Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Kanaan
Kanaan, Name des dem Volke Israel verheißenen Landes, der im engeren Sinne für die Meeresküste (Jos. 13, 4; Soph. 2, 5 u. ö.), im weiteren für das Westjordanland (Nm. 32, 29f; Jos. 22, 9. 32) steht, ähnlich dem Namen Palästina (= Philistäa). Nm. 34, 3-12 werden die Grenzen angegeben. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, Sp. 770
Kanaan, in der heiligen Schrift 1. Name einer Person, des jüngsten unter Chams Söhnen (Gen. 9, 18ff; 10, 6. 15; 1. Par. 1, 8. 13; Dan. 13, 56). In diesem Sinne sind auch Ausdrücke wie „Geschlecht Kanaans“ (Gen. 28, 6. 8; 36, 2) zu deuten. Der Name steht dann metonymisch, wie Israel und Juda, auch für das Volk, welches von der betreffenden Person abstammt (Os. 12, 7).
Daher ist Kanaan 2. Name einer Völkerschaft, welche sonst Kanaaniter heißt (Gen. 10, 19; Jos. 5, 1 Vulg.; Richt. 10, 12; Ps. 105, 38, 134, 11; 1. Mach. 9, 37; lingua Chanaan Is. 19, 18). Demnach findet sich sehr häufig im AT (wozu auch Apg. 13, 19 zu ziehen ist) der Ausdruck terra Chanaan für das von diesem Volk bewohnte Land (z. B. Gen. 11, 31; 12, 5; 13, 12 usf.). Aus dieser Verbindung stammt ebenfalls metonymisch der Gebrauch, wonach Kanaan 3. Name eines Landes ist (Ex. 15, 15; Richt. 4, 2. 23. 24; 5, 19; Is. 23, 11; Soph. 1, 11; Apg. 7, 11). Unrichtig ist die Ansicht, daß Kanaan ursprünglich als appellativer Landesname mit der Bedeutung Niederland im Gegensatz zu Aram = Hochland gebraucht, und daß ersterer Name, wie letzterer, auf einen postulierten Stammvater übertragen worden sei; Kanaan ist nämlich zum größten Teil ein Gebirgsland (vgl. 3. Kön. 20, 23), Aram zum größten Teil eine Stromebene, und als Gegensatz zu Kanaan erscheint bloß Galaad (Num. 32, 32; 35, 14; Jos. 22, 9; Richt. 21, 12)… An den beiden Stellen Ex. 16, 29; 17, 4 steht Kanaan wegen seiner Bedeutung als Handelsland bildlich als Bezeichnung für Babylonien.
Kaum ist des möglich, das Auge auf Kanaan als auf das Land der Verheißung zu fixieren, ohne über die Weltstellung desselben noch ein Wort gläubiger Anschauung beizufügen. In den Kreis der göttlichen Ratschlüsse zur Menschen-Erlösung war auch Kanaan, das dem Bundesvolk zugewiesene Land, mit hinein gezogen. Nicht bloß Völker, sondern auch Länder haben im großen Weltorganismus ihre bestimmte Stellung und Weisung; so hatte Kanaan seine positive Stellung sowohl zum göttlichen Werk der Welterlösung als auch zu dem Bundesvolk Israel, dem es zugewiesen war, und das den göttlichen Zwecken der Erlösung dienen musste. Anlangend zuerst das Bundesvolk, war Kanaan nicht bloß ganz für die Individualität des Volkes als Bundesträger, sondern auch für den Charakter und die Abzielung des Bundes, dessen Schauplatz es war, berechnet. Es gehörte zu dieses Volkes eigentümlichster Individualität, sich als ein in seiner Existenz nicht auf bloß natürlichen Wegen begründetes zu wissen, und dazu diente ihm auch das Land, das nicht auf dem Wege natürlicher Akquisition, sondern nur in Folge göttlicher Konzession und Verheißung erworben ward.
Als solches musste es aber auch so beschaffen sein, daß sowohl seine geographische Lage, als auch seine innere physische Beschaffenheit, die spuren göttlicher Berechnung für höhereZwecke, wie sie im Bundesakt ausgesprochen waren, leicht erkennen ließen. Partikularismus und Universalismus waren in der Aufgabe und Stellung des Volkes Israel auf eine wunderbare Weise vereint. Jener sollte das Volk in seiner Stellung zu den übrigen Völkern in einer strengen Abgesondertheit und Absperrung erhalten, dieser aber aus ihm das neue Leben der Menschheit entfalten. Beiden musste auch das Land dienstbar sein. Abgesperrt von allen andern Völkern, den ganz natürlichen Verkehr ausgenommen, sollte Israel, befruchtet vom göttlichen Ratschluss, in seinem Schoß den Keim des zukünftigen Heiles aufnehmen und denselben bis zu seiner Reise mit mehr als mütterlicher Sorgfalt pflegen. Diesem Partikularismus diente das zugewiesene Land nach seiner ganzen geographischen Lage. Während dasselbe westwärts durch die Fluten des innern Meeres vom westlichen Festland getrennt und ostwärts über den Jordan hin durch ein weithin gedehntes Sandland begrenzt ist, breitet sich südwärts ein nicht minder abgrenzendes Sandmeer aus und im Norden bilden die Libanons-Gehänge eine fast unübersteigliche Mauer.
Mit Recht spricht der Herr (Is. 5, 1ff) von einem wohl umzäunten und durch Schutzwerke wohl gesicherten Weinberg, an dem er alle seine Sorgfalt der Liebe und der Treue verschwendet habe. Der innere Kern des Landes, ein zerklüftetes und mit Fruchttälern durchschnittenes Gebirge, bot wie einerseits tüchtigen Schutz gegen Gefahr von Außen, so andererseits ein gesichertes Terrain für selbständige Entwicklung und Bildung, wie solche die des Bundesvolkes sein sollte; die äußerst fruchtbaren Flächen und Täler, und die weidereichen Gehänge der Gebirgsausläufer sicherten seinen Bewohnern die Befriedigung natürlicher Bedürfnisse, um derentwillen sie keine Kommunikationen mit fremden Nachbarvölkern zu suchen brauchten (Ex. 3, 8; Deut. 8, 7ff; Is. 36, 17; Tacit. Hist. 5, 6).
Doch, so fruchtbar das Land in seiner natürlichen Anlage und unter milden klimatischen Einflüssen dasteht, so stark auch unterliegt es dem Wechsel feindseliger Elemente und Potenzen, die gar bald den Anblick des Segens in den des Fluchs umwandeln. Beiderlei Elemente sind Werkzeuge in der Hand dessen, der lohnt und straft, und von dessen Bewusstsein das Volk zugleich bei aller natürlichen Absonderung in ein solches Gedränge des natürlichen Völkerlebens nach seiner geographischen Stellung gebracht, daß ihm die Bewegungen der großen Völker, die Interessen derselben, ihre wechselseitigen politischen Verhältnisse als Arm dienen mussten, mit welchem er sein Volk hob und erniedrigte, lohnte und strafte, lenkte und richtete. Kanaans und seines Volkes Stellung zwischen Ägypten und den ostasiatischen Reichen füllt mehrmals den Mund der Propheten, und wie jenes dem jugendlichen Volk zur Schule und Bildung diente, so diese dem gefallenen Israel zur Züchtigung.
Doch großartiger noch ist Kanaans Stellung zur erlösungsbedürftigen Welt. Niemand wird zwar, wenn er Ez. 5, 5 liest, an der Griechen Meinung vom Nabel der Erde denken und in Jerusalem den Zirkel einsetzen, um die Peripherie des Erdkreises zu beschreiben; allein dem tiefer Denkenden und in Gottes Ratschlüssen Forschenden wird eine weit höhere Mitte Kanaans sich erschließen, und dies zwar nicht allein vom ethischen Standpunkt aus erfaßt, von welchem aus Golgotha der Nabel, die Mitte der Erde heißt (Tertull. Adv. Marc. 2, 196; Stephan. Borg. De cruce, Romae 1779), sondern auch vom Standpunkt der geographischen Lage, nach welchem dasselbe fast in der Mitte der drei damals bekannten Weltteile lag, von wo aus, als die Sonne der Gerechtigkeit aus Jerusalems Bergen hervor brach, die Strahlen in unwiderstehlichem Glanz über die in Sünde und Nacht versunkene Menschheit sich ergossen und ein neues „Es werde Licht“ über den Erdkreis hin ertönen ließen. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 2, 1883, Sp. 1787 – Sp. 1790
Kanaan, das Land, das von Milch und Honig fließt
Wegen seiner Fruchtbarkeit hieß Kanaan „das Land, das von Milch und Honig fließt“ (Ex. 3, 8 usw.) (1), und wirklich ist es durch seine geographische Lage und seine so sehr verschiedenen Höhenverhältnissen und so mannigfache Gestaltung und Beschaffenheit des Bodens ganz besonders geeignet, die mannigfachsten Erzeugnisse in reicher Fülle hervor zu bringen. Es war reich an Fruchtbäumen, nützlichen Strauchgewächsen und Kräutern; Feigen- und Granatbäume sowie der Weinstock, Obst-, Öl- und Mandelbäume lieferten reichen Ertrag. Dazu kamen kostbare Gewürze: Myrrhe, Kalmus, Kassia, Safran, Balsam, Weihrauch usw. Durch Schönheit und Nützlichkeit gleich ausgezeichnet waren die Platanen oder Ahorne, Zypressen, Therebinthen, Akazien, Palmen sowie die Zedern des nahen Libanon. Im tief liegenden Jordantal mit seinem fast tropischen Klima gediehen die Erzeugnisse Ägyptens, Nubiens und Indiens (2).
Besonders im südlicheren Teil bei Jericho brachte der Boden die herrlichsten Erzeugnisse hervor: Trauben, Feigen, mächtige Palmen und herrliche Rosenpflanzungen, selbst die Balsamstaude, Zuckerrohr, Indigo, Baumwolle usw. Beinahe buchstäblich aber floss ehedem das Land von Milch und Honig durch den staunenswerten Reichtum an Herden, die seine Wüsten und Triften nährten, sowie an edlem und wildem Honig; letzterer wird von den wilden Bienen in die Felsenritzen und hohlen Bäume getragen, von wo der Überfluss herab trieft. Der von vielen Bächen durchschnittene Boden war bis auf die Spitzen der Berge hinauf außerordentlich fett und fruchtbar; die Temperatur hielt die Mitte zwischen übermäßiger Hitze und strenger Kälte. Im Herbst und Frühling fielen befruchtende Regengüsse, der sog. Frühregen zur Zeit des Ackerbaus und der sog. Spätregen vor Beginn der Ernte im März und April. Der früher viel größere Reichtum an Waldungen sowie die überaus fleißige Bebauung und kunstvolle Bewässerung erhöhten überdies ganz außerordentlich die natürliche Fruchtbarkeit des Landes,
So konnte es unter David und Salomon ein Volk von fünf Millionen ernähren und noch reichlich seine Erzeugnisse ausführen. Ähnlich noch zur Zeit Christi, ja teilweise bis ins Mittelalter. Erst unter der Herrschaft der Türken verfiel das Land der Verwahrlosung, …
Anmerkungen:
(1) Darum konnte Moses dem Volk sagen: „Der Herr, dein Gott, wird dich führen in ein gutes Land, ein Land der Bäche, Gewässer und Quellen, … ein Land des Weizens, der Gerste und der Weinstöcke, in dem Feigen und Granatäpfel und Oliven wachsen, ein Land des Öles und des Honigs, wo du (Israel) ohne allen Mangel dein Brot essen und alles im Überfluss haben wirst, ein Land, dessen Steine Eisen sind (das Eisenerz in Fülle bietet) und aus dessen Bergen man Erz gräbt“ usw. (Dt. 8, 9ff; vgl. 11, 9; 32, 13f)
(2) Die meisten Fische des Sees Genesareth stimmen mit denen des Nil überein; auch unter den Vögeln finden sich nordost-afrikanische und selbst indische Arten; bei Jericho und am Toten Meer kommt ein Kolibri ähnlicher Vogel in großer Zahl vor. Die echte Papyrus-Staude wächst nördlich von der Ebene Genesareth, dicht an dem Ufer des Sees in großer Üppigkeit mit Stängeln von 16 Fuß Höhe, und in den Sümpfen des Merom-Sees bedeckt sie Flächen von vielen Morgen. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 279 – S. 281