Der unerschütterliche Fels im Sturm
Papst Vigilius und der griechische Einfluß (regierte von 537-555)
Seit dem Papst Felix II. haben wir feindliche Völker in Italien herrschen sehen. Wir lernten Odoaker, Theoderich und andere Fürsten kennen, die alle die Papstwahlen beeinflussen wollten und manche Streitigkeiten herbeigeführt haben. Anders gestalteten sich die Verhältnisse, als Rom wieder in die Gewalt der Griechen kam. Bis zum Tode des heiligen Silverius war Vigilius natürlich nicht rechtmäßiger Papst. Nach dem Tode desselben zeigt uns das Leben dieses von den Griechen der Kirche aufgedrungenen Papstes recht klar, daß Gott keinen Stellvertreter auf dem Sitze des heiligen Petrus duldet, der einer Irrlehre anhängt; denn vom ersten Tage seiner Regierung an sagte sich der neue Papst von der Kaiserin Theodora und der Partei des Eutyches los und bekannte sich offen zu der Lehre der rechtgläubigen Kirche. Er ward ein neuer Mensch und bewies während seiner ganzen Regierung eine solche Standhaftigkeit in der Bekämpfung der Lüge, daß die Hölle wider die Kirche nichts vermochte. Als Vigilius als rechtmäßiger Papst auch von der römischen Geistlichkeit anerkannt war, hatte er seine hohe Stellung und seine große Verantwortlichkeit längst richtig erkannt und erfaßt. Er wollte in keinem Falle sich zum Werkzeug der griechischen Kaiserin machen. Theodora, die den Tod des früheren Papstes herbeigeführt hatte, hoffte nun bestimmt, daß ihr Schützling Anthimus als Patriarch von Konstantinopel anerkannt werde. Sie schrieb an Papst Vigilius, um ihn an sein gegebenes Versprechen zu erinnern. Der Papst aber erwiderte im Jahre 540 in einem Briefe: „Möge Gott verhüten, daß ich so etwas tue! Früher redete ich schlecht, jetzt aber erkläre ich dir, daß ich einen Irrlehrer, der aus der Kirche ausgeschlossen ist, nicht annehmen kann. Soll ich ein unwürdiger Nachfolger des heiligen Apostels Petrus sein? Meine heiligen Vorgänger Agapet und Silverius waren, was ich jetzt bin; sie aber haben den Anthimus aus der Kirche ausgeschlossen!“ Zwei weitere Briefe, eine an Kaiser Justinian und ein anderer an den rechtgläubigen Patriarchen Mennas von Konstantinopel, beweisen ebenfalls, daß der Papst streng rechtgläubig war. Er erklärte darin, daß keinen andern Glauben bekenne, als jenen der Päpste Leo, Hormisdas, Johannes und Agapet, seiner Vorgänger, daß er die Beschlüsse der vier allgemeinen Kirchenversammlungen und den Brief des heiligen Papstes Leo an Flavian annehme und namentlich Nestorius und Eutyches verdamme. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 162 – S. 163
Theodora hatte also vergeblich Geld und Intrigen verschwendet. Doch sollte ihr noch Gelegenheit zur Rache geboten und dem Papst eine wahre Leidens- und Bußschule eröffnet werden. Justinian setzte seinen Ruhm darein, als rechtgläubiger und glaubenseifriger Christ zu gelten. Er hatte die Arianer in seinem Reiche nachdrücklich zu verdrängen gesucht… Aber nicht zufrieden, ein katholischer Fürst zu sein, wollte er auch als Papst figurieren und durch Glaubens-Entscheidungen über das Gewissen seiner Untertanen herrschen. In der Absicht, die Monophysiten mit der Kirche zu versöhnen, rief er durch ein Edikt den sogenannten Dreikapitelstreit und ungeheure Verwirrung in der Kirche hervor. Unter den drei Kapiteln wurden die Werke dreier längst verstorbener Männer verstanden, des Theodoret von Cyrus, des Theodor von Mopfuestia und des Bischofs Ibas. Auf dem Konzil von Chalcedon wurden die in diesen Schriften enthaltenen Irrtümer verworfen, ohne jedoch die Schriften und ihre Verfasser zu nennen. Justinian verurteilte in seinem Edikt diese Schriften und die Verfasser derselben und forderte, daß dieses Urteil durch die Unterschrift der Bischöfe als ein Urteil der gesamten Kirche angenommen werde. Die orientalischen Bischöfe waren sofort gefügig, die abendländischen aber wollten davon nichts wissen, weil man durch diese Verurteilung dem Konzil von Chalcedon (451) nahe zu treten befürchtete. Justinian wollte durchaus seine Absicht durchsetzen. In der Überzeugung, daß, wenn der Papst unterschreibe, der Widerstand aufhöre, griff er nach einem eines Tyrannen würdigen Mittels. Er ließ den Papst eines Tages plötzlich aus der Kirche vor dem zahlreich versammelten Volke holen und ihn an die Tiber führen. Dort musste er einen Kahn besteigen, der ihn zum Schiff brachte, das ihn nach Konstantinopel befördern sollte. Das Volk sah diesem Gewaltakt mit Furcht zu; die einen weinten, die anderen schickten dem Papst Verwünschungen nach. So erntete Vigilius schon jetzt, was er an seinem Vorgänger verbrochen.
Aber es kam noch schlimmer. In Konstantinopel wurde er vom Kaiser sehr ehrenvoll empfangen, um das Volk über den Zwang zu täuschen, den man dem Papst anzutun vorhatte. Vigilius ging auf das Ansinnen des Kaisers, das Edikt zu unterfertigen, nicht ein, einmal weil es nicht nötig sei, dann weil es Verwirrung hervorrufen könne und endlich weil über derlei Dinge zu entscheiden nicht einem Laien, dem Kaiser nämlich, zustehe. Als der Papst sich allenthalben bewacht sah, sprach er: „Wenn ihr mich auch gefangen haltet, den Apostel Petrus könnt ihr doch nicht zum Gefangenen machen.“ Jedoch nach einiger Zeit geriet er ins Schwanken. Durch die Verweigerung der Unterfertigung musste er Verwirrung und Zwiespalt im Orient, durch die Unterfertigung aber Uneinigkeit und Streit im Abendland befürchten. Infolge dieser Beängstigung wechselte er seine Handlungsweise leider zum Nachteil seines wie des päpstlichen Stuhles Ansehen! Es handelte sich nicht um eine Lehrentscheidung. Daß die genannten Schriften Irrtümer enthalten, hatte der Papst deutlich und wiederholt ausgesprochen. Für ihn handelte es sich nur um die Frage, ob die namentliche Verurteilung zeitgemäß sei. –
Und da ließ sich für und wider entscheiden, ohne daß der Glaube berührt wurde. Sie konnten verurteilt werden, sie mussten es aber nicht. Verurteilte Vigilius sie, so gewann er das Morgenland, hatte aber den Abfall des Abendlandes zu fürchten. Verurteilte er sie nicht, so erhielt er wohl das Abendland in der Einheit mit der Kirche, hatte aber den Abfall des Morgenlandes neben der Tyrannei des Kaisers zu befürchten. Wer das erwägt, wird die Angst und das Schwanken des Papstes leicht begreiflich finden. Wie unwürdig der arme Papst behandelt wurde, geht daraus hervor, daß er zweimal Fluchtversuche unternahm. Das eine Mal flüchtete er in die Peterskirche und umklammerte dort den Altar. Nur die Aufregung des Volkes und der Unwillen der Soldaten zwangen den Kaiser, von Gewalttat abzustehen. Das andere Mal entwich er mit Lebensgefahr in der Kälte einer Wintersnacht aus der bewachten Wohnung durchs Fenster und gelangte auf einem Kahn über die Meerenge nach Chalcedon. Nachdem das nach Konstantinopel zusammen berufene Konzil auch die Verurteilung der drei Kapitel aussprach, gab der Papst, welcher krank und von seiner Umgebung abgesperrt war, endlich nach und trat dem Entscheid des Kaisers und des Konzils bei. Dieser Schritt des Papstes diente zur Beruhigung des Orients und befestigte die Einheit mit der abendländischen Kirche, im Abendland jedoch dauerte der Widerstand in einigen Ländern noch längere Zeit fort. Durch den Beitritt des Papstes erhielt dies Konzil den Charakter eines allgemeinen. Es ist das fünfte und das zweite von Konstantinopel, abgehalten im Jahre 553.
Nach zehnjähriger Entfernung und Quälerei konnte der Papst, gebrochen und sehr leidend, heimkehren, starb aber auf der Rückfahrt zu Syrakus in Sizilien am 7. Juli 555. Vigilius musste sein ehrgeiziges Streben nach der höchsten kirchlichen Würde bitter büßen. Auffallend zeigt sich aber an ihm, daß das Papsttum unter dem besonderen Schutz Gottes steht, denn trotzdem er auf solchem Wege und unter so schmählichen Zugeständnissen auf den Stuhl Petri gelangt ist, hat er, einmal rechtmäßiger Papst geworden, unverrückbar den Glauben hoch gehalten; durch kein Mittel konnte er zur Gutheißung oder Begünstigung der Irrlehre vermocht werden. –
aus: Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste, I. Band, 1907, S. 185 – S. 187
Seine Leiche wurde nach Rom gebracht und in der Kirche des heiligen Marcellus am salarischen Tor beigesetzt. Papst Vigilius war in Rom eifrig tätig für die Wiederherstellung der Kirchen und Friedhöfe, die durch die Goten arg beschädigt wurden. Aber es gelang dem Papst nicht, sich allgemeine Beliebtheit zu erwerben. Viele blieben ihm feindlich gesinnt wegen seines früheren Verhaltens gegen seinen Vorgänger, Papst Silverius, und verbreiteten viele unwahre Gerüchte über seine Grausamkeit und seinen Jähzorn. In Glaubensfragen hat der Papst aber niemals geirrt. Nach dem Tode des Papstes Vigilius blieb der Heilige Stuhl drei Monate lang unbesetzt. Die Schuld lag am griechischen Kaiser, der die freie Wahl stören wollt. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 166