Heiligenkalender
10. Januar
Die heilige Christiana Oringa Jungfrau
Die Heilige war, weltlich zu sprechen, von ganz gemeinem Geschlecht, und musste in ihrer Jugend das Vieh hüten. Indem sie aber scheinbar das mindeste Geschäft, was man einem Menschen auftragen kann, besorgte und in Gesellschaft von Kühen und Ochsen zubrachte, übte sie zugleich das edelste und höchste Geschäft, das nur möglich ist, und brachte in vornehmerer Gesellschaft zu, als wenn sie von Fürsten und Königen umgeben gewesen wäre. Sie unterhielt sich nämlich fortwährend mit Gott im Gebet und Betrachtung. Und während ihre Tiere unten am Boden weideten, so weidete die Seele der Hirtin oben am Himmel und suchte dort ihre geistige Nahrung. Wenn aber ein Kind, oder ein Jüngling oder Jungfrau fortwährend mit gebildeten, vornehmen Personen umgeht, so wird sein Charakter und Benehmen auch gebildet und höflich werden; denn Gesellschaft und Umgang üben eine große Gewalt aus und geben der Seele gleichsam Farbe und Gestalt. Daher muss auch ein unverdorbener Mensch, der seine Zeit, großenteils abgesondert von der unreinen Welt, nur mit Gott zubringt, von diesem göttlichen Umgang etwas Heiliges und Englisches bekommen. Dieses zeigte sich auch bei der hl. Christiane. Ihr ganzes Wesen wurde so rein und geheiligt, daß sie jedesmal vor Abscheu sich erbrechen musste, so oft sie unanständige Reden hörte. Dieser Ekel und Erbrechen war zuweilen so heftig, daß sie davon krank wurde. Sie gewöhnte sich deshalb, wo sie sittenlose Reden hören musste und sich nicht entfernen konnte, die Ohren zuzuhalten, obschon sie vielmehr darüber verlacht worden sein mag. Sie blieb am liebsten ganz allein; wenn sie aber ausgehen musste, so ging sie mit abwärts gesenktem Blick, um nicht Dinge zu sehen, welche ihre reine Seele stören konnten. Und da sie schön von Angesicht war, so tat sie gerade das Gegenteil von dem, was eitle Personen tun; statt sich zu schmücken, suchte sie geflissentlich die Haut ihres Gesichtes unschön zu machen, um nicht die Augen Anderer auf sich zu ziehen. Auch war ihr Reden und ihr Benehmen und ihr ganzes Wesen so ernst und ehrwürdig, daß Niemand, wie es sonst bei jungen hübschen Personen zu geschehen pflegt, in ihrer Gegenwart leichtsinnig oder frech sich zeigte.
Ihre Brüder wollten sie zum Heiraten zwingen; allein da ihre Seele schon zu sehr an den Umgang mit Jesus Christus gewöhnt war, wollte sie nicht herab steigen und sich in irdische Eheverhältnisse einlassen. Wegen ihrer Weigerung zu heiraten, wurde sie von den Brüdern geschimpft und geschlagen, bis sie endlich entfloh und in einer nahen Stadt bei einer rechtschaffenen Bürgerfamilie sich verdingte. Hier begehrte sie keinen Lohn, als geringes Essen und geringe Kleidung, und daß sie dafür aber täglich so viele freie Zeit bekäme, um der Andacht sich zu überlassen. Sie ging barfuß und musste oft beinahe gezwungen werden, etwas Weniges zu essen, weil sie so sehr dem fasten ergeben war. Sie aß manchmal nur deshalb, um kein Aufsehen durch ihr langes Fasten zu erwecken. In ihrer armen Kammer überließ sie sich dem innigen Gebet und der Betrachtung des Leidens Christi, besonders an Freitagen, so daß nicht nur ihre Kleider, sondern selbst der Boden von ihren Tränen naß wurden.
Später fühlte sie sich getrieben, nach Rom zu wallfahren; hier fügte es sich, daß eine sehr fromme Witwe sie zu sich in das haus nahm. Diese schenkte ihr ein gutes Kleid; aber in Kurzem hatte es die hl. Christiane verschenkt, als sie eine arme Person antraf, und suchte wieder ihren abgetragenen Rock hervor.
Noch später tat sie sich mit mehreren Jungfrauen zusammen und errichtete ein Kloster, wo sie mit einander ein sehr armes und frommes Leben führten; aber so arm sie waren, so gaben sie fortwährend Almosen, verhältnismäßig mehr als reiche Leute. Es trat eine große Teuerung ein; da gab einmal die hl. Christiane ihr letztes Kleid und ihren letzten Gulden her, und bedeckte sich mit einigen elenden Lappen. Und an dem Acker, den das Kloster besaß, ließ sie als Vorsteherin ein Zeichen aufrichten, daß Jedermann Bohnen daselbst hole dürfe, Dieses Beispiel wirkte so gut, daß auch mehrere andere Leute dasselbe nachahmten.
Als sie 70 Jahre alt war, wurde sie vom Schlag gerührt und lag drei Jahre lang krank, so daß ihre rechte Seite ganz tot war.Sie liebte aber den Heiland so sehr, und wurde auch von den Klosterfrauen so sehr geliebt, daß diese sie alle Tage in die Kirche trugen, wenn die hl. Wandlung war.
Als endlich ihre Todesstunde kam, da leuchtete über ihr Antlitz eine besondere Schönheit und Helle, vergleichbar der holden Freude, welche sich zeigt auf dem Gesicht eines Kindes, wenn es nach längerer Trennung seine Mutter wieder sieht.
Sie wurde schon allgemein bei Lebzeiten als eine Heilige angesehen; sie hieß eigentlich Oringa, aber das Volk nannte sie wegen ihres wahrhaft christlichen Wandels Christiana (zu deutsch: die christliche) und dieser Name ist ihr denn auch geblieben. Als sie tot war, lief fortwährend eine zahllose Menschenmenge zu ihrer Leiche, um sie zu sehen; die wunderbare Schönheit beim sterben blieb ihr auch im Tod, und man verspürte nicht die geringste Verwesung. So ließ man sie zehn Tage lang unbegraben. Als aber bei dem großen Zulauf auch eine Person von schlechtem Ruf zu dem Leichnam der Heiligen trat und ihn betrachtete, soll sich die Tote mit ihrem eigenen Kleid das Angesicht zugedeckt haben. Auch noch andere Wunder sind geschehen, durch welche Gott zeigte, wie wohlgefällig die Verstorbene vor seinen Augen sei. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 1 Januar bis März, 1872, S. 49 – S. 52