Heiligenkalender
23. Mai
Der heilige Desiderius Erzbischof von Vienne
(Gericht diesseits)
In der Zeit des alten Testaments hat Gott Verheißungen gegeben für dieses Leben und hat sie auch vollführt, d. h. Gott hat die Belohnung und die Strafe großenteils in dieser Welt dem Menschen schon zugesandt, je nachdem er Gutes oder Böses getan hatte. Das neue Testament aber hat dem menschlichen Geist eine weitere Aussicht gestellt, ihn nämlich verwiesen auf die Ewigkeit, und daß dort erst Alles seine volle unendliche Vergeltung finden werde. Dennoch läßt Gott in jedem Ort von zeit zu Zeit ein handgreifliches Strafgericht über solche Menschen herein brechen, welche recht grob und frech die göttlichen Gesetze gleichsam verhöhnt haben. Gott will denen, die schwach und wankend im Glauben sind, dadurch bisweilen wieder sichtbar zeigen, daß ein allwissender gerechter Gott über den Menschen waltet. Es kommt z. B. sehr oft vor, daß nach einem falschen Eid, nach einer frechen Lästerung, oder bei grober Trinksucht ein schneller Tod erfolgt; ähnliche Strafen folgen oft auch bei andern öffentlichen Sünden. Solche Beispiele des handgreiflichen Gottesgerichtes sind schon zwei in der Legende dieses Monats vorgekommen, nämlich an dem Mörder des hl. Stanislaus (7. Mai) und an dem Mörder des hl. Johann von Nepomuk (16. Mai). Auch in der Geschichte des Heiligen vom heutigen Tag erscheint die Vergeltung schon auf dieser Welt.
Zur Zeit, da Gregor der Große Papst war (siehe 12. März), kam der König Siegebert von Burgund, als er gerade gegen seinen Bruder sich zum Krieg rüstete, meuchelmörderisch um das Leben. Die Ehefrau des Ermordeten, Brunehilde, soll so schlecht gewesen sein, daß sie darauf mit dem Sohn ihres Schwagers in blutschänderischer Verbindung gelebt habe. Damals war der hl. Desiderius Erzbischof von Vienne, der Hauptstadt des Reiches. Gerade weil er aber ein heiliger Priester war, konnte und durfte er nicht schweigen, zumal da die Königin auch sonstige Schlechtigkeiten sich zu Schulden kommen ließ. Er rügte daher öffentlich die Sünden der Königin, weil sie öffentlich Ärgernis gab. Diese konnte es aber ebenso wenig ertragen, als die Jezabel den Widerspruch des Elias, und die Herodias den Vorhalt des Johannes. Brunehilde gebrauchte ihren königlichen Einfluss und Gewalt, falsche Ankläger und Zeugen aufzutreiben, damit sie unter dem Schein des Rechtes an dem Bischof sich rächen könnte; der hl. Desiderius wurde auf eine Insel in die Verbannung geschickt.
Wie Gott einst dem Joseph, als er nach Ägypten verkauft und in den Kerker gesetzt wurde, beigestanden ist, so hat er auch den hl. Desiderius in der Verbannung nicht verlassen, sondern auf eine liebliche Weise gleichsam ihm Anerkennung und Lob bezeugt. Desiderius ging in das Bethaus und zündete daselbst die Lampe an um seine kirchlichen Gebete zu verrichten; es war gerade Sonntag. Nun geschah es, daß die Lampe die ganze Woche hindurch bis zum andern Sonntag fortbrannte, ohne daß das Öl oder der Docht sich verminderte. Dieses Wunder blieb nicht verborgen; allenthalben aus der ganzen Gegend liefen die Leute herbei, um sich mit Augen von dem zu überzeugen, was sie mit Ohren gehört hatten. Es kamen auch viele Kranke herbei, welche auf ihr Verlangen mit dem Öl der Lampe von Desiderius gesalbt und dadurch gesund wurden, selbst ein Aussätziger wurde auf diese Weise plötzlich hergestellt. –
Auch noch andere Wunder geschahen, so daß der Ruf hiervon immer weiter sich verbreitete, und die Königin mit Verdruss bemerkte, daß sie selbst durch die Verbannung nur den größeren Ruhm des Bischofs herbei geführt habe. Sie ließ deshalb den Bischof, nachdem er vier Jahre in der Verbannung gelebt hatte, wieder zurückrufen; Desiderius wurde bei seiner Rückkehr von dem Volk in Vienne mit großer Freude und Jubel aufgenommen.
Allein wenn ein Weib kein Christentum hat, so ist ihr Haß gemeiniglich noch bösartiger und zäher als bei dem Mann. Die große Verehrung, womit der heilige Bischof vom Volk aufgenommen wurde, war gleichsam der Brennstoff ihrer Rachbegierde. Sie brachte einen höheren Beamten dazu, daß er auf alle mögliche Weise dem Bischof und der übrigen Geistlichkeit Verdruss machte. Nun kam aber noch ein neuer Vorfall, welcher die Wut bei der Königin zum vollen Ausbruch brachte. Der regierende König Theodorich war noch unverheiratet; bei seiner großen Verehrung für den heiligen Bischof fragte er ihn einst um Rat, ob er heiraten solle oder ledig bleiben. Nach den Umständen, wie sie damals waren, riet Desiderius dem König die Verehelichung an; zugleich äußerte er sich hierbei, wie schwer Gott ein unzüchtiges Leben strafe. Solches erfuhr die Königin und wurde hierdurch gegen Desiderius noch viel ärger erbittert; sie fürchtete nämlich, wenn Theodorich verehelicht sei, verliere sie ihren bisherigen Einfluss auf ihn; deswegen hatte sie bisher auch immer seine Verehelichung zu verhindern gesucht. Brunehilde behauptete nun, Desiderius bestrebe sich, ihr die Liebe ihres Sohnes abwendig zu machen; zugleich legte sie das, was er gegen Ehebruch gesagt hatte, als persönliche Anspielung aus. Der widerwärtige Bischof sollte nun um jeden Preis ihr aus den Augen geschafft werden; sie gab daher Dreien von ihren Hofleuten den Auftrag, ihm aufzulauern und ihn zu töten, wo es auch sei. Diese gingen auch wirklich daraus aus und trafen ihn bei einem Dorf. –
Desiderius wußte schon vorher, was man gegen ihn im Schilde führe, und hatte sich im Geist Gott zum Märtyrertum geopfert. Er kniete nieder, betete und erwartete den Todesstreich. Einer der Mörder warf dem Bischof einen großen Stein an den Kopf, so daß er zur Erde fiel. Da er aber noch lebte, so führte ein Anderer mit einem Scheit Holz einen solchen Streich auf Desiderius, daß er ihm den Schädel zerschmetterte.
Da Chlotar, König der Franken, erfuhr, daß Brunehilde in solcher Weise den hl. Bischof Desiderius gleichsam wie einen Hund habe totschlagen lassen, wurde er von gerechten Zorn ergriffen. Er suchte sie in seine Gewalt zu bekommen, was auch gelang; sie wurde von seinen Soldaten ergriffen und ihm überliefert. Chlotar ließ die Vornehmsten des Reiches zusammen kommen und Gericht über sie halten, teils wegen des begangenen Mordes, teils wegen anderer Verbrechen. Wie es in den damaligen wilden Zeiten öfters vorkam, so wurde sie zu einem höchst schrecklichen Tod verurteilt. Die Königin wurde auf den Boden gelegt, an jeden Fuß und jeden Arm wurden wilde Pferde gespannt, diese nach vier Seiten hin angetrieben, so daß dann der lebendige Leib der lasterhaften Königin auseinander gerissen wurde; die Glieder und Stücke des Leibes wurden dann verbrannt. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S.255-258