Gnadenorte der hohen Himmelskönigin Maria
Unsere Liebe Frau aus Griechenland zu Porto in Italien
Petrus von Onesti, Sohn einer sehr vornehmen Familie zu Ravenna, im Jahre 1049 geboren, führte von Jugend auf ein sehr tugendhaftes Leben und zeichnete sich besonders durch Demut und Selbstverachtung aus. Wiewohl er stets in aller Unschuld gelebt hatte, so wollte er doch den Beinamen „der Sünder“ annehmen und führen. Als Jüngling unternahm er eine Pilgerreise nach Palästina und verweilte dort mehrere Jahre, um durch wiederholte Besuchung der heiligen Orte die Liebe zu dem göttlichen Heiland und U. L. Frau in seinem Herzen immer mehr anzufachen. Endlich kehrte Petrus am 20. April 1096 in sein Vaterland zurück und war bereits schon in der Nähe seiner Vaterstadt Ravenna, als er durch einen plötzlich entstandenen Sturm Gefahr lief, Schiffbruch zu leiden. Der Steuermann und die Übrigen auf dem Schiff hatten schon die Hoffnung auf Rettung aufgegeben; doch Petrus schickte zu seiner süßen Mutter und Fürsprecherin Maria heiße Gebete empor und gelobte an dem Ort, wo das Schiff glücklich landen würde, eine Kirche ihr zu Ehren bauen zu lassen. Gleichsam als wäre der Sturm nur entstanden, um dieses schöne Gelübde seinem herzen zu entlocken, legte sich der Sturm augenblicklich und Petrus landete zu Porto bei Ravenna.
Was er gelobt hatte, führte er auch sogleich aus. Schon am 9. Mai desselben Jahres wurde der erste Grundstein gelegt, worauf die Worte eingegraben waren: „Maria meine Mutter und mein Heil.“ Während des Baues der Kirche vereinigte sich Petrus mit einigen gleichgesinnten Männern, um eine klösterliche Gemeinde nach der Regel des heiligen Augustin zu bilden. Erster Prior dieses kleinen Klosters war ein frommer Priester aus Ravenna, Don Andrea de Corti Settecastelli, und als dieser nach einem Jahr gestorben war, unser Petrus. Nach drei Jahren war die Kirche U. L. Frau zu Porto nebst dem Klösterlein vollendet. Es fehlte nur noch an einem passenden Muttergottes-Bild. Und siehe! Es ward ihnen ein solches auf eine höchst wunderbare Weise zu teil.
Im Jahre 1100 am weißen Sonntag in der Frühe, als Petrus und seine Amtsbrüder eben zum Gottesdienst in der Kirche versammelt waren, wurde ihnen gemeldet, ein großes Wunder sei draußen am Ufer des Meeres zu schauen. Sie eilten hinaus und sahen ein marmornes Bild, die seligste Jungfrau Maria in himmelblauem, mit griechischen Kreuzen bezeichneten Mantel vorstellend, aufrecht stehend und die Arme ausbreitend, mit majestätischer Ruhe auf dem Meer gegen das Ufer heran schwimmen, von zwei Engeln, welche Fackeln in ihren Händen trugen, begleitet. Das Bild schwamm in gerader Richtung auf die am Ufer stehenden Väter zu, als wollte es sagen: seht, ich komme zu euch! Die frommen Väter, Petrus an ihrer Spitze, fielen erstaunt auf ihre Knie, bezeugten dem Bild ihre Verehrung, nahmen das wir vom Himmel gesandte Geschenk mit Freude in Empfang und wiesen ihm in der neu erbauten Kirche seinen Platz an. Der Jubel des Volkes, welches in die Kirche strömte, um das wunderbare Bild zu sehen, war unbeschreiblich und wurde noch gesteigert durch die Wunder, welche noch am nämlichen Tage und in der Folge geschahen.
So wunderbar und unerhört dieses Ereignis ist, so beglaubigt ist es durch die zuverlässigen Zeugnisse. (siehe Riccardi II. p. Seq., wo auch die Einwürfe beseitigt werden). Woher das Bild gekommen sei, konnte mit Gewissheit nicht ausgemittelt werden; wahrscheinlich kam es von Konstantinopel oder einer andern Gegend von Griechenland. Der Ruf von der wunderbaren Ankunft des Bildes U. L. Frau in Porto verbreitete sich mit Blitzesschnelle und veranlaßte gleich im ersten Jahr seiner Ankunft ein außerordentliches Zusammenströmen von Pilgern aus den entferntesten Ländern und aus allen Ständen. Selbst Bischöfe, Kardinäle, Päpste, Fürsten, Könige und Kaiser wallfahrteten zu Fuß zur Kirche U. L. Frau in Porto. Kaiser Otto I. kam gleich nach der wunderbaren Ankunft des Bildes, nämlich im Jahre 1101, Kaiser Heinrich V. i. J. 1112, Kaiser Lothar II. i. J. 1115, Konrad III. i. J. 1139, Friedrich I. i. J. 1155, Heinrich VI. i. J. 1186, Otto IV. 1210, Ludwig IV. i. J. 1313 etc.
Der fromme Petrus errichtete also gleich eine Bruderschaft, deren Mitglieder ein weißes Kleid mit roten griechischen Kreuzen, dergleichen auf dem Mantel des Bildes U. L. Frau waren, trugen und den Titel „Kinder Mariens“ führten. Die Zahl derer, die sich in diese Bruderschaft aufnehmen ließen, war so groß, daß sie sich in kurzer Zeit auf mehrere Hunderttausende belief. Das Andenken an die Ankunft des Bildes wurde jedes Jahr am weißen Sonntag mit der größten Pracht begangen. Das Bild wurde in feierlicher Prozession, welcher die ganze Geistlichkeit, der Adel und die Obrigkeiten anwohnten, herum getragen. Im Jahre 1152 hatten sich bei der Prozession 20 Bischöfe und 30 Äbte eingefunden. Männer aus dem höchsten Adel hielten es für eine Ehre, das wundertätige Bild U. L. Frau auf ihren Schultern tragen zu dürfen.
Die wunderbaren Heilungen und Gnaden jeder Art, welche den Hilfe Suchenden auf die Fürbitte U. L. Frau zu teil wurden, sind nach der Versicherung der Geschichtsschreiber unzählige. Die frommen Übungen derjenigen, welche in ihren Nöten bei der Mutter Gottes zu Porto Hilfe suchten, bestanden seit der Zeit des frommen Petrus in folgenden: Man beobachtete sieben Samstage nacheinander ein strenges Fasten, verrichtete die heilige Beichte und Kommunion, besuchte das Gnadenbild und betete vor demselben sieben Mal das Salve Regina. Petrus ließ auch einen Gürtel von der Farbe des Meerwassers machen, welcher an dem Gnadenbild berührt wurde. Diesen Gürtel wendete er bei Kranken an; und viele, an deren Leben man schon verzweifelt hatte, kehrten, nachdem sie mit lebendigem Glauben denselben sich um den Leib gewunden hatten, vollkommen gesund nach Hause zurück. Auf diese Weise genas die Gräfin Mechtildis, welche schon dem Tode nahe war. Sie band sich den Gürtel um den Leib und rief zu gleicher Zeit U. L. Frau aus Griechenland von ganzem herzen um Hilfe an und ward sogleich vollkommen gesund. Dasselbe war mit Beatrix, der Gemahlin des Kaisers Friedrich I. der Fall.
Allein nach zwei Jahrhunderten des Eifers nahm die Andacht zu U. L. Frau in Porto ab und die Kirche wurde immer weniger besucht. Aber auch der Quell der Gnaden hörte in demselben Grade zu fließen auf. Dafür nahmen Grausamkeiten, Räubereien und Unordnungen jeder Art im 14. und 15. Jahrhundert besonders in Italien überhand. Diese Leiden und Trübsale bewirkten jedoch, daß man wieder nach Hilfe von oben sich umsah und besonders zur Mutter der Barmherzigkeit, zur Trösterin der Betrübten, wieder seine Zuflucht nahm. So nahm allmählich auch die Verehrung U. L. Frau in Porto wieder zu. Was an Kirche und Kloster während der vorher gegangenen Jahre durch Plünderung, Brand und dgl. zu Grunde gegangen war, wurde wieder hergestellt und im Jahre 1420 gleichsam ein neuer Bund zwischen der mächtigen Himmelskönigin und den Einwohnern von Porto und Ravenna geschlossen. Vom Jahre 1553 bis 1570 wurde in Ravenna eine neue herrliche Kirche zu Ehren U. L. Frau erbaut und das Gnadenbild von der Kirche zu Porto in die neue Basilika zu Ravenna feierlich übertragen, wo dasselbe noch heut zu Tage verehrt wird. –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Zweiter Teil, 1869, Sp. 2605 – Sp. 2607