heiland einen Vorwurf machen, er könnte sagen: „Herr, du hast gefordert, daß man deinen Worten glauben soll, das habe ich getan. Wenn ich geirrt habe, so bist du schuld; du hast in deiner Allwissenheit voraus gewußt, daß die Millionen und Millionen Katholiken auf deine Worte hin glauben werden, daß du selbst mit deinem ganzen Wesen unter der Gestalt des geweihten Brotes zugegen bist, und daß sie eben deshalb die Hostie anbeten werden. Warum hast du nicht andere Worte gebraucht, warum hast du nicht gesagt: Dieses bedeutet meinen Leib? Wenn es dein Leib nicht war, so bist du also schuld, daß die vielen Millionen Katholiken auf Erden eine leere Hostie, ein Stückchen Brot anbeten, als Götzendiener geworden sind.“ Erasmus von Rotterdam sagt deshalb mit Recht: „Ich habe mich noch nie bereden können, daß Christus, der die Wahrheit und die Liebe ist, so lange seine geliebte Kirche in einem solchen abscheulichen Irrtum stecken haben lassen, daß sie statt seiner ein Stückchen Mehl anbete.“
Wenn hingegen der Protestant unrecht hat mit seiner Deutung, so kann er sich mit nichts entschuldigen, wenn ihm der Herr vorwirft: „Warum hast du meinen Worten ‚Dieses ist mein Leib‘, nicht geglaubt? Wer hat dich geheißen, sie anders zu deuten, als ich sie gesprochen habe? Es fällt kein Sperling vom Dach ohne Wissen und Willen Gottes; du hättest denken können, daß auch kein Wort von meinen Lippen gefallen sein wird, in dem wichtigen Augenblick, wo ich das Abendmahl einsetzte, das nicht wohl gewogen und genau überlegt war.“
Deshalb geht auf jeden Fall nur der Katholik sicher. –
aus: Alban Stolz, Gesammelte Werke, Kleinigkeiten, Erste Sammlung, 1909, S. 59-62
Fortsetzung: Der hl. Paulus über das Abendmahl