Gründe für das Recht der Todesstrafe
1. Die Heilige Schrift anerkennt das Recht der Todesstrafe; die Staatsgewalt ist befugt, in gewissen Fällen die Todesstrafe zu verhängen. So bedrohte die alttestamentliche Gesetzgebung eine Reihe von Verbrechen mit dem Tode, und besonders wurde das Prinzip durchgeführt: „Wer Menschenblut vergossen, dessen Blut soll ebenfalls vergossen werden, denn nach Gottes Bild wurde der Mensch geschaffen“ (Gen. 9,6, Ex. 21,12; 14,23; Lev. 20,1ff; 24,17. 21; Deut. 17,6; 19,11ff). Das Recht der Todesstrafe wird von Christus bestätigt (Joh. 19,10f), und der Apostel Paulus stellt im Sinne seines Meisters fest: „Nicht umsonst trägt die Obrigkeit das Schwert, Gottes Gehilfin ist sie, eine Rächerin zum Zorne dem, der das Böse verübt“ (Röm. 13,4). Wie jedes Recht, so geht also auch das Recht der Obrigkeit, die Todesstrafe über einen Verbrecher zu verhängen, auf eine Pflicht der Obrigkeit gegen Gott zurück, denn „nicht umsonst trägt sie das Schwert.“ Wenngleich die Kirche, soweit nur möglich, der Milde das Wort redet und die direkt zu Todesurteil und Hinrichtung Mitwirkenden für irregulär erklärt (C.c. 984, 6f.), so lehrt sie doch, daß die weltliche Gewalt ein Todesurteil aussprechen und vollziehen darf, wenn dabei der Zweck der Gerechtigkeit maßgebend ist und die erforderliche Sorgfalt und Sachlichkeit nicht außer acht gelassen wird. (Denz. nr. 425) Diese Lehre entspricht der gesamten christlichen Tradition. Kurz und klar hat Klemens von Alexandrien, unter Verwendung stoischer Gedanken, das Recht der Todesstrafe ausgesprochen und begründet: wenn einer bis zur äußersten Ungerechtigkeit sich hinreißen läßt und gleichsam unheilbar zu sein scheint, dann muß das Gesetz für die andern Sorge tragen, damit sie von ihm nicht zugrunde gerichtet werden, das Gesetz wird in solchen Fällen am besten und heilsamsten bestimmen, daß der Übeltäter wie ein schädliches Glied des ganzen Leibes abgetrennt und hingerichtet werde. (Strom. 1,27) Trotz seiner außerordentlichen Milde, womit Augustinus um Schonung für den Übeltäter bittet, damit er nicht ohne Buße dahin sterbe (Sermo 13,8), bestreitet er dennoch der Obrigkeit keineswegs das Recht, die Todesstrafe zu verhängen und zu vollziehen. (Ep. 134,2; 153,6,17. S. Schilling, Die Staats- und Soziallehre des heiligen Augustinus, S. 176ff) Thomas von Aquin hat dann im Sinne der christlichen Tradition die Lehre von der Rechtmäßigkeit der Todesstrafe übernommen und sie wissenschaftlich eingehend begründet (S. th. 2,2 q. 64, a. 2f).
2. Die vernunftmäßige Begründung des Rechtes der Todesstrafe hat von dem letzten Zweck der Strafe, also von der Notwendigkeit des staatlichen Selbstschutzes auszugehen und von dem Prinzip, daß das erlaubt sein muß, was zur Erhaltung des Ganzen als notwendig sich erweist. Wie der Arzt zur Erhaltung des Leibes ein krankes Glied, von dem der Gesundheit und dem Leben Gefahr droht, entfernt, so kann der Vertreter der staatlichen Gewalt Glieder der Gesellschaft durch die Todesstrafe entfernen, die den Frieden der Gemeinschaft durch ihr verbrecherisches Treiben gefährden. Zweifellos geht das Gemeinwohl dem Einzelwohl vor, wenn nun durch das Verhalten verworfener Menschen der Friede der menschlichen Gesellschaft gefährdet und gestört wird, so muß das Einzelwohl dem Gemeinwohl geopfert werden (C. Gent. 3,146 S. th. 2,2, q. 64, a. 2. Cat. Rom. 3,6,4)…
Die Todesstrafe ist und bleibt erlaubt, sobald sie zum Schutze des Friedens und der Rechtssicherheit im Staate als notwendig sich erweist und ein diesen Frieden gefährdendes Verbrechen vorliegt. Die letzte Begründung des Rechtes der Todesstrafe ist also in der Notwendigkeit zu finden, das Gemeinwohl wirksam zu schützen. Daß dieses gegenüber dem Verbrechertum wirksam nur durch die Todesstrafe zu schützen ist, zeigt sich deutlich beim Verbrechen des Mordes: Staaten, die modernen Ideen nachgebend, die Todesstrafe abschafften, mußten sie zu wirksamer Abschreckung wieder einführen. Nicht außer acht zu lassen ist gerade beim Mord überdies der andere Zweck der Strafe, die Verwirklichung der Gerechtigkeit, der die Staatsgewalt im Namen des Höchsten zu dienen hat und die sie in seinem Auftrag durchführen soll; schließlich ist ja auch hier wieder die Rücksicht auf das Gemeinwohl entscheidend: das Gemeinwohl ist nur dadurch zu erhalten, daß nicht allein die Übeltäter abgeschreckt werden, sondern zugleich die Gerechtigkeit, der Gedanke der gerechten Wiedervergeltung gewahrt wird, andernfalls wird das Rechtsbewußtsein aufs schwerste erschüttert. Endlich kann, um die vernunftmäßige Begründung zu vollenden, auf die übereinstimmende Überzeugung und Übung der Völker hingewiesen werden, daraus ist zu entnehmen, daß es sich um eine notwendige Ordnung handelt. Die seit Becarria (1764) vom einseitigen Individualismus ausgehende Bekämpfung der Todesstrafe konnte über das gesunde Urteil der Vernunft nicht obsiegen; auch der Sozialismus, der, vom Individualismus ausgehend, ein Gemisch von extremen Ideen darstellt, ist erklärter Gegner der Todesstrafe, was aber seine Vertreter nicht abhält, dort, wo sie zur Macht gelangt sind, die Todesstrafe in barbarischer Weise anzuwenden.
3. … Allein die Obrigkeit trägt „nicht umsonst“ da Schwert (Röm. 13,14), und es geht, was speziell das Verbrechen des Mordes betrifft, nicht an, die Idee der gerechten Wiedervergeltung völlig auszuschalten oder zu ignorieren.
Die Frage, auf welche Verbrechen die Todesstrafe zu setzen sei, ist je nach dem Stand der Kultur und den Erfordernissen des Gemeinwohles nicht immer und überall in derselben Weise zu beantworten. Das mosaische Gesetz ist also nicht maßgebend; seine Bestimmungen sind ja auch, soweit es sich um Judizialgesetze handelt, aufgehoben. Vorausgesetzt ist bei den todeswürdigen Verbrechen, daß dabei Verbrechen mit irreparablem Charakter und besonderer Abscheulichkeit in Betracht kommen (S. th. 2,2, q. 66, a. 6 ad 2.)
Die weitere Frage, ob dem Träger oder dem höchsten Vertreter der staatlichen Gewalt das Begnadigungsrecht einzuräumen sei, ist im Geiste des Christentums und der christlichen Tradition zu bejahen (Augustinus, Ep. 139,2), doch darf die Ausübung des Begnadigungsrechtes im einzelnen Fall dem Gemeinwohl nicht schaden (S. th. 2,2, q. 67, a. 4). Das Begnadigungsrecht muß bestehen, zumal wenn es sich um die Todesstrafe handelt, weil sonst leicht unerträgliche Härten die Folge sein könnten.
Einwendungen
Vom religiösen Standpunkt aus wird eingewendet, Gott verbiete die Tötung eines Menschen; diese Deutung des Gottesgebotes widerspricht aber durchaus dessen Sinn, denn es wird durch den Dekalog nur die ungerechte Tötung verboten (S. th. 1,2, q. 100, a. 8 ad 3).
Im Sinne moderner Humanität wird auf die Menschenwürde hingewiesen, wodurch solche Behandlung eines Menschen verwehrt sein soll. Mit Thomas von Aquin wird man hierauf erwidern müssen, daß der Mörder die Menschenwürde mit Füßen tritt, daß auf ihn, wenn auf irgendwen, das Wort der Schrift Psalm 48,21 Anwendung findet und daß ein solcher Übeltäter schädlicher ist als ein vernunftloses Tier (S. th. 2,2, q. 64, a. 2 ad 3. In Pol. 1,2, lect. 1, y). Unantastbar ist die Menschenwürde nur, solange der einzelne sie nicht selbst aufgibt.
Zugegeben ist, daß die Möglichkeit der Besserung unter Umständen durch die Todestrafe abgeschnitten wird, aber solches geschieht durch die Schuld des Verbrechers selbst, der sich nicht bessern will. Allerdings könnte der Verbrecher, ließ man ihn am Leben, sich vielleicht später noch bekehren, aber die Gefahr, die von seinem Leben droht, ist größer und gewisser, als das von seiner Besserung zu erwartende Gut. Im übrigen haben die zum Tod verurteilten Verbrecher ja auch so die Möglichkeit, sich zu Gott zu bekehren, sind sie so verstockt, daß sie selbst angesichts des Todes ihren Sinn nicht vom Bösen abwenden, so kann man mit genügender Wahrscheinlichkeit vermuten, daß sie sich nie bessern würden (C. Gent. 3,146). Natürlich ist dem Delinquenten, wenn immer möglich, so viel Zeit zu lassen, daß er die Gnadenmittel der Kirche empfangen kann.
Der Gefahr des Justizmordes würde allerdings am sichersten durch Abschaffung der Todesstrafe vorgebeugt. Aber wenn mit Gewissenhaftigkeit verfahren und nach dem Grundsatz gehandelt wird, daß im Zweifel eher ein Schuldiger frei zu sprechen als ein Unschuldiger zu verurteilen ist, so wird die Gefahr des Justizmordes auf ein Mindestmaß herab gemindert. Diesem unleugbar nie ganz zu beseitigenden Übel steht alsdann ein weit größeres, dem Gemeinwohl und der Gesellschaft drohendes Übel gegenüber, wenn entweder die Todesstrafe abgeschafft oder auf Fälle beschränkt wird, wo jeglicher Irrtum absolut ausgeschlossen ist. Übrigens sind auch andere Strafen irreparabel; und zudem lehrt der Glaube eine Ausgleichung nach diesem Leben. –
aus: Otto Schilling, Lehrbuch der Moraltheologie, II. Band: Allgemeine Moraltheologie, 1927, S. 628 – S. 631