Diamant oder Glas – Allen Christen zum Betrachten vorgelegt (1851)
4. Der Apostel Paulus über das heilige Abendmahl
Unter allen Aposteln hält ein großer Teil der Protestanten am meisten auf den Apostel Paulus, weil sie in seinen Briefen am meisten Stellen finden, die für die einseitige, nur halbwahre Behauptung zu sprechen scheinen, der Mensch werde allein durch den Glauben gerechtfertigt. Wenn man nämlich mit jenen Stellen nicht auch noch die vielen andern Stellen der Heiligen Schrift vergleicht, welche von der Notwendigkeit der Liebe und der guten Werke sprechen; und wenn man nicht weiß, daß der Apostel Paulus nur die mosaische Gesetzlichkeit und äußerliche Rechtschaffenheit ohne den rechten Geist gemeint hat, dann kann man allerdings auf diesen Irrtum kommen, wie auch schon Petrus in seinem zweiten Brief (3, 16) sagt, daß manches in den Briefen des Paulus schwer zu verstehen sei und von Unwissenden und Schwankenden zu ihrem eigenen Verderben verdreht werde. – Dieses nur beiläufig hier gesagt.
Dieser Apostel Paulus nun war nicht bei der Einsetzung des heiligen Abendmahles, weil er dazumal nicht an Christus glaubte und nachher noch ein heftiger Feind des Christentums war. Was er nach seiner Bekehrung von dem heiligen Abendmahl wußte und lehrte, das konnte er entweder nur erfahren haben durch die andern Apostel oder durch eine besondere übernatürliche Offenbarung. Und wirklich hat Paulus über das heilige Abendmahl eine besondere Offenbarung bekommen. Wenn aber Gott es für notwendig erachtet, selbst durch ein Wunder einem Menschen etwas zu offenbaren, so wird diese Offenbarung doch gewiß so genau sein, daß nicht ein neues Missverständnis daraus hervor geht. Und hätten die Apostel beim letzten Abendmahl den Herrn nicht richtig verstanden, so hätte der Herr gewiß bei dieser neuen Offenbarung, welche der Apostel Paulus darüber bekam, das Missverständnis berichtigt. Es sind deshalb die Worte des Apostels Paulus über das Abendmahl sehr wichtig. Ich will sie hersetzen; sie stehen im ersten Brief an die Korinther Kap. 11, Vers 23-29:
„Denn vom Herrn habe ich es empfangen, was ich euch übergeben habe, nämlich: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten wurde, nahm er Brot und dankte, brach es und sprach: ‚Nehmet, esset; dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird; tut dies zu meinem Andenken!‘ Desgleichen nahm er auch nach der Mahlzeit den Kelch und sprach: ‚Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blute; tut dieses, so oft ihr trinket, zu meinem Andenken!‘ Denn so oft ihr dieses Brot esset und diesen Kelch trinket, sollt ihr den Tod des Herrn, bis er wieder kommt, in Erinnerung bringen. Wer demnach unwürdig dieses Brot ißt oder den Kelch des Herrn trinkt, der versündigt sich an dem Leib und Blut des Herrn. So prüfe denn jeder sich selbst; alsdann esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch; denn wer unwürdig ißt und trinkt, der ißt und trinkt sich selbst das Gericht, weil er den Leib des Herrn nicht unterscheidet.“
Also auch hier kein Wort von Bedeuten, sondern nur von wirklichem Dasein. Was aber diese Worte des Apostels Paulus besonders merkwürdig macht, ist ein anderer Umstand. Er warnt die Korinther, sie sollen nicht unvorbereitet das Abendmahl empfangen, weil sie sich sonst am Leib und Blut des Herrn versündigen. Wenn wir aber erwägen, wann und wohin hat der Apostel diese Warnung geschrieben, so zeigt sich, daß er mehrere Jahre später erst den Brief geschrieben hat, nachdem der Heiland in den Himmel zurück gekehrt war; und er hat den Brief geschrieben an die Christen in Korinth. Korinth ist aber eine Stadt in Griechenland, also in Europa, also in einem ganz andern Weltteil, als der Heiland gelebt hat; denn der Heiland hat im jüdischen Land, in Asien, gelebt. Nun frage ich: Wie können sich denn die Korinther an einem Leib versündigen, welcher in einem andern Weltteil gewohnt hat; und wie können sie sich an einem Leib versündigen, welcher schon jahrelang von der Erde hinweg genommen ist? – Entweder hat dieses keinen Sinn und Verstand, oder es muss der Leib und das Blut des Herrn wirklich in dem Abendmahl zugegen sein zu allen Zeiten und an allen Orten, wo es in angeordneter Weise gefeiert wird. Wenn du also nicht glaubst, daß der Apostel Paulus etwas Sinnloses geschrieben habe, so musst du auch glauben, daß der Leib des Herrn wahrhaft und wesentlich in der Brotsgestalt des Abendmahles zugegen ist. Dieses glaubt und lehrt die katholische Kirche; sie unterscheidet also auch in der Hostie wahrhaft den Leib des Herrn von gewöhnlichem Brot. Und alle, die, im Widerspruch mit der katholischen Kirche, das Abendmahls-Brot nur als ein Erinnerungs-Zeichen ansehen, die unterscheiden nicht den Leib des Herrn.
Du siehst aus dem bisher Gesagten, daß es beinahe keine Glaubenswahrheit gibt, welche so klare und bestimmte Bibelstellen für sich hat, als die katholische Lehre vom heiligen Abendmahl. –
aus: Alban Stolz, Gesammelte Werke, Kleinigkeiten, Erste Sammlung, 1909, S. 63-65
Fortsetzung: Kirchenlehrer zur Auslegung des Abendmahles