Abraham der Stammvater des christlichen Glaubens – Abraham durch Glaube gerechtfertigt ohne Gesetz (nach Röm. 4 Vers 13-25)
Die Wahrheit, dass die Erlösung eine Gabe freier göttlicher Liebe ist, die nur auf Grund des Glaubens und unabhängig von der Zugehörigkeit zu dem jüdischen Volk von Gott geschenkt wird, beleuchtet Paulus nochmals von einem andern Gesichtspunkt aus. Es liegt ihm ungemein viel daran, die Universalität des ewigen Heilsratschlusses und den reinen Gnadencharakter der Rechtfertigung über allen Zweifel zu erheben. Darum greift er wiederum auf die Geschichte Abrahams zurück, dessen Leben allein schon zu einer Enthüllung der göttlichen Heilsordnung geworden war. Ihm hatte Gott die Verheißung gegeben, dass seine Nachkommen das Land Kanaan besitzen und dass in ihm und in seinem Samen alle Völker der Erde gesegnet werden (1. Mos. 12, 3; 18, 18).
Diese göttliche Zusicherung wurde von den Juden messianisch bedeutet, und es wurde von ihnen in Kanaan ein Typus des weltumspannenden Messiasreiches gesehen. Davon geht Paulus aus; er weicht nur darin von der jüdischen Auslegung ab, dass er „Same“ auf die Person des Messias und nicht auf die gesamte Nachkommenschaft Abrahams bezieht. Nach ihm bilden ja die Christen mit Christus eine organische Einheit. Darum schreibt er an die Galater: „Ihr alle seid einer in Christus.“ (3, 28) In dieser Auffassung besagt das Gotteswort, dass der Messias „Erbe der Welt“ werden soll und dass somit Menschen aus allen Rassen und Nationen berufen sind, in sein Reich, die Kirche, eingegliedert zu werden.
Die göttliche Zusicherung an Abraham stand nicht in Zusammenhang mit dem mosaischen Gesetz
Diese Zusicherung stand weder in Zusammenhang mit dem mosaischen Gesetz, das erst vierhundert Jahre später verkündet wurde (vgl. Gal. 3, 17), noch mit irgendeinem anderen Gesetz. Sie konnte darum auch gar nicht „auf Grund des Gesetzes“ gegeben worden sein, sondern hatte nur die „Glaubensgerechtigkeit“ des Patriarchen zur Voraussetzung. Der gleiche heroische Glaube, der Abraham zur Gerechtigkeit angerechnet wurde, war für Gott auch der Anlass, ihn zum geistigen Vater aller Erlösten zu machen. Als der Ewige ändert er aber seine Entschlüsse nicht. Hat er den messianischen Heilssegen den kommenden Völkern einzig auf Grund der gläubigen Gesinnung des Patriarchen zugesagt, dann kann er ihn nicht später von dem Besitz des Gesetzes abhängig machen.
Durch die nachträgliche Beschränkung der Rechtfertigung auf die Inhaber des Gesetzes würde die Verheißung in ihrer ursprünglichen Allgemeinheit hinfällig geworden sein; die Heiden wären tatsächlich von der Erlösung ausgeschlossen, da das Gesetz nur den Juden gegeben war. Genügte ferner der Besitz des Gesetzes, um einen Anspruch auf das messianische Heil zu erlangen, dann kam dem Glauben nur noch eine untergeordnete Bedeutung zu.
Die Verheißung Abrahams kann nicht auf das Gesetz gegründet sein
Ja noch mehr! Die ganze Verheißung würde hinfällig werden, wenn sie auf das Gesetz gegründet wäre; sie könnte selbst bei den Juden nicht zur Erfüllung kommen. Denn die Geschichte und die Erfahrung Israels hat gezeigt, dass das Gesetz als Heilsvermittler gar nicht in Frage kommen kann, weil es nicht Segen brachte, sondern „nur Zorn“ bewirkte. Durch seine vielen Gebote und Verbote hatte es die Begierlichkeit gereizt und die Häufigkeit der Sünde gemehrt, da es nicht die Kraft gab, den Widerstand der Begierlichkeit zu überwinden. Übertretung ist nur dort möglich, wo ein Gesetz ist. Das Gesetz scheidet somit als Heilsvermittler aus.
Abraham ist Vater aller Christgläubigen
Nach dem ewigen Heilsplan Gottes sollte die Erlösung ein reines Gnadengeschenk sein. Darum hat sie Gott nur an die einzige Voraussetzung geknüpft, dass der Mensch die Heilsbotschaft gläubig annehme. Dadurch blieb der Gnadencharakter vollkommen gewahrt und war der messianische Verheißungssegen allen gesichert, ob sie „aus dem Gesetz“ kamen, also Juden waren, oder ob sie „aus dem Glauben Abrahams“ stammten, durch einen ähnlich starken Glauben mit Abraham in geistiger Beziehung standen, obwohl sie Heiden waren. Der Patriarch ist „vor Gott“, in den Augen Gottes, nicht in den Augen der Juden, der Vater aller Gläubigen. In diesem Sinn hat schon die Verheißung die Vaterschaft Abrahams verstanden: „Zum Vater vieler Völker habe ich dich bestellt“ (1. Mos. 17, 5).
Das Zitat erinnert Paulus an die Umstände, unter denen der Herr dieses Wort zu dem Patriarchen gesprochen hatte. Dieser war bereits 99 und Sara 89 Jahre alt, als ihnen die Geburt Isaaks, der Stammvater von Königen und Völkern werden sollte, verheißen wurde. Abraham glaubte dem göttlichen Wort, obwohl bei ihnen die Zeugungsfähigkeit längst erstorben schien. Er glaubte, dass der Herr in einem schon erstorbenen Körper neue Lebensfähigkeiten wecken kann. Das Wunder ist ja nicht größer als die Erweckung eines Toten oder die Erschaffung der ganzen Welt aus dem Nichts.
Abraham bestand glänzend die Glaubensprüfung
Darin liegt die wahre, von Gott selbst gewürdigte Größe des Patriarchen, dass er „gegen alle Hoffnung hoffend“ der göttlichen Verheißung unbedingten Glauben schenkte, als der Herr ihn zum sternbesäten Himmel wies und ihm sagte: „Zähle die Sterne, wenn du kannst! So zahlreich wird deine Nachkommenschaft sein.“ (1. Mos. 15, 5) Er übersah keineswegs die natürlichen Hemmungen, die sich dem Glauben entgegenstellten; er bedachte wohl sein eigenes hohes Alter und die Unfruchtbarkeit Saras (vgl. 1. Mos. 17, 17).
Aber diese, menschlich gesprochen, unüberwindlichen Schwierigkeiten vermochten nicht den geringsten Zweifel an der Wahrhaftigkeit und Treue Gottes in seiner Seele zu wecken. Glänzend bestand er die Glaubensprüfung, die in der Verheißung lag. Keinen Augenblick wurde er schwach im Glauben, vertraute vielmehr fest der göttlichen Allmacht, die erfüllen kann, was die göttliche Liebe versprochen hat. Dieser starke Glaube und dieses vorbildliche Bekenntnis zu Gottes Allmacht, Wahrhaftigkeit und Treue war dem Herrn in hohem Grad wohlgefällig. Darum schenkte er ihm die Gnade der Rechtfertigung.
Durch den Glauben gelangt man zur Rechtfertigung
Was Paulus dem Leben Abrahams entnahm, dass sein Glaube ihm zur Gerechtigkeit angerechnet wurde, hat nicht nur geschichtliches Interesse. Es ist auch für alle Zeit zur Belehrung geschrieben, wie auch andere durch den Glauben zur Gerechtigkeit gelangen. Zwischen dem Glauben des Patriarchen und dem von dem Christen geforderten Glauben bestehen nahe Beziehungen; es ist der Glaube an den allmächtigen Gott, der Totes wieder lebendig machen kann. Abraham glaubte, dass der Herr eine schon erstorbene Zeugungsfähigkeit wieder wecken kann.
Wer Christ werden will, muss glauben, dass Gott Christus von den Toten auferweckt hat. Denn die Auferstehung Christi ist Zweck und Bürgschaft der Rechtfertigung. Durchs einen Tod hat der Heiland für die Sünden der Menschen genuggetan und den Fluch beseitigt. Durch seine Auferstehung aber wird die von ihm verdiente Gnade der Gotteskindschaft zugewendet. Denn nur in einem lebenden und erhöhten Christus können wir am göttlichen Leben teilnehmen. –
aus: Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XIV, 1937, S. 40 – S. 42
Siehe auch die Beiträge:
- Abraham ist Vorbild des Glaubens für die Gläubigen im Neuen Bund
- Abraham und die Söhne Agars und Ceturas
Weitere Beiträge siehe auf katholischglauben.online:
– Die Heilige Schrift für das Leben erklärt
Bildquellen
- Hortus_Deliciarum,_Der_Schoß_Abrahams: wikimedia