Wohltaten des Christentums in Europa unter dem Papsttum
Das Wort „Liebe“ war den Heiden unbekannt; Grausamkeit war sein Kennzeichen. Mitleid beim Anblick eines unglücklichen Mitmenschen zu empfinden, galt vielfach als Schwäche. Mit roher Gefühllosigkeit sehen in Rom Männer, Frauen und selbst Kinder, wie die Kämpfer im Zirkus sich gegenseitig morden.
Anders wurde es, als das Christentum sich über Europa verbreitete. „Seht, wie die Christen sich gegenseitig lieben“, rufen die Heiden aus. Gehorsam dem Wort ihres Meisters: „Kinder, liebt einander, wie ich euch geliebt habe“, machen die Gläubigen es sich zur Pflicht, ihre Mitmenschen zu lieben. Diese Tugend tritt deswegen schon in den ersten christlichen Zeiten und zwar im Morgen- und Abendland gleichmäßig leuchtend hervor. Nichts wurde als gesetzlich angenommen, was der Übung der Nächstenliebe im Wege stand. Wie der große, heilige Antonius die Wüste verließ und in den Städten und Bergwerken erschien, um seine verfolgten Brüder zu unterstützen und zu trösten, so hörte der gottselige Ephraim kaum von der Hungersnot, welche die Armen in Edessa heimsuchte, als er sogleich dorthin eilte und die reichen Bürger bewog, ihren Brüdern beizustehen. Schon in den ersten Zeiten der Kirche gab es Zufluchtsstätten für Fremde, Hospitäler, für Kranke, Asyle für Waisen, Häuser für Arme, Zufluchtsplätze für Alte, für Kinder und Findlinge.
Ein katholischer Schriftsteller schreibt: „Um den Umfang der Liebespflichten zu verstehen, welche wir der katholischen Welt verdanken, müssen wir uns an den Zustand erinnern, in welchem sich die Welt durch die Gefühllosigkeit des Heidentums befand. Von allen jenen mannigfaltigen Wohltätigkeits-Anstalten, die jetzt die Welt zieren, war nicht eine einzige vor der Stiftung der katholischen Kirche vorhanden.“
Die Päpste sind hier stets mit dem besten Beispiel voraus gegangen, indem sie in den Straßen Roms die Armen und Kranken aufsuchten, an ihren Tisch setzten, sie bedienten, ihnen die Füße wuschen. Es gab keinen Papst, der nicht ein Freund der Armen gewesen wäre. Ihr Beispiel blieb nicht ohne Nachahmung.
Wahrhaftig! Es ist ein schönes Blatt der Kirchengeschichte, welches von der Nächstenliebe handelt. Auf diesem Gebiet hatte das Christentum und hiermit das Papsttum seine schönsten und glänzendsten Triumphe gefeiert.
Trostlos war die Lage der heidnischen Frauen. Sie waren das Werkzeug des Mannes. Auch hier griff das Christentum umgestaltend ein. Schon die Apostel bedienten sich der Frauen, die das Evangelium verbreiten halfen. Lydia diente dem heiligen Paulus, Lucina begrub ihn. Heilige Frauen wie Agnes, Cäcilia, Fabiola gaben ihr Vermögen den Armen und wurden von den Päpsten auf alle Weise ausgezeichnet. In späteren Jahrhunderten entstanden Ritterorden, deren Mitglieder es sich zur besonderen Aufgabe machten, die Frauen und Jungfrauen zu beschützen.
Damit bekam die christliche Gesellschaft eine Umgestaltung zum Besseren, die gar nie genug hervor gehoben werden kann. Das Familienleben erhielt eine feste Grundlage und das Kind eine sichere Heimat. Kinder zu töten oder sie auszusetzen, galt in der Kirche als schweres Verbrechen. Selbst die weltlichen Gerichte konnten sich der öffentlichen Meinung nicht mehr entziehen, sondern mussten schwere Strafen auf eine Tat setzen, die in der heidnischen Welt alle Tage ungestraft geschehen konnte.
Das Christentum blieb jedoch dabei nicht stehen, sondern machte es den Eltern zur heiligen Pflicht, die Kinder zu erziehen und zu unterrichten. Es entstanden zahlreiche Volksschulen, um die Ausbildung der Kinder zu vervollkommnen. Der Volksunterricht ist so recht aus dem Boden der Kirche heraus gewachsen. Die Päpste haben sich zuerst um das Volk gekümmert, haben selbst Schulen gegründet, zur Gründung ermuntert und angeeifert.
Das Heidentum hat traurige Beispiele überliefert über die Lage, in welcher Untertanen seufzen, wenn der Fürst ein Tyrann war. Unter Kaiser Konstantin feierte das Christentum den ersten Sieg als öffentlich anerkannte Religion. Sogleich besserte sich das Los der Untertanen. Die katholische Kirche stellte als Grundsatz auf: „Gott ist unumschränkter Herr; von ihm hat jeder Herrscher auf Erden seine Gewalt; die königliche Majestät ist heilig, weil jeder König ein Diener und Stellvertreter Gottes ist.“ Die Päpste zeigten den Fürsten nicht bloß Rechte, sondern auch Pflichten und erlaubten sich als die berufenen Stellvertreter Gottes, sie zurecht zu weisen, wenn sie gefehlt hatten. Ein laut sprechendes Beispiel dafür ist Theodosius der Große. Er hatte im Zorn den Befehl gegeben, die Stadt Thessalonich zu zerstören und die Einwohner nieder zu machen. Der Bischof Ambrosius von Mailand machte ihm deswegen schwere Vorwürfe und erlaubte dem Schuldbeladenen nicht, in die Kirche einzutreten.
Dieses Verfahren des heiligen Bischofs wurde eine Richtschnur für die späteren Zeiten. Papst Nikolaus trat dem König Lothar, Papst Innozenz III. dem König Philipp August in ähnlicher Weise entgegen.
Ein Protestant schreibt darum: „Die päpstliche Macht wachte über die weltlichen Fürsten und gestattete nicht, daß deren Herrschsucht unerträglich wurde. Und so kam es, daß selbst in den traurigsten Zeiten des Christentums kein Tyrann auftrat ähnlich wie Domitian oder Diokletian im heidnischen Rom.“
Es gestaltete sich im Christentum ein gesundes und dauerndes Fundament für die Staaten. Die Völker bildeten im christlichen Staat nicht willenlose Werkzeuge in der Hand ehrgeiziger Fürsten, sondern galten als freie Mitglieder eines Reiches, in welchem Unfreiheit und Sklaverei keinen Platz mehr fanden. Die Sklaverei war im Heidentum durch das Gesetz geheiligt. Selbst die besten und gelehrtesten Heiden konnten sich einen Staat ohne Sklaven nicht denken. Die von Christus gepredigte Bruderliebe machte die Sklaverei unmöglich. Der Christ kann seinen Mitmenschen nicht zum Sklaven machen, kann ihn nicht zur Ware erniedrigen und mit ihm Handel treiben, weil er weiß, daß vor Gott alle Menschen gleich und daß alle Kinder eines Vaters im Himmel sind. Gestützt auf diese Wahrheit, musste die Kirche die Sklaverei verdammen; aber die Umstände erlaubten es noch nicht, mit einem schlag alle Sklavenketten zu brechen. Die Päpste sind hierin mit großer Klugheit voran gegangen. Sie haben die Reichen veranlaßt, ihre Sklaven milde zu behandeln und ihnen nach und nach die Freiheit zu schenken, Kirchenversammlungen verboten, die Sklaven zu foltern oder zu verstümmeln. Das Leben der Sklaven wurde durch die Gesetze in Schutz genommen, bis die Einrichtung des Heidentums ganz beseitigt werden konnte.
Im Gegensatz zum Heidentum heiligte das Christentum die Arbeit. Die Kirche nahm sich der Arbeiter an, beschützte sie und vereinigte sie in Zünfte und Genossenschaften. Es entstanden Städte, in denen Handwerker und Künstler sich niederließen und sich von der Arbeit und Kunst mit ihren Familien ernähren könnten. Damit wurde jenes freie Bürgertum geschaffen, das durch die göttliche Vorsehung eine so hohe Bestimmung erhalten und so großes in der Welt geleistet hat.
Mit dem freien Bürgerstand wetteiferte ein freier Bauernstand, der den Boden bearbeitete, Sümpfe austrocknete, Straßen baute, wilde Urwälder in lachende Fluren verwandelte.
Dieser allseitige Fortschritt wurde dadurch begünstigt, daß jeder Einzelne die Frucht seiner Arbeit und seines Schweißes ruhig genießen und zu den höchsten Würden empor steigen konnte. So nahm in Papst Hadrian IV. ein ehemaliger Bettelknabe aus England selbst den päpstlichen Stuhl ein; denn die niedere Abkunft galt nicht mehr als Schande.
Somit hat der Geschichtsschreiber Möhler vollauf recht, wenn er den Päpsten den größten Anteil an der Besserung Europas zuweist. Wer alle diese Tatsachen ohne Vorurteil prüft und vergleicht, muss von Bewunderung ergriffen werden für die Päpste, welche unter den schwierigsten Verhältnissen so Großes vollbracht haben. Und ein anderer Geschichtsschreiber sagt: „Wenn man unparteiisch urteilt, so muss man die Päpste die Gründer, Beschützer und Retter der europäischen Bildung nennen.“
Die wohltätigen und bewunderungswürdigen Bestrebungen der Nachfolger des heiligen Petrus wurden aber nicht von allen Seiten anerkannt und unterstützt, sondern erfuhren mancherlei und schwere Hindernisse. Lasterhafte Menschen, unwissende und irre geleitete Völker, ehrgeizige Fürsten, traten der Erneuerung Europas hindernd in den Weg; das beweisen die voraus gehenden Blätter dieser Papstgeschichte.
Das Widerstreben der heidnischen römischen Macht war das erste große Hindernis, auf welches die Päpste bei der Umgestaltung der Welt gestoßen sind. Dabei ist es aber nicht geblieben. Sobald das Römerreich seinen Widerstand aufgegeben hatte, gab es andere, neue Hindernisse.
Die Irrlehre erhebt sich erstmals besonders in Arius; der Abfall vom Christentum unter Kaiser Julian. Später schien es dann, als sei die Welt arianisch geworden. Doch Irrlehre und Abfall weckten die großen Kirchenlehrer, wie die Verfolgungen die großen Märtyrer zeigten.
Bald darauf wälzte sich ein Strom von wilden Völkern von Osten her über Europa.
Kaum ist auch diese große Gefahr für das Christentum beseitigt, da sehen wir die Kirche wieder im Kampf mit einer gewaltigen Macht. Die Mohammedaner eroberten Afrika, Arabien, Kleinasien, überfluteten Spanien, stiegen über die Pyrenäen, träumten schon von der Unterwerfung der ganzen christlichen Welt.
Kaiser Karl der Große gründet nun vereint mit Papst Leo III. das heilige römische Reich. Die Feinde des Christentums finden hier eine Macht, die auch ihren heftigsten Angriffen siegreich widersteht.
Wo findet sich eine irdische Macht, die solche Hindernisse überwindet? Es bliebe daher stets unbegreiflich, warum sich Europa vom vierzehnten Jahrhundert an gegen die so segensreiche Macht des Papsttums aufgelehnt hat, wenn wir nicht wüßten, daß die Leidenschaften den Geist beherrschen, so daß ihm verborgen ist, was ihm zum Heil dient. Jerusalem sah die Wunder des Herrn und glaubte nicht. Die Menschen sahen im 13. Jahrhundert die Wunder, welche das Papsttum durch die Bekehrung Europas zum Christentum gewirkt und traten dennoch feindlich gegen dasselbe auf.
Damit scheiden wir von diesem Abschnitt, um in die Zeit der Auflehnung gegen Rom einzutreten. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 621 – S. 626
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