Heiligenkalender
23. April
Seliger Ägidius von Assisi, Franziskaner
(Pflicht zu arbeiten)
Zur nämlichen Zeit, da der hl. Franziskus von Assisi, der Stifter des Franziskaner-Ordens, erweckt wurde, ein wunderbares, höchst armes und zugleich höchst reiches Leben zu führen, weckte Gott denselben Geist in einem andern Mann, Ägidius,d er auch zu Assisi wohnte, ohne daß beide vorerst von einander wußten. Als Ägidius später von dem hl. Franziskus reden hörte, suchte er denselben auf und begehrte von ihm als Lehrling zu einem heiligen Leben angenommen zu werden, was mit Freuden geschah.
Nachdem Ägidius bald ein wahrer Jünger und Nachfolger des hl. Franziskus geworden war, wurde ihm Rom zum Aufenthalt angewiesen. Seinem Gelübde gemäß lebte er hier von der Arbeit seiner Hände. Bevor er jedoch sich dazu anschickte, hörte er regelmäßig vorerst die hl. Messe; dann ging er in einen von Rom weit entfernten Wald, sammelte daselbst Holz, trug es zum Verkauf in die Stadt und verschaffte sich vom Erlös die notwendige Nahrung. Einmal kaufte ihm eine Frau das Holz ab und wollte ihm, da sie bemerkte, daß er zu einem Orden gehöre, mehr als den Kaufpreis geben. Allein er wies es zurück und sprach: „Ich will mich nicht von Habsucht einnehmen lassen.“ Desgleichen wenn er in der Erntezeit Ähren auflas und ihm Jemand Getreide dazu schenken wollte, nahm er es nicht an, indem er sprach: „Ich habe und will keine Vorratsscheuer.“ – Übrigens gab es keine Arbeit, welche zu verrichten er sich geschämt hätte; so z. B. trug er in der Weinlese die Trauben in die Trotte oder machte das Obst von den Bäumen herab. Was er auf solche Weise verdiente, verwendete er zu seinem notwendigsten Lebensunterhalt und für die Armen. Wenn er aber im Taglohn arbeitete, so bedingte er sich immer einige Stunden aus, um sie zum Gebet zu verwenden.
Ägidius wollte nicht nur arm sein, sondern auch selbst das zum Leben Notwendigste sich nicht schenken lassen, vielmehr es durch nützliche Arbeit verdienen. Ein Kardinal, Namens Nikolaus, verehrte so sehr die große Gottseligkeit des Ägidius, daß er inständig ihn bat, bei ihm zu wohnen und zu essen. Ägidius ließ sich jedoch nicht dazu bewegen, weil er lieber von der Arbeit seiner Hände sich ernähre. Da begehrte der Kardinal dringend, Ägidius möge wenigstens an seinem Tisch verzehren, was er sich an täglichem Unterhalt erworben. Ägidius willigte ein und brachte täglich sein Brot an den Tisch des Kardinals und aß es daselbst. Da nun einmal ein heftiger Regen den seligen Ägidius verhindert mit Arbeit etwas zu verdienen, sagte der Kardinal freudig lachend: „Heute bist du jetzt doch genötigt, von mir dich gastieren zu lasen.“ Allein Ägidius ging in die Küche zum Koch und sprach: „Was hast du für eine unsaubere Küche; um zwei Brote will ich sie auskehren.“ Dem Koch war dieses Anerbieten recht. Als es nun Zeit zum Essen war, brachte Ägidius seine zwei durch Arbeit erworbene Brote an den Tisch des Kardinals und vereitelte so dessen Hoffnung, daß Ägidius von ihm etwas annehmen werde. Ein anderes Mal wieder bei schlechtem Wetter reinigte Ägidius gleichfalls für zwei Brote dem Koch die Messer.
Einst, da die Fastenzeit heran nahte, wollte Ägidius an einem abgelegenen Ort ruhiger der Andacht sich hingeben. Er begab sich daher mit einem gleichgesinnten Bruder in eine abgelegenen Gebirgsgegend zu einer Kapelle des hl. Lorenz. Aber hier gab es keine Gelegenheit, durch Arbeit das Notwendige sich zu erwerben, und die Leute dort kannten die Brüder nicht und schenkten ihnen nichts, zumal da eine große Teuerung damals herrschte. Nach drei Tagen fiel auch ein so großer Schnee, daß Ägidius und sein Gefährte nicht einmal zurück kehren konnten. Allein sie verloren das Vertrauen nicht, daß Gott barmherzig helfen werde, und hielten deshalb Tag und Nacht Gebete und Lobgesänge mit einander. Da kam einem frommen Mann im benachbarten Dorf plötzlich der Gedanke, er solle Brot und Wein an jenem Ort hintragen, wo Ägidius sich aufhielt, vielleicht sei ein Diener Gottes dort. Da er nun wirklich die beiden Männer in der größten Dürftigkeit fand, kehrte er ins Dorf zurück und sagte es den übrigen Bewohnern. In kurzer Zeit brachten nun diese ihnen so viel Brot, daß sie für die ganze Fastenzeit versorgt waren. Indem Ägidius diese große Gnade Gottes sah, sprach er zu seinem Begleiter: „Bisher haben wir Gott um Hilfe angerufen; jetzt müssen wir auf`s Neue beten, nämlich Dank und Lob sagen für die empfangenen Gaben und daß Gott auch unsere Wohltäter segnen möge.“ So taten sie dann auch die ganze Fastenzeit hindurch.
Der Apostel sagt einmal: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Es ist nämlich fast Alles, was wir essen, durch die Arbeit der Menschen erzeugt; bedenke z. B. nur, wie viele Menschen und Hände gearbeitet haben, bis das Stück Brot, welches du verzehrst, bereitet war. Du verzehrst also mit der Speise gleichsam die Arbeit, ja oft den Schweiß deiner Nebenmenschen; eben deshalb fordert es das Recht und die Ordnung Gottes, daß du auch in der Welt arbeitest und Andern nützest. Dieses hat der selige Ägidius getreu eingehalten; obschon er äußerst wenig brauchte zu seiner Nahrung, so wollte er selbst dieses nicht annehmen, ohne daß er dafür gearbeitet hatte, selbst dann nicht, wenn man es ihm schenken wollte. Und wo er durch die Umstände genötigt war, auch ohne geleistete äußerliche Arbeit Brot von Andern anzunehmen, hat er dennoch dafür gearbeitet und es entgolten, er hat nämlich dafür gebetet. Wenn du daher auch reich bist, oder du deine Nahrung sonst bekommen kannst ohne zu arbeiten: so ist es dir doch nicht erlaubt ohne Beschäftigung zu bleiben. Denn wer ißt und trinkt und verbraucht, was Andere durch Arbeit hervor gebracht haben, und selbst in keiner Weise sich beschäftigt den Menschen nützlich zu sein, der gleicht auf Erden vollkommen dem Ungeziefer, das nur aufzehrt und selbst ganz unbrauchbar ist. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S. 102 – S. 104