Gnadenorte der hohen Himmelskönigin Maria
Unsere Liebe Frau zu Sossau bei Straubing in Bayern
Teil 1 – Ein deutsches Loreto
Zur Zeit, als die Römer, dieses gewaltige, kriegerische Volk, auch in unserem deutschen Vaterland mit eiserner Faust herrschten, soll eingewisser Sosius Senecio Landpfleger über die Länder an der Donau, am Inn und am Lech gewesen sein und seinen Wohnsitz auf dem Hügel gehabt haben, wo jetzt Oberau steht. Von hier aus soll er mit seinen Freunden jagen gegangen sein in die liebliche Au. Man nannte diese daher „die Au des Sosius“ und später schlechterdings „die Sossau“.
Von dem Landgut des Sosius abwärts aber stand einst das Schloss oder Kastell eines gewissen Acilius Glabrio; man nannte es in der Folge nur die „Azylburg“. Dieser Glabrio war römischer Kriegs-Oberster und hatte hier mit seinen Truppen Standlager. Aus edlem Geschlecht entsprossen, bekannte er sich heimlich zu Christo, und verband so mit dem Adel der Geburt auch jenen der Seele. Mit seiner Erlaubnis bauten die christlichen Römersoldaten, deren es damals schon sehr viele im Lager an der Donau gab, der Gottesmutter einen Tempel, und Lucius, ein Jünger des heiligen Paulus und der Sohn Simons von Cyrene, der Christum das Kreuz nachtrug, soll dies Kirchlein zu Ehren Mariens, der Jungfrau von Nazareth, eingeweiht haben.
Bald jedoch wurde der fromme Acilius deswegen in Rom bei dem grausamen Christenverfolger, Kaiser Domitian, angeklagt, und standhaft den heiligen Glauben bekennend, soll er im Jahre 94 nach Christi Geburt deswegen enthauptet worden sein. Die heilige Kapelle jedoch hieß man von nun an „Die Azilianische“. Die Zeit der Römerherrschaft in unserem Vaterland ging nach und nach ihrem Ende entgegen. Von allen Seiten brachen deutsche Völkerstämme herein, drängten die Fremdlinge mit kräftiger Faust zurück und um das Jahr 788 – 911, nachdem die Donauländer, damals Norikum und Rhätien genannt, schon früher in die Gewalt der Bayern gekommen waren, verschwanden die festen Plätze der Römer an der Donau. Schrecklich aber hausten die Ungarn von 908 – 955; sie verwüsteten Kirchen, Klöster, zerstörten Schlösser und Städte, Flecken und Dörfer; nur die Azilianische Kapelle bei dem Ort Antenring gelegen, blieb – so berichtet die Sage – unangetastet stehen. Ein heiliges Grauen, das um selbe waltete und das jeden Nahenden ergriff, scheute die rohen und an Plünderung gewohnten Krieger zurück, und die Bewohner umher nahmen oft in ihrer stillen Herzensangst zur Himmelskönigin ihre Zuflucht. Die Unordnung nahm in den Jahren von 1176 – 1180 zu, während die deutschen Kaiser mit den italienischen Städten zu kämpfen hatten, und die bayrischen Herzöge dem Zug folgen mussten. Müßiges Gesindel machte indessen das Land unsicher, und solches Volk wohnte auch in der Gegend, wo die Azilianische Kapelle stand; sogar an den frommen Pilgern verübte es Mord- und Gräueltaten. Maria ertrug endlich die Beleidigungen nimmer, welche böse Menschen ihrem Sohn und ihr zufügten. Sie entwich aus dieser Gegend und sogleich hoben die heiligen Engel den Tempel empor, und trugen ihn der Gottesmutter nach; an dem Ort aber, wo die ursprüngliche Wohnung der heiligen Jungfrau stand, sprudelte eine Quelle hervor, welche den geheiligten Boden so weit herum naß und sumpfig erhielt, als die heilige Kapelle davon eingenommen haben soll, während der anstoßende Erdengrund trocken und hart ist. Unter der Erde liegende Stein-Trümmer in diesem Sumpf sollen auch jetzt noch der übertragenen Gnadenkapelle zurück gebliebene Grundveste verkünden; noch heißt der zunächst gelegene kleine Wald „das Frauenhölzl“; eine Einsiedelei und ein Kirchlein gleich oberhalb, Antenring genannt, verewigen das Wunder, in welch Letzterem auf dem Hochaltar ein der Mutter Gottes in Sossau ähnliches Marienbild steht: auch wird Mariens Fürbitte und Hilfe daselbst, als an dem Ort ihrer ursprünglichen Ruhe, immer noch häufig besucht und angefleht.
Auf den Feldern von Alburg machten die Engel mit der heiligen Kapelle die erste Rast. Den Platz dieser Rast nannte man den Frauenfleck. Zum Andenken derselben blieb er als heiliger Ort, obwohl mitten im Feld, unbebaut liegen, und die fromme Andacht errichtete dort eine Säule von Stein, bei welcher nicht selten ein Wanderer, der darum wußte, andächtig zur Mutter des Herrn flehte. Erst in unserer Zeit ist dieser Frauenfleck umgeackert und auch die eingestürzte Säule entfernt worden.
Von da trugen die Engel das Gotteshaus an den Ort, den man das Frauenbründl bei Straubing nennt. Da machten sie die zweite Rast. Der Ort ist nicht, wo jetzt das runde Kirchlein mit der Einsiedler-Kapelle steht, sondern gleich daneben am Abhang, wo die unterirdische Kapelle gestanden, die im Jahre 1833 einstürzte, und mit Erde ausgefüllt wurde. Eine Quelle sprudelt von da noch klar und kühl jenseits des Fahrtweges in einer Röhre hervor, welche häufig Fieberkranke und Presshafte besuchen und das Wasser soll denen heilende Kraft geben, die die Mutter des Herrn gläubig verehren. Es sind zwar noch mehrere Quellen an diesem Abhang, aber nur jene wird besucht, und wer nicht zu gehen vermag, läßt sich Wasser von ihr holen.
Auch hier war nicht der Ort der bleibenden Ruhe für Maria. Die Engel brachten das Kirchlein gegen Kagers, und auf den Feldern alldort machten sie die dritte rast. Die sage nennt diesen Ort die Schiffsbraiten, weil da die Engel die heilige Kapelle in ein Schiff gesetzt haben sollen, um sie über die Donau zu fahren. Auf einem Acker ist da noch eine Vertiefung zu sehen, welche die Form eines Schiffes oder sogenannten Fahrmes hat. Die Sage berichtet, daß diese Vertiefung sich nicht umackern und nicht ausfüllen läßt; die austretenden Donau-Wellen verschlammen sie nicht – auch soll es auf diesen Feldern nie schauern. Einmal versuchte ein Bauer das Ausfüllen und Umackern der Schiffsbraiten; da starb er nach zweimaligem Zerbrechen des Pfluges und Niemand vergaß ferner diese Warnung. Auch diesen dritten Rastort verewigte eine Denksäule nebst einer kleinen Feldkapelle; allein beide mussten zu Napoleons Zeiten gleich anderen frommen Denkmälern nieder gerissen werden; die Grundfeste der Kapelle ist noch sichtbar.
Die Reise ging noch weiter. Über das geänderte Rinnsal der Donau hinüber, dahin, wo des Landpflegers Sosius Senecio Landgut gestanden; seither aber an die Grafen von Bogen gelangt war, schifften die Engel das Marianische Gotteshaus über. Albert I., Graf dortselbst, welcher im Jahre 1125 das Kloster Windberg erbaut hatte, überließ 1146 den frommen Söhnen des hl. Vaters Norbertus auch den Maierhof zu Sossau mit den schönen umher liegenden Wiesen als Schenkung. Da nun, im Erbteil des Herrn, ließen die Engel das Marianische Gnadenhaus, das deutsche Loreto, still um die Mitternachts-Stunde nieder. Niemand wußte darum. Eines Hündchens Gebell soll da wohl Sossaus Bewohner vom Schlaf geweckt haben; allein sie hatten nicht die geringste Ahnung hiervon, bis endlich bei der Morgendämmerung der kleinen, mit der heiligen Kapelle überbrachten Glocke – Frauenglöckl noch genannt – lieblicher Schall ertönte und von selbst das Zeichen zum englischen Gruß gab. Da steht nun die heilige Kapelle seither ohne alle Grundfeste, wie es eine wiederholte Untersuchung klar bewies. (*) Da wollte die Mutter des Herrn fortan wohnen, und allen, die sie um ihre Fürbitte anflehen, gnädig sich zeigen. Das Wunder geschah, als man schrieb nach Christi Geburt 1177, unter Alexander III., römischem Papst; unter Friedrich Barbarossa, römischen Kaiser und als Gebhard von Bedenburg, noch ein Jünger des heiligen Norbertus, dem Kloster Windberg vorstand.
Als die Kunde von dem geschehenen Wunder unter das Volk drang, eilte es mit gläubigem Sinn herbei, die heilige Kapelle zu schauen, vernahm mit Staunen der Geschichte Erzählung und Viele, die Maria ihre Anliegen vortrugen, gingen getröstet und begnadigt nach Hause. Noch im nämliche Jahr (1177) wurde Abt Gebhard von Windberg von U. L. Frau im Traum ermahnt, ihre von den Engeln übertragene Kapelle zu erneuern, zu erweitern und zu verschönern; im folgenden Jahr am Mittwoch nach Ostern ist dieselbe samt ihren Altären durch Konrad II., Bischof von Regensburg, eingeweiht worden. Das Langhaus oder Schiff der Wallfahrtskirche in Sossau weist auch wirklich auf ein hohes Altertum zurück. Es ist ganz aus rauhen Bruchsteinen, und im Verhältnis zur Länge und Höhe sehr schwach gebaut; auch der Dachstuhl ist äußerst einfach und schwach, was schon oft die Bewunderung sachverständiger Männer erregte.
(*) Diese Untersuchung wurde vorgenommen 1736 in Gegenwart Karl Albert des VII., Kurfürsten von Bayern, und unter Anwesenheit des ganzen fürstlichen Hauses, sowie des Abtes Bernard von Windberg mit mehreren Kanonikern. Als man selbst bei Untersuchung des Kirchturms keine Grundfeste fand, brach Karl Albert in die denkwürdigen Worte aus: „Das haben wir nicht gewußt, daß wir in unseren Landen einen so heiligen Ort, ein deutsches Loreto – besitzen. Es könnte fürwahr keine Scheuer ohne Grundfeste so lange stehen, geschweige denn eine so große Kirche; daher wundert uns sehr, daß der Andrang des Volkes nicht noch größer ist.“ –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Zweiter Teil, 1869, Sp. 2612 – Sp. 2615
Fortsetzung: Wallfahrtskirche zu Sossau ein deutsches Loreto