Der heilige Notker berühmt für seinen Geistlichen Gesang
In den Kreuzzüge, wo viele tausend Menschen fast aus allen christlichen Ländern fortzogen, um das heilige Land und das Grab Christi zu erobern, und auch sonst vor Schlachten war es Jahrhunderte lang üblich, daß das Lied: Media vita gesungen wurde.
Dieses weltberühmte Lied ist beinahe schon tausend Jahre alt und wurde von dem Heiligen des Tages gemacht als er zusah, wie die Bauleute über eine tiefe Bergschlucht eine Brücke schlugen und ihre Arbeit in Todesgefahr verrichteten. In deutscher Sprache heißen diese Verse ungefähr also:
„Mitten im Leben schweben wir im Tode; wen suchen wir zum Helfer, außer dich, o Herr, der du mit Recht zürnest über unsere Sünden?“
„Auf dich haben unsere Väter gehofft, haben gehofft, und du hast sie erlöset. – Heiliger Gott!“
„Zu dir haben unsere Väter gerufen, haben gerufen, und sie sind nicht zu Schanden geworden. – Heiliger, Starker!“
„Verschmäh` uns nicht in der Zeit des Alters, wann unsere Kraft geschwunden ist, verlaß uns nicht. – Heiliger und barmherziger Heiland, übergib uns nicht dem bittern Tod!“
Der hl. Notker, welcher diesen Gesang verfaßt hat, war ein Mönch im Kloster St. Gallen. Es sind von ihm noch 38 vorzügliche Kirchenlieder übrig, in welchen seine heilige Seele gleichsam der Christenwelt vorsingt, wie eine himmlische Nachtigall, was an schönen Gedanken in ihr sich regte.
Der hl. Notker verfaßte schon als Jüngling so schöne Kirchengesänge, daß sie von seinen eigenen Lehrern den übrigen Schülern als Muster vorgelegt wurden. Und nachdem der hl. Notker schon längere Zeit gestorben war und der Abt von St. Gallen nach Rom kam zu dem Papst Innozenz III., fragte dieser den Abt auch über den verstorbenen Notker aus und wie sein Todestag im Kloster gehalten werde. Als der Abt sagte, man halte den Jahrestag eben gerade so, wie bei jedem andern Klosterbruder auch, da tadelte der Papst solches ganz ernstlich und sprach, einen Mann, dessen Lieder so voll des heiligen Geistes sind, soll man auch als einen Heiligen verehren. Später wurde dann Notker auch wirklich heilig gesprochen.
Der Mönch Ekkehard, welcher auch im Kloster St. Gallen gelebt und das Leben des hl. Notker geschrieben hat, sagt in Betreff der schönen Kirchengesänge, welche der hl. Notker verfaßt hat, Folgendes:
„Gott verlieh dem heiligen Mann diese englische Kunst, damit die Gläubigen durch die frommen Lieder zur Andacht gehoben würden, das Herz sich erschließe und der Geist gleichsam über sich selbst hinaus schwebe. Der Prophet Elisäus wurde einmal aufgefordert das Wort des Herrn zu verkünden zu einer Zeit, da er fühlte, daß er den Geist der Weissagung nicht gerade hatte. Da begehrte er, man solle einen Harfenspieler herbei rufen; sobald nun dieser auf der Harfe spielte, erwachte in dem Propheten wieder der Geist der Weissagung.“
„Die süße Musik erheitert nämlich das Herz und erweckt in ihm freudige Stimmungen; und wohin die Liebe eines Jeden sich neigen mag, so regt das Anhören des Gesanges die Seele auf und zieht sie zum Gegenstand der Neigung. Indem wir daher Psalmen und Loblieder singen, so bereiten wir dem Herrn den Weg, auf welchem er zu uns durch gewisse wunderbare Offenbarungen seiner Geheimnisse kommen will, wann wir uns erheben zur Danksagung und aus innerster Seele von ganzem Gott loben. Wenn nämlich die Seele an geistliche Betrachtungen gewöhnt ist und fromme Gesänge hört, so fängt sie vor großer Freudigkeit an gleichsam zu tanzen und über die Erde und alles Irdische hinaus zu schweben und ganz sich zu verlieren in himmlische Betrachtung. Mit einer solchen Gabe hatte der heilige Geist auch sein auserwähltes Gefäß, den seligen Notker, erfüllt.“
„Der Psalmengesang aber tröstet die traurigen Herzen, macht das Gemüt friedsamer weckt den Geist auf, mutet die Sünder zum Weinen an, reinigt das Innere des Menschen und macht ihn bereitwilliger zu Werken der Frömmigkeit Selbst wenn die Herzen fleischlich gesinnter Menschen hart sind, alsbald wenn der süße Gesang ertönt, so erweicht derselbe ihre Seele zur Milde. Obschon den Christen nicht die Melodie des Gesanges, sondern nur die göttlichen Worte bewegen sollten, so geschieht es eben doch zuweilen, daß die Gesangsweise eine größere Rührung des Herzens erzeugt. Ja, es gibt Viele, welche, durch die Lieblichkeit des Gesanges erfaßt, ihre Sünden bejammern, und mehr zum Geist der Zerknirschung, zum Erguss von Tränen und zur Sehnsucht nach Besserung gebracht werden, als durch den Inhalt der Worte. Die Predigt wird nur in dem gegenwärtigen Leben gleichsam als Arznei gegen die Sünde vorgebracht; im Lobgesang aber wird Gott unaufhörlich fort und fort gepriesen, wie geschrieben steht: Selig, die wohnen in deiner Behausung, o Herr; sie loben dich in alle Ewigkeit“ Psalm 83, 5. So weit Ekkehard.
Der hl. Notker hatte aber nicht nur die Gabe schöne Kirchenlieder (Sequenzen) zu verfassen, sondern er verstand auch, dazu schöne Gesangsweisen zu erfinden. Einmal ging er durch den Schlafsaal und hörte das Rad einer nahen Mühle, wie es wegen Mangel an Wasser ganz langsam sich drehte und von Zeit zu Zeit besonders knarrte. Dieses weckte in ihm die Melodie und die Versweise eines Liedes vom heiligen Geist, das in alten Zeiten weltberühmt und der Messe vom heiligen Geist beigegeben wurde.
Nun aber kann man zuweilen bemerken, daß manche Leute, die sich viel mit Gesang und Musik angeben und solches gern hören, leichtsinnig, weichlich und genußsüchtig sind. Aber bei dem hl. Notker war gerade das Gegenteil der Fall. Er war sein Leben lang sehr ernst und streng gegen sich selbst. Selbst in seinen Jünglings-Jahren vermied er das müßige Umherlaufen, und ging nur aus dem Kloster, wenn es ihm befohlen wurde. Scherzreden und Possen wollte er nicht einmal hören, viel weniger mitmachen, sondern er hatte sich den Bibelspruch zu Herzen genommen: „In allen deinen Werken gedenke der letzten Dinge, so wirst du in Ewigkeit nicht sündigen.“ Desgleichen vermied er Gespräche oder den Anblick von Frauens-Personen, um sein Herz möglichst rein zu bewahren, dafür besuchte er aber am liebsten Kranke, um sie zu trösten und ihr Gemüt Gott zuzuwenden.
Es gibt nämlich eine weltliche Gesangsliebe und gibt eine heilige Gesangsliebe. Ich will nicht davon reden, daß du dich vor dem Singen oder Anhören von unzüchtigen Liedern hüten sollst; denn wer einen Funken von Christentum in sich hat, der wird von selbst Abscheu davor haben. Nun gibt es zwar auch viele weltliche Lieder, die an sich nichts Sündhaftes haben: aber man soll wenigstens wie mit jedem sinnlichen Genuss damit verfahren, nämlich mäßig darin sein. Hingegen ist es für einen Christen ganz besonders angemessen in religiösen Liedern die Seele zu Gott zu erheben. Der Apostel Paulus mahnt selbst in seinen Briefen die Christen, sie sollen Lobgesänge, Psalmen und geistliche Lieder anstimmen, und dem Herrn singen und spielen. Solches soll nicht nur in den Kirchen geschehen, sondern auch wieder mehr in den Häusern eingeführt werden. Beim geistlichen Singen selbst hüte dich aber vor zweierlei, einmal daß es nicht sündhaft werde durch Eitelkeit, und dann daß es nicht nutzlos werde, indem du nicht im Geist und in der Wahrheit singst, nämlich ohne Andacht; denn das singen soll nur sein ein verschönertes Gebet. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S. 25 – S. 29