Frankreich – Zeit der modernen Politik und der kirchlichen Revolution
Frankreich in der Zeit calvinistischer Neuerer
Die kirchliche Revolution, welche in Deutschland durch Luther ausbrach, gelangte in Frankreich nicht zum Durchbruch, da die Universität Paris Luthers Lehren als ketzerisch verurteilte und das Parlament deren Einführung durch strenge Maßregeln verhinderte. Viele Personen wurden wegen Hinneigung zur neuen Lehre hingerichtet, unter diesen sogar ein Rat Franz` I., Louis de Berquin. Frankreichs Verhältnisse waren derart, daß Luthers Lehren bei der weltlichen Macht nicht auf fruchtbaren Boden fallen konnten. Die Könige konnten von einer lutherischen Reformation nichts hoffen. Nicht die Unabhängigkeit von Rom und die Unterwerfung des Klerus unter die weltliche Gewalt war für die Könige Frankreichs zu erstreben, da das Konkordat ihnen mehr als genügend Einfluss in kirchlichen Angelegenheiten gewährte. Auch war Frankreich nicht in eine Menge Kleinstaaten zersplittert, und die Bischöfe hatten keine weltliche Territorialmacht, so daß ein Bestreben der Fürsten zur Erweiterung ihres Länderbesitzes durch Säkularisierung der kirchlichen Gebiete sich nicht zeigen konnte. Der Protestantismus ward daher in Frankreich nicht das erwünschte Mittel, unter der Fahne der Religion die Kirche und den Klerus zu plündern und sich vom Landesoberhaupt unabhängig zu machen. Franz I. erkannte in ihm nur eine Gefahr für seine Macht und erklärte, daß die neuen Sekten weniger dahin strebten, die Seelen zu erbauen, als die Staaten zu zerstören. –
Daß es jedoch in einem so großen Land wie Frankreich nicht an Elementen fehlte, welche die neue Lehre begierig aufgriffen und derselben Verbreitung zu verschaffen suchten, bedarf wohl keiner besonderen Versicherung. Calvin rechnete sogar auf den König und widmete ihm sein Hauptwerk (Christianae religionis institutio, Baseil. 1535). Luthers und Melanchthons Schriften fanden begierige Leser, und trotzdem, daß die Sorbonne die Verbrennung der lutherischen Schriften dekretiert hatte, wurden dieselben doch viel verbreitet. Für die Neuerung wirkte besonders Farel; er musste deshalb Paris verlassen, wurde aber nebst Arnold und Gerhard Roussel vom Bischof Briçonnet von Meaux freundlich aufgenommen. In Meaux sammelte Farel mit dem Wollarbeiter Johann Le Clerc eine Gemeinde von 300 bis 400 Mitgliedern. Le Clerc wurde jedoch gefänglich eingezogen und dann verbannt (1523); Farel musste Frankreich ebenfalls verlassen und begab sich nach der Schweiz. Die Herzogin von Etamps, die Maitresse des Königs, und seine Schwester Margaretha von Valois, Gemahlin des Königs Heinrich von Navarra, waren die Beschützer der Protestanten, und letztere namentlich sammelte die wegen protestantischer Gesinnungen Verfolgten an ihrem Hof in Bearn, wo eine besondere Art von Messe abgehalten wurde.
Besonders war Calvin von der Schweiz aus für die Verbreitung der neuen Lehre unter seinen Landsleuten tätig. Navarra, dann die Städte La Rochelle, Poitiers, Bourges und Orleans wurden die Hauptplätze der Calvinisten. Franz I. erließ nun am 2. Juni 1540 das Edikt von Fontainebleau, welches gebot, allen Neuerern als Verbrechern gegen göttliche und menschliche Majestät, als Verschwörern und Aufrührern den Prozess zu machen; selbst diejenigen sollten gestraft werden, welche sie beherbergen und beschützen würden. Zugleich ließ der König ein von der Universität verfaßtes Glaubensbekenntnis und ein Verzeichnis der verbotenen Bücher veröffentlichen (Cantu IX, 299). Während Franz in dieser Weise jede Neuerung in seinem eigenen Land unterdrückte, unterstützte der die Protestanten in Deutschland und verbündete sich mit ihnen, um mit ihrer Hilfe Karl V. bewältigen zu können; ja er schloß sogar mit den Türken ein Bündnis gegen den Kaiser (Janssen, Geschichte des deutschen Volkes II, 304ff; III, 1ff), so daß er schon damals der Störenfried der Christenheit genannt wurde. Franz hatte Alles getan und die Anwendung jedes Mittels für recht gehalten, um die königliche Macht in Frankreich zu stärken und Alles ihr unterzuordnen. Er führte statt der Söldner eine National-Infanterie ein und erwarb sich durch Beförderung der Wissenschaften, der Literatur und bildenden Künste den Namen „Père des lettres“ (Cantu IX, 490ff). Seine Ausschweifungen jedoch brachten ihm den Tod (1547).
Sein Sohn und Nachfolger Heinrich II. (1547 bis 1559) setzte seine Politik fort. Als Bundesgenosse Moritz` von Sachsen (Janssen III, 627ff) erneuerte er den Krieg gegen Karl V. angeblich für die Freiheit der deutschen Protestanten, in Wahrheit aber, um den deutschen Kaiser zu schwächen; in seinem eigenen Land verfolgte er die Protestanten als Empörer und wies durch das Edikt von Chateaubriand (1551) die Verfolgung derselben von den geistlichen Gerichten an die weltlichen. Die Zahl der hingerichteten Protestanten war in Frankreich größer als in jedem andern Land.
Dennoch konnten die Neuerer unter den beiden minderjährigen Nachfolgern Heinrichs, unter Franz II. (1559 bis 1560) und Karl IX. (1560 – 1574), sich wieder ausbreiten und zu Paris, Orleans, Rouen, Lyon und Angers protestantische Gemeinden bilden. Auf einer Generalsynode zu Paris (1559) vereinigten sich die Protestanten zu einer calvinischen Religions-Gesellschaft mit Presbyterial-Verfassung. (weitere Informationen siehe Beitrag: Hugenotten) Obwohl nun die Reformationsversuche mit Gewalt niedergeschlagen wurden, so brachten die Calvinisten doch für die katholische Kirche in Frankreich Tage schwerer Bedrängnis. Der Marschall Montgomery ließ z. B. zu Orthez allein 3000 Katholiken niedermetzeln; zahlreiche Mönche und Priester wurden ermordet oder lebendig begraben, 50 Kathedralen und 500 andere katholische Kirchen wurden zerstört (Alzog II, 366). Die Kriege mit den Hugenotten füllten die ganze Regierungszeit Karls IX. und seines Nachfolgers Heinrich III. (1574 – 1589) aus, ohne die Calvinisten unterdrücken zu können, so daß bei der Thronbesteigung Heinrichs IV. von Navarra, welcher selbst Calvinist war, Frankreichs katholische Kirche abermals in Gefahr geriet. Jedoch erkannte Heinrich bald, daß er nur dann allgemeine Anerkennung im Land finden werde, wenn er der katholischen Kirche angehöre, sowie er auch nicht der Einsicht sich verschließen konnte, daß Frankreich nur durch Beibehaltung des katholischen Glaubens einer gedeihlichen Entwicklung entgegen geführt werden könne. Deshalb trat er (1595) zum katholischen Glauben über, und ihm folgten viele andere bedeutende und hervorragende Männer. Die Calvinisten erhielten Duldung im Edikt von Nantes (1598); aber erst unter Ludwig XIII. (1610 bis 1643) wurde durch den Kardinal Richelieu (1624 – 1642) die politische Partei der Calvinisten gestürzt und mit der Erstürmung von La Rochelle der 70jährige Bürgerkrieg beendet. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 4, 1886, Sp. 1770 – Sp. 1773