Heiligenkalender
28. März
Die heilige Maria von Mallye zu Tours in der Nachfolge Christi
(Zeichen der Gnade)
Im Menschen und seiner Seele ist eine ganze Welt verborgen, und es ist darin ein mannigfaltiges Leben und Weben von Gedanken, Gefühlen, Wünschen, Vorsätzen, alle Stunden und jeden Augenblick; und böse und gute Geister und Gott selbst nimmt Teil an Vielem, was in der Menschenseele vorgeht; ja es ist überhaupt nur das am Menschen gut, was Gott durchs eine Gnade in der Seele wirkt; was aber der Mensch nur aus seiner eigenen Natur tut, das ist wertlos oder bös. Darum wäre es sehr zu wünschen, daß die Menschen recht zu unterscheiden wüßten, wie die Natur und wie die Gnade sich zu erkennen gibt. In der Nachfolge Christi steht ein Kapitel (III. 54.), worin dieses richtig und klar gezeigt ist; was aber jenes Kapitel mit Worten sagt, das hat das Leben der Heiligen des Tages in Werken und in der Wirklichkeit gezeigt. Ich will nun die Worte der nachfolge Christi und das Leben der Heiligen neben einander stellen, damit dir das Wesen der Gnade recht deutlich werde.
In Frankreich lebte vor alten Zeiten ein Edelmann und Herr von Mallye, welcher eine Tochter Namens Maria hatte. Schon als Kind zeigte sie eine Sinnesart, aus welcher man vermuten konnte, daß sie eine Heilige werde; ich will jedoch der Kürze wegen ihre Jugendzeit übergehen und mit der Zeit beginnen, wo Maria ihre Wohnung in der Stadt Tours genommen hatte, um daselbst Gott zu dienen.
Wenn Maria einen großen Teil ihrer Zeit mit Andacht in der Kirche zugebracht hatte und nach Haus ging, lud sie die Armen, welche ihr begegneten, zum Essen ein. Schwache und Gebrechliche aber nahm sie an der Hand und führte sie nach Hause. Bei dem Essen diente sie dann ihren armen Gästen noch demütiger und achtungsvoller, als eine Magd ihrem Herrn dient. Ja manchmal behielt sie zu ihrer eigenen Nahrung das, was ihre Armen übrig gelassen hatten. Wenn arme Frauen in das Wochenbett kamen, wartete Maria ihnen sorgfältig ab (=pflegte sie) und wurde Taufpatin ihrer Kinder.
Nachfolge Christi: Die Natur rühmt sich vornehmen Ranges und Herkunft; ist freundlich gegen die Herren, schmeichelt den Reichen, gibt Seinesgleichen Beifall. – Die Gnade aber begünstigt mehr den Armen als den Reichen, fühlt mehr Teilnahme mit dem Harmlosen als mit dem Mächtigen.
Maria übte sehr strenge Bußwerke gegen sich selbst. Sie trug auf dem bloßen Leib einen Gürtel von Rosshaaren, fastete dreimal in der Woche, am Freitag nahm sie nur ein wenig Schwarzbrot und Wasser zu sich, lag in kein Bett, sondern nur auf Stroh, mied den Umgang mit Weltmenschen und Alles, was die Neugierde der Augen reizen konnte.
Nachf. Chr.: Die Natur neigt sich zu dem Irdischen, zu dem eigenen Fleisch, zu Eitelkeiten und Gesprächen. – Die Gnade zieht zu Gott und zur Tugend, entsagt dem Irdischen, flieht die Welt, haßt die Begierden des Fleisches, beschränkt das Ausgehen, scheut sich vor der Welt zu erscheinen.
Als Maria lange einmal im Gebet versunken war, war es ihr, als sehe sie die seligste Gottesgebärerin, welche sie freundlich ermahnte, geringere Kleider zu tragen und ihr den Zuschnitt derselben zeigte. Maria zögerte nicht, sogleich dieses zu tun; sie änderte ihre Kleider nach der Art, wie sie es in ihrer Vision gesehen hatte, und trug sich von nun an ganz demütig und gering aus Verehrung für Christus, der die Gestalt eines Knechtes angenommen hat. Sie wurde deshalb von Weltmenschen zuweilen auf der Straße laut verspottet.
Nachf. Chr.: Die Natur will Ausgesuchtes und schönes haben, scheut das Geringe und Grobe. – Die Gnade aber freut sich am Einfachen und Demütigen, verachtet nicht das Rauhe, und scheut sich nicht mit alten Gewändern sich zu bekleiden.
Maria hatte eine großes Verlangen nach der evangelischen Armut. Sie verzichtete deshalb freiwillig auf das, was sie noch zu erben hatte, und schenkte ihr eigentümliches Haus an einen Klosterorden. Da sie nun ganz arm geworden war, wurde sie von Verwandten und Freunden verachtet; allein sie ward nicht traurig darüber, sondern freute sich dem Heiland auch in der Armut gleichförmig zu werden. Ihre Dürftigkeit war zuweilen auch so groß, daß sie manchmal bei geringen Leuten um ein Almosen bat, und mehrmals im Freien übernachten musste, weil ihr Niemand ein Unterkommen unentgeltlich geben wollte.
Nachf. Chr.: Die Natur sieht auf das Zeitliche, freut sich am irdischen Gewinn, betrübt sich über Verlust. – Die Gnade sieht auf das Ewige, hängt nicht am Zeitlichen, bekümmert sich nicht, wenn etwas zu Grunde geht, begnügt sich mit Wenigem; weil sie ihren Schatz und ihre Freude im Himmel, wo nichts verloren geht, hinterlegt hat.
Da die Heilige einmal in die königliche Kapelle ging, um daselbst ihre Andacht zu verrichten, erblickte sie ein Hofherr und beschimpfte sie wegen ihrer schlechten Kleidung; er sprach, man solle sie in das Feuer werfen. Die demütige Dienerin Gottes betrachtete diese Beleidigung nicht, sondernd as Leiden Christi, und betete nach seinem Beispiel für den Beleidiger und dankte Gott auf den Knien, daß ihr solches widerfahren sei. – Ein anderes Mal hielt sie einem Jüngling vor, wie sehr er sündige durch seine gotteslästerlichen Reden. Dieser aber warf die Heilige dafür auf den Boden und trat sie mit den Füßen, so daß sie längere Zeit von dieser Misshandlung krank wurde. Maria wurde von vielen Leuten aufgefordert den Jüngling bei Gericht zu verklagen; allein sie wies dieses zurück und sprach von der Barmherzigkeit Gottes und der Geduld Christi, und wie Unbilden und Widerwärtigkeiten sehr nützlich und heilsam sind, wenn sie geduldig um Christi willen getragen werden.
Nachf. Chr.: Die Natur fürchtet Beschimpfung und Verachtung; sie wird aufgereizt durch ein leichtes Wort des Unrechts. – Die Gnade aber freut sich, für den Namen Jesu Schmach zu leiden; sie wird nicht erbittert durch harte Worte.
Maria besuchte fortwährend die Gefangenen, tröstete sie wie eine Mutter und bediente sie; damit sie nicht von Langeweile geplagt und geduldiger würden, las sie ihnen vor aus guten Büchern. Sie bewirkte es auch durch ihre Fürsprache bei dem König, als sich dieser gerade in Tours aufhielt, daß viele Gefangene frei gelassen und andern zum Tode Verurteilten das Leben geschenkt wurde. Für arme Kranke sorgte sie aus allen Kräften; sie suchte nicht nur im Feld und Wald heilsame Kräuter auf, sondern bettelte bei gottesfürchtigen Personen Alles zusammen, was den Kranken dienlich sein konnte. Desgleichen nahm sie sich auch um gebärende Frauen an; sie betete nämlich inbrünstig für sie, daß Gott ihnen eine glückliche Geburt zu Teil werden lassen möge.
Nachf. Chr.: Die Natur bemüht sich für den eigenen Vorteil, und sieht darauf, welchen Gewinn sie von Anderen machen kann. – Die Gnade aber berücksichtigt mehr, was Vielen nützt, nicht was ihr selbst nützlich und angenehm ist.
Maria besuchte regelmäßig eine Klosterkirche und wohnte allen Gebeten bei, welche hier bei Tag und Nacht zu vorgeschriebenen Stunden gehalten wurden. Vor größeren Festtagen aber verrichtete sie die ganze Nacht hindurch in der Kirche vor dem allerheiligsten Sakrament ihre Andacht; wenn ihr Leib dabei vorn Müdigkeit überwältigt wurde, so schlief sie ei wenig auf der steinernen Stufe des Altars. Sie war gewöhnt, so lange und viel auf den Knien zu beten, daß ihre Knie eine ganz dicke harte Haut bekamen, dergleichen man gewöhnlich an den Fußsohlen hat. Wenn sie zum hl. Abendmahl ging, war sie in Folge ihrer strengen Lebensweise bleich und wie tot anzusehen, vielleicht auch wegen tiefster Ehrfurcht: sobald sie aber das hl. Sakrament empfangen hatte, rötete sich ihr Antlitz wie eine Rose im Mai. Von göttlicher Liebe entzündet, quellten dann Tränen aus ihren Augen, und süße Lieder und Lobgesänge stiegen aus ihrer Seele auf, die man in ihren Schriften später aufgefunden hat.
Nachf. Chr.: Die Natur hat gern einen äußerlichen Trost, woran sie sich sinnlich wohl sein läßt. – Aber die Gnade sucht nur in Gott getröstet zu werden, und im höchsten Gut über alles Sichtbare sich zu erfreuen.
Da einmal die Königin nach Tours kam, wurde Maria eingeladen zu ihr zu kommen. Maria fand sich zur bestimmten Zeit ein und wollte mit dem Türsteher des Palastes freundlich sprechen. Weil sie aber aus Bescheidenheit nicht sagte, wer sie sei und daß sie aufgefordert sei zu kommen, so begegnete ihr der Türsteher mit grober Verachtung, ja schlug sie mit seinem Stock um sie fortzujagen, bis Jemand dazu kam, der sie kannte. Sie beklagte sich jedoch nicht darüber, als hätte sie nichts davon gefühlt. Die Königin behielt sie eine ganze Woche lang bei sich. Es wurden aber hier keine müßigen Gespräche geführt, sondern die göttliche Liebe, wovon das herz der Maria glühte, äußerte sich in so lebendiger, kräftiger Rede und Zusprüchen, daß viele am Hof der Königin ergriffen wurden, und die Eitelkeiten und Torheiten, denen die Vornehmen der damaligen Zeit ergeben waren, ablegten.
Nachf. Chr.: Die Natur bezieht Alles auf sich, streitet und rechnet für sich. – Die Gnade aber führt Alles auf Gott zurück, von welchem ursprünglich Alles herkommt. Sie lehrt das Lobenswerte und Bewunderungswürdige demütig verbergen, und in jeder Sache und jeder Kenntnis die Frucht des Nutzens und das Lob und die Ehre Gottes suchen.
Um jene Zeit war in der katholischen Kirche eine verderbliche Spaltung entstanden, indem zwei Päpste gewählt worden waren und jeder seinen Anhang hatte. Maria ging in den Klöstern und bei dem Volk herum, und ermahnte alle mit größter Innigkeit, sie sollen inständig beten, daß Gott den Zwiespalt ausgleiche. Überhaupt redete sie jedem Alter und jedem Geschlecht zu, in Werken und in Worten Gott zu loben. Ja sie hatte es durch ihren Eifer dahin gebracht, daß, wenn sie auf der Straße ging, die Kinder ihr entgegen liefen, nieder knieten, die Hände zusammen legten und beteten: „Es sei gelobt Gott unser Herr!“
Nachf. Chr.: Die Natur hat immer sich selbst zum Zweck, sie nimmt gern Ehre und Achtungsweise an. – Die Gnade aber wendet alle Ehre und Verherrlichung getreulich Gott zu, und tut Alles rein wegen Gott, in dem sie letztlich auch ruht.
Man könnte noch sehr Vieles aus dem Leben der hl. Maria von Mallye erzählen, namentlich auch, wie auffallende Wunder und Heilungen durch ihre Fürbitte geschehen sind. Ihr eigener Beichtvater hat das Leben derselben geschrieben und schließt mit den Worten: „Im Jahre 1413 am 28. März zwischen der ersten und zweiten Stunde Nachmittags wanderte die ausgezeichnete Frau, reich an zahllosen guten Werken, nach den Arbeiten und Mühen dieses elenden Lebens glückselig zu Christus, um von ihm zu empfangen den ewigen Lohn, welchen sie stets gewünscht und wofür sie so mannhaft gekämpft hatte.“
Das Kapitel der Nachfolge Christi aber schließt mit den Worten: „Diese Gnade ist ein übernatürliches Licht und ein besonderes Geschenk Gottes, und eigentlich das Zeichen der Auserwählten und das Unterpfand des ewigen Heils; sie hebt den Menschen von dem Irdischen zur Liebe des Himmlischen, und macht aus einem fleischlichen Menschen einen geistigen.“ –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 1 Januar bis März, 1872, S. 435 – S. 440