Heiligenkalender
5. Januar
Der heilige Simeon Stylites Säulensteher
Das Leben des heiligen Simeon Stylites ist in Wahrheit von der Art, daß es mehr zu bewundern als nachzuahmen ist.
Der heilige Simeon wurde an den grenzen Syriens in dem Flecken Sisan um das Jahr Christi 391 geboren. Er wird Stylites, d. h. Säulensteher, genannt, weil er viele Jahre seines Lebens auf einer Säule zugebracht hat. Sein Vater war ein Schafhirt, deswegen musste auch Simeon als Knabe sich zum Schafe hüten gebrauchen lassen. Dreizehn Jahre alt, hörte er in der Kirche diese Worte aus dem Evangelium: „Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“ Da fragte er einen betagten Mann, wie denn diese Worte zu verstehen seien, und während der Auslegung, die ihm jener Mann gab, empfand er einen heftigen innerlichen Antrieb, sich zu einem einsamen Leben zu entschließen, damit er so seine Sünden besser beweinen und sicherer zur Seligkeit gelangen könnte.
Er war sich damals zwar keiner schweren Sünde bewußt; dennoch gehorchte er dem innerlichen Antrieb, floh in eine Einöde und brachte sieben Tage ohne jegliche Nahrung, bloß mit Beten und Weinen zu. Nach diesem begab er sich in ein Kloster, dem der heilige Heliodor vorstand, und bat mit weinenden Augen, in dasselbe aufgenommen zu werden; und da man seinem Begehren willfahrte, verblieb er daselbst zehn Jahre. Die Strenge, die er da übte, war unerhört. Unter anderem umgürtete er seine Lenden mit einem aus Palmen geflochtenen Strick, welcher innerhalb zehn Tagen so sehr in das Fleisch eingedrungen war, daß man ihn nur mit scharfen Instrumenten davon ablösen konnte. Aus diesem Kloster ging er wieder in eine Einöde, wo er drei Jahre lang in einer niedrigen, engen Hütte seine Wohnung hatte. An diesem Ort brachte er mit außerordentlichem Beistand Gottes vierzig ganze Tage und Nächte ohne Speise und Trank zu. Und diese Weise, die 40-tägige Fasten zu beobachten, setzte er auch nachgehends mehr als 28 Jahre fort, wie es Theodoret, der diesen Heiligen kannte, bezeugt. Nach Verlauf von drei Jahren bestieg er einen hohen Berg, wo er unter freiem Himmel wieder eine Zeitlang wohnte. Endlich ergriff er eine ganz neue Weise, sich abzutöten. Er ließ eine anfangs vier, dann zwölf, endlich zwanzig (40) Ellen hohe Säule aufrichten, welche obenher vier Schuh breit, und mit einem drei Schuh hohen Rand eingefaßt war. Zum Liegen war der Platz zu enge; demnach musste Simeon stehen oder knien. Auf dieser Säule brachte er mehr als 40 Jahre zu, ohne daß er ein Obdach oder etwas anderes hatte, womit er sich gegen Hitze und Kälte, Schnee und Regen schützen konnte. In der Woche aß er nur etwas Weniges. Die ganze Woche verwendete er anfangs allein zum Gebet und zu dem Lobe Gottes. Als aber der Ruf von einer so unerhörten Weise zu leben, sich überall verbreitete, kamen fast unzählbare Menschen zu ihm, auch von entfernten Ländern, Hohe und Niedere, Geistliche und Weltliche, sogar Irr- und Ungläubige, welche nicht fassen konnten, was sie mit Augen sahen.
Simeon nahm daraus Gelegenheit, den Ankommenden vieles zu predigen von der Verachtung der Welt, von der Notwendigkeit der Bekehrung der Sünder und Genugtuung, von der ewigen Belohnung und Bestrafung und anderen Wahrheiten des Glaubens. Und dieses geschah mit solchem Nachdruck, daß durch Anhörung seiner Predigten sehr viele Irr- und Ungläubige zur wahren Kirche, unzählige andere zur Buße und Besserung ihres Lebens gebracht wurden. Es gab auch der heilige Bußprediger jeder Gattung, der Menschen besondere Ermahnungen nach ihrem Stand. Alle insgemein ermahnte er oft, den Himmel anzuschauen, und also sich des letzten Zieles und Endes unserer Erschaffung zu erinnern.
Einigen Einsiedlern wollte diese Weise zu leben nicht gefallen, aus Furcht, es dürfte vielleicht gar ein Betrug des Teufels darunter verborgen sein. Demnach versammelten sie sich und beschlossen, zwei der Ihrigen zu ihm zu schicken, mit dem Befehl, alsbald von der Säule herab zu steigen; verstünde sich Simeon dazu, so sollten sie ihm befehlen, auf seiner Säule zu verbleiben; wo nicht, so sollten sie ihn mit Gewalt herab nehmen; denn der Gehorsam wäre ein unfehlbares Zeichen, daß die Sache von Gott; der Gehorsam aber, daß sie vom Satan komme. Die zwei Abgeordneten kamen und kündigten ihm den Befehl der ganzen Versammlung an. Simeon, ohne ein einziges Wort dagegen einzuwenden, begehrte eine Leiter, um herab zu steigen. Über solch willigen Gehorsam erfreuten sich die Abgeordneten und geboten ihm, auf der Säule zu verbleiben. Überdies gab Gott selbst seine Gutheißung dieser Lebensweise deutlich an dem Tag; denn er begabte den heiligen Mann mit der Gnade, Wunder zu wirken und künftige Dinge vorher zu sagen. Einst weissagte er eine große Dürre und darauf folgenden Hunger und Pest; zu einer anderen Zeit einen verderblichen Einfall der Heuschrecken, was alles erfolgte, wie er es voraus gesagt hatte.
Der Kaiser Theodosius II., der sich in das Gebet des Heiligen empfohlen, erhielt durch sein Gebet und seine Tränen einen herrlichen Sieg wider die Perser. Er war der Trost aller Unterdrückten; er heilte durch sein Gebet Kranke und bekehrte viele Heiden. Bei Landplagen nahmen Städte und ganze Landschaften ihre Zuflucht zu ihm; selbst Schiffer auf dem Meer riefen in Stürmen seine Fürbitte an und fanden Erhörung. Endlich gefiel es Gott, seinen treuen Diener, den er so lange Zeit nicht ohne offenbares Wunder erhalten, zur ewigen Belohnung abzurufen. Nach empfangener heiliger Kommunion neigte er sich seinem Gebrauch nach nieder zu Gebet und gab während desselben seinen Geist auf am 2. Januar 459 im Alter von 69 Jahren. Sein heiliger Leib wurde in Gegenwart des Patriarchen von Antiochia, sechs Bischöfen und sehr vielen kaiserlichen Beamten von der Säule herab genommen und mit größter Pracht, gleichsam im Triumph nach Antiochia übertragen, wobei abermals viele Wunder an Kranken und Leidenden aller Art geschahen.
Beherzigung:
Der heilige Simeon sprach zu einem Begüterten: „Reicher Mann! Du hast mit deinem vielen Geld nie etwas Gutes getan, hast die Brüder nicht unterstützt, die Nackten nicht bekleidet, dich der Waisen nicht angenommen, die Witwen nicht getröstet, und den Kirchen nie ein Opfer gebracht.“
Folgende Ermahnung des heiligen Simeon können wir alle auf uns anwenden:
„Sei stark und handle männlich; denn noch hast du für den Herrn viele Kämpfe zu bestehen! Sei guten Mutes; denn seine Gnade stärkt dich, daß du den Feind überwinden kannst und zum Genuss jener Seligkeit gelangst, die auf die beharrlichen Kämpfer wartet.“ –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 15 – S. 17