Die Gefahren in der christlichen Ehe
Die heilige Anastasia ist ein herrliches Vorbild der christlichen Gattin. Sie lebte im Hause ihres Mannes Publius mit reiner Seele und schlichtem Geist, mit sehr bescheidenen Ansprüchen, mit Liebe zu stiller Zurückgezogenheit in dem Familienkreise und mit frommer Abneigung gegen die blendenden Täuschungen und rauschenden Eitelkeiten der Welt; sie lebte nach dem Ausspruch des heiligen Geistes wie ein Weib, „das den Herrn fürchtet“. (Sprichw. 31) Denn die heilige Gottesfurcht ist die Eigenschaft und Tugend, welche die christliche Gattin in hohem Grade besitzen muss; denn:
1. Die Leiden und Schwierigkeiten in der Ehe sind groß und zahlreich. Abgesehen von den drückenden Sorgen, Trübsalen und vielen Ängsten für den Haushalt, für die Kinder, wegen der Dienstleute, wegen Krankheiten und Todesfällen, die unmöglich voraus berechnet werden können, ist die Ehe selbst ein Joch, eine Unterwerfung, eine Art Dienstbarkeit und Verzichtleistung auf die persönliche Freiheit; sie ist eine Unterwerfung und Hingabe an eine Person, deren Gestalt, Humor, Neigung und Gesundheit fast mehr dem Wechsel unterworfen ist, als der zu- und abnehmende Mond, deren geistige Eigenschaften, deren sittlichen Charakter, deren Mängel und Schwächen man erst dann klar und vollständig kennen lernt, wenn die Stunde abgelaufen ist, wo man sein Wort noch hätte zurück nehmen können; sie ist eine unauflösliche Dienstbarkeit, und jeder Versuch, sie aufzulösen wäre schon eine schwere Sünde gegen Gott und ein großes Ärgernis für die Mitmenschen. Es muss aber eine unbeschreibliche Marter, ein namenloses Leiden sein, Tag und Nacht bei und mit einer Person leben zu müssen, deren geist und Herz, Sitte und Gesinnung ein unbeweglicher Stein des Anstoßes und der Verwundung ist, und nur von der grausamen Sichel des Todes eine Erlösung hoffen zu dürfen. Wahrlich, um solche Leiden zu ertragen, um solchen Trübsalen nicht zu unterliegen, ist eine starke Tugend, eine übernatürliche Gottesfurcht notwendig, welche allein zu dulden und zu siegen vermag.
2. Die Gefahren in der Ehe sind sehr schwer zu vermeiden. Wer kennt nicht die folgenschwere Gefahr des Mitleidens! Wenn die bedrängte Gattin in den mannigfachen Leiden und Beschwerden bei ihrem Mann nicht den Trost und die Stütze findet, worauf ihr wundes Gemüt einen gerechten Anspruch hat, und die für sie ein dringendes Bedürfnis sind, so pocht mit Macht die Versuchung an ihr Herz, diesen Trost und diese Stütze auswärts zu suchen; und – zu ihrem Verderben – wird sie solche nur zu leicht finden, wenn die heilige Furcht Gottes sie nicht zurück hält. Denn das Unglück rührt, erweckt Teilnahme, und diese erzeugt Zutrauen mit dem Verlangen zu gefallen, wofür im Herzen des Weibes der fruchtbarste Boden ist. Eine nicht minder ernste Gefahr ist die der Mitschuld. Die Liebe der Gattin zum Mann darf nie den Sieg gewinnen über ihre Liebe zu Gott. Es gibt oft Verhältnisse, in denen die Gattin sagen muss: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5), in denen sie Kraft genug besitzen muss, festen Widerstand zu leisten, wenn es sich darum handelt, daß sie an Unordnungen, an Ungerechtigkeiten, an Leidenschaften und Feindschaften des Mannes sich beteiligen sollte; in denen sie Gewissen genug haben muss, um ihre religiösen Pflichten nicht zu vernachlässigen, um die heiligen Gesetze der ehelichen Zucht nicht zu verletzen; in denen sie Seelengröße genug haben muss, um nicht der Torheit ihres Mannes zu lieb stolzen Aufwand und prunkende Eitelkeit zu treiben, wie sie sich für eine Christin, eine Nachfolgerin Christi nicht ziemen. Aus diesen nicht zu unterschätzenden Gefahren wird und kann sie nur die kindliche Furcht Gottes retten; denn der hl. Paulus verheißt: „Denjenigen, welche Gott fürchten, gedeiht Alles zum Besten.“ (Röm. 8) –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 955
siehe auch den Beitrag: Die zwei Pflichten der christlichen Ehefrau