Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Richelieu
Richelieu du Plessis, altes Adelsgeschlecht, das den Stammsitz zu Richelieu in der Touraine hatte.
1) Alphonse Louis, OCarth. Kardinal, * wahrscheinlich 1582 zu Paris, † 23.3.1653 zu Lyon. 1600 Dekan von St-Martin in Tours, hatte Anwartschaft auf das Bistum Luçon, das seit seinem Onkel Jacques (1586) Kommende der Richelieu war und in das sein Bruder Armand (siehe unten) nachrückte, als Alphonse 11602 in die Grande Chartreuse eintrat; durch Ludwig XIII. 1625 zum Erzbischof von Aix, 1628 von Lyon, 1632 zugleich zum Großalmosenier ernannt; erhielt Dezember 1629 sogar den roten Hut, obwohl 2 Brüder nicht gleichzeitig Kardinäle sein sollten. Eine religiöse. Ernste, melancholische Natur, von uneigennütziger Art und ungewöhnlichem Freimut, von tiefer Bescheidenheit und großer Freigebigkeit, erfüllte er seine Mönchs- und Hirtenpflichten gewissenhaft, bei der Pest in Lyon 1639 geradezu mit Heroismus. Wider Willen war er aus der Klosterstille trotz seiner Abneigung und bescheidenen Eignung für weltliche Geschäfte zu hohen kirchlichen und staatlichen Ämtern gerufen worden. Sein berühmter Bruder, in vielem der Gegensatz zu ihm, wollte damit nur sich selbst und die Familie Richelieu erhöhen, hielt ihn aber bewußt im Schatten, ja ließ ihn öfters im Stich, namentlich als der vom besonderen Vertrauen des Königs getragene „Kardinal von Lyon“ 1635 – 36 in diplomatischer Sendung an der Kurie weilte.
2) Armand, Jean, Herzog von Richelieu, Kardinal und bedeutendster Staatsmann Frankreichs, * 9.9.1585 zu Paris oder auf Schloß Richelieu, † 4.12.1642 zu Paris. Zuerst für die militärische Laufbahn erzogen; als sein Bruder Alphonse Kartäuser wurde zur Übernahme des Bistums Luçon, das ihm Heinrich IV. 11606 verlieh, für den geistlichen Stand bestimmt, nach 2jährigem Theologiestudium zum Priester und 16.4.1607, erst 21jährig, in Rom zum Bischof geweiht, herbst 1607 an der Sorbonne zum Dr. theol. Promoviert. Wirkte seit Ende 1608 in seiner Diözese, die er bis 1624 inne hatte, mit seelsorglichem Eifer und als guter Verwalter. Seine Schrift gegen die Hugenotten: Défense des principaux points de la foi cath. )Poitiers 1617) und seine in 30 Auflagen verbreitete, in mehrere Sprachen übersetzte Instruction du chrétien (Avignon 1619) sind dogmatisch einwandfrei (…).
Doch war er, wenn auch überzeugt katholisch, kein Mann tieferer Religiosität. Selbstbewusstsein und Ehrgeiz führten ihn zur Politik. 1614 als Vertreter des Klerus in die Generalstände gewählt, gewann er bald Einfluss bei der Königin-Mutter Maria von Medici und bei dem 1614 mündig gesprochenen, aber stets unselbständigen König Ludwig XIII., wurde Mitglied des Staatsrates, November 1616 Staatssekretär des Krieges und des Auswärtigen. Frühjahr 1617 nach dem Sturz des Ministeriums d`Ancre entlassen, lebte er zurückgezogen in Blois bei der Königin-Mutter und in seinem Bistum, wurde 1618 nach Avignon verbannt, 1619 aber durch Vermittlung des Kapuziners Joseph von Paris, der fortan sein intimer Berater und politischer Mitarbeiter war, zurück gerufen. Er brachte 1620 die Aussöhnung des Königs mit seiner Mutter zustande und drängte nun den Einfluss letzterer auf die Regierung immer mehr zurück. 5.9.1622 wurde Richelieu auf Betreiben des Hofes von Gregor XV. zum Kardinal promoviert (…), April 1624 dessen Chef, 1629 auch formell leitender Minister Frankreichs. Er blieb trotz aller Intrigen und Verschwörungen seiner Gegner, denen sich auch die Königin-Mutter anschloß (10.11.1630 la journée des dupes!), bis zu seinem Tode der eigentliche Herrscher Frankreichs und gewissermaßen der Gebieter Europas. Auf der Höhe seiner Erfolge erlag er nach Empfang der Sterbesakramente einem schweren Gichtleiden. Sein Grabmal ist in der Kirche der Sorbonne.
Richelieu war ein genialer Staatsmann von ruhelosem Ehrgeiz, ein kühler, behutsamer Rechner von großartiger Kühnheit der Pläne und von eiserner Willenskraft, mehr Politiker und Franzose als Priester, unbedenklich in der Wahl der Mittel, wenn es die Staatsräson galt. Er strebte vor allem danach, die Macht der Krone gegen den widerspenstigen Feudaladel zu stärken und Frankreich zum einheitlichen, absolutistisch regierten Staat zu machen. Deshalb brach er auch die politisch-militärische Machtstellung der Hugenotten und der mit ihnen verbündeten katholischen adeligen endgültig durch die von ihm persönlich geleitete Eroberung der Seefeste La Rochelle (1628). In innerkirchlicher Beziehung begünstigte er den Gallikanismus und kam deshalb wiederholt mit dem Hl. Stuhl in Konflikt. Doch versagte er sich nicht den nötigen Reformen in Klerus und Mönchtum und förderte die Volksmissionen und die auswärtige Mission. Er war Gegner der Jesuiten (Beichtväter des Königs!), wußte aber auch sie schlau seinen staatskirchlichen Plänen dienstbar zu machen (vgl. Fouquetay IV u.V; Koch, Jesuitenlexikon (1934) 1543/45). Gegen Ende seines Lebens machte man ihm den Vorwurf, er arbeite auf ein Schisma hin und wolle sich als „Patriarch“ die gesamte geistliche Gewalt in Frankreich übertragen lassen. Er genoß die Einkünfte zahlreicher Abteien und Pfründen im Betrag von rund 275000 Livres, wurde 1629 Generalabt von Cluny und übernahm 1637 trotz Widerspruch Roms die gesamte Verwaltung des Zisterzienser- und Prämonstratenser-Ordens. Kunst und Wissenschaft verdanken ihm tatkräftige Unterstützung; 1635 gründete er die Académie française (…).
Außenpolitisch war Richelieus mit Erfolg gekröntes Ziel, die spanisch-habsburgische Macht nieder zu werfen und Frankreich an ihrer Stelle zur Vormacht Europas zu erheben. Deshalb unterstützte er die protestantischen deutschen Fürsten in ihrem Kampf gegen den Kaiser Ferdinand II. und III. und gegen den Katholizismus im Dreißigjährigen Krieg, förderte das Eingreifen des Königs Christian IV. von Dänemark in den deutschen Streit (1625-29), betrieb die Entlassung Wallensteins und suchte den Kurfürsten Maximilian I. von Bayern von dem Bund mit dem Kaiser abzusprengen, ermunterte Gustav Adolf zum Einfall in Deutschland (1630) und zahlte ihm Hilfsgelder, nahm schließlich trotz päpstlicher Friedensbemühungen 1635 offen mit den Waffen am Krieg teil, dessen letzte schwedisch-französische Periode (1635-48) wesentlich sein Werk ist; auch Spanien erklärte er 1635 in den Niederlanden den Krieg und schürte einen aufstand in Katalonien. Mehr als irgend eines andern Staatsmannes hat Richelieus Wirken das Deutsche Reich und den deutschen Katholizismus geschädigt, die katholische Restauration in Deutschland erfolglos gemacht, die religiöse und politische Spaltung daselbst verewigt, die Zerklüftung Europas in Nationalismen und die Trennung von katholischer und protestantischer Kultur gefördert, kurz die Solidarität des christlichen Abendlandes zerstört. Die Schrankenlosigkeit, die er für die königliche Gewalt in Frankreich schuf, wurde diesem zuletzt selbst zum Verderben. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. VIII, 1936, Sp. 879 – Sp. 881