Es gab keine häretischen Päpste in der katholischen Kirche
Gegen Unkenntnis und bewusste Fälschung der kirchengeschichtlichen Tatsachen
Was nun die angeblichen Irrtümer und Häresien der Päpste betrifft, so haben die Magdeburger Centuriatoren deren, von der Verleugnung Petri angefangen, eine große Menge angeführt (*), die teilweise von Gallikanern und Jansenisten reproduziert wurden. Allmählich haben die Gegner und Bezweifler der päpstlichen Unfehlbarkeit dieselben, bis auf wenige – namentlich Liberius, Vigilius und besonders Honorius – fallen lassen, bis man in neuester Zeit sich nicht schämte, eine ganze Anzahl der längst von den Gallikanern aufgegebenen Einwände wieder aufzunehmen und einige neue, noch frivolere, hinzuzufügen.
In keinem einzigen unter allen diesen Fällen liegt, worauf es allein ankommt, eine Entscheidung ex cathedra vor. Es ist aber auch nicht einmal eine persönliche förmliche Häresie eines Papstes in irgend einem dieser Fälle nachweisbar. Was man anführt, sind teils persönliche Fehler, teils theologische Privatmeinungen, teils administrative Maßregeln, teils bloße Unterlassungen, teils partikulare Urteile einzelner Päpste – also Handlungen, in welchen noch niemals ein Katholik eine Indefektibilität des Papstes behauptet hat.
Fassen wir kurz die wichtigeren, als Einwände gegen die päpstliche Lehrinfallibilität vorgebrachten Fälle ins Auge, vor allem die des Liberius, Vigilius und Honorius, welche allein von einigem Belange sind und von den Gegnern besonders geltend gemacht wurden.
(*) Über dieselben s. Bellarmini Controv. De Rom. Pont. Lib. 4, c. 8 sq.
Die verleumdeten Päpste
Papst Liberius
Allein es ist auch über jeden vernünftigen Zweifel erhaben, daß, wenn Liberius eine Formel unterschrieb, dies eine solche war, die zwar das Wort Homousius vermied, aber eine orthodoxe Deutung zuließ, daß Liberius sie im katholischen Sinne verstand und durch ausdrücklichen Protest jede häretische Deutung ausschloß. Daher ist er weder persönlich in Häresie verfallen, noch hat er zum Schein etwas Häretisches erklärt oder anerkannt. Sein Fehler war dann nur, dass er durch Verschweigung des Homousisos Ärgernis geben konnte. (Heinrich, S. 437- S. 439)
siehe auch: Papst Liberius – ein katholischer Papst
Papst Vigilius
Man hat besonders in jüngster Zeit, im Widerspruch mit den gründlichen Forschungen und dem einmütigen Urteil der angesehensten Theologen und Historiker, behaupten wollen, dass Papst Vigilius durch sein Constitutum in der Glaubenslehre oder wenigstens bezüglich eines dogmatischen Faktums, nämlich des häretischen Charakters der s.g. Drei-Kapitel (siehe Dreikapitelstreit) geirrt habe, und dass seine im Constitutum, im Widerspruch mit seinem eigenen früheren Judicatum, gefällte irrige dogmatische Entscheidung durch das fünfte allgemeine Konzil, das zweite von Konstantinopel, reformiert worden sein.
Allein es ist 1. über jeden Zweifel erhaben und unbestritten, dass das Constitutum nicht den mindesten Irrtum gegen das Dogma enthält. 2. Aber auch bezüglich des dogmatischen Faktums der in den s.g. Drei Kapiteln enthaltenen Doktrin hat Vigilius niemals eine irrige Kathedral-Entscheidung erlassen; wenn er auch in dieser den Orient und Okzident entzweienden Streitfrage, in unsäglich schwieriger Lage, nach den Umständen der Zeit und aus Gründen des allgemeinen Wohles seine Maßnahmen wiederholt geändert hat. Ob er hierbei durch ein gewisses Schwanken gefehlt habe, lässt sich schwer entscheiden; kompetente Beurteiler halten auch in dieser Beziehung sein Verfahren für korrekt.
Jedenfalls kann das nicht bezweifelt werden, dass Vigilius, wie in seinen amtlichen Akten, so auch in seinem persönlichen Glauben durchaus orthodox war; dass er in guter Absicht zur Erhaltung der kirchlichen Einheit seine Maßregeln nahm; da er endlich mit der Standhaftigkeit eine Martyrers die Freiheit der Kirche und die Interessen des Glaubens verteidigte. 3. Was aber das Konzil von Konstantinopel betrifft, so hat es sich durchaus nicht angemaßt, eine Kathedralentscheidung des Papstes zu reformieren, wohl aber hat es seine Entscheidung auf die des Papstes gestützt und hat dieses Konzil selbst lediglich durch Bestätigung des Papstes ökumenische Gültigkeit erlangt. (ebd., S. 441 – S. 444)
siehe auch: Papst Vigilius und der griechische Einfluss
Papst Honorius I.
Der Fall des Honorius ist unter den von den Gegnern des höchsten und unfehlbaren Magisteriums des Papstes angeführten geschichtlichen Tatsachen die scheinbarste und daher auch während des Vatikanischen Konzils, sei es als Grund, sei es als Schwierigkeit, vorzüglich geltend gemacht worden. In seiner schärfsten Fassung lautet der Einwand, Honorius habe in seinen Schreiben an Sergius die monotheletische Häresie ex cathedra definiert und sei deshalb von dem sechsten allgemeinen Konzil, dem dritten von Konstantinopel, unter Bestätigung des Apostolischen Stuhles, als Häretiker verurteilt worden.
Wäre diese Behauptung richtig, so folgte daraus:
1. dass der Papst in seiner Kathedral-Entscheidung irren könne;
2. dass das Konzil über dem Papst stehe und dessen dogmatische Entscheidungen reformieren könne.
Die Lösung dieses Einwandes wird in mehr als einer Beziehung lehrreich sein. Vor allem ist auf eine evidente Tatsache aufmerksam zu machen, welche von vornherein nicht nur für den Glauben, sondern auch für die gesunde Vernunft feststellt, dass der Fall des Honorius unmöglich jene Bedeutung haben kann, welche die Gegner der päpstlischen Infallibilität ihm beilegen.
Der Fall und die Verurteilung des Honorius durch das sechste Konzil war allen Jahrhunderten bekannt. Aber weder die Päpste, noch die Konzilien, noch die Väter, noch die Theologen aller folgenden Zeiten ließen – wie wir in unserem Traditionsbeweis genügend gezeigt haben – sich dadurch abhalten, die Unfehlbarkeit der päpstlichen Kathedral-Entscheidungen als eine unzweifelhafte Wahrheit zu bekennen. Sie waren also überzeugt, dass Honorius nicht ex cathedra einen Irrtum definiert und dass das sechste Konzil nicht eine päpstliche Kathedral-Entscheidung reformiert hatte. Dieses steht durch den Konsens der Kirche fest und musste schon vor dem Vatikanum jeden, der mit der Kirche übereinstimmen wollte, abhalten, dem Falle des Honorius eine Bedeutung beizulegen, die er unmöglich haben kann, ohne die gesamte Tradition der Kirche Lügen zu strafen.
Dementsprechend haben denn auch alle angesehenen katholischen Theologen und Historiker den Fall des Honorius und seine Verurteilung durch das sechste Konzil in einer Weise verstanden, welche das Dogma von der Unfehlbarkeit päpstlicher Kathedral-Entscheidungen intakt lässt. Alle nämlich, obwohl sie in Einzelheiten voneinander abweichen, stimmen darin überein, dass Honorius unter allen Umständen keine häretische Kathedral-Entscheidung erlassen und nicht wegen einer solchen durch eine ökumenisch gültige Entscheidung verurteilt worden sei.
Was sich über die Honoriusfrage Zuverlässiges aus den Quellen nach der Übereinstimmung der gründlichsten Theologen ergibt, lässt sich in folgende Sätze zusammenfassen:
1. Was zunächst Honorius und seine beiden Schreiben an Sergius betrifft, so kann
a) die persönliche Rechtgläubigkeit des Honorius keinem vernünftigen Zweifel unterliegen.
b) Was seine beiden Schreiben betrifft, so enthalten sie in ihrer Auseinandersetzung der katholischen Lehre keinen glaubenswidrigen Irrtum.
c) Der in seinen nachteiligen Folgen erst später hervortretende Fehler des Honorius bestand darin, dass er über die ausgesprochene Streitfrage die notwendige Entscheidung nicht gab, sondern, die Sache für einen bloßen Wortstreit nehmend, wollte, dass man weder von einer noch von zwei Energien in Christo rede und sich lediglich an die Redeweise des Chalcedonense und Leos d. Gr. halte.
d) Unter allen Umständen enthalten die beiden Briefe des Honorius an Sergius, mag man sie als Privatschreiben oder als amtliche Schreiben betrachten, keine kathedrale Definition eines Dogmas, berühren also, was immer ihr Inhalt sein mag, die Frage von der Irreformabilität päpstlicher Kathedral-Entscheidungen nicht.
2. Was die Verurteilung des Honorius betrifft, so haben
a) sowohl die Päpste, als die Konzilien, welche dem sechsten Konzil vorausgingen, den Honorius nicht verurteilt, vielmehr ihn verteidigt, vor allem aber die unbefleckte Glaubensreinheit des Apostolischen Stuhles behauptet. …
c) Mag es aber sich mit den Beschlüssen des VI. Konzils wie immer verhalten, so steht fest, dass dieselben nur insofern Gültigkeit haben, als sie vom Papst Leo II. bestätigt wurden. Leo II. hat aber die Verurteilung des Honorius nur insofern bestätigt, als derselbe wegen Beförderung der Häresie durch Nachlässigkeit und Pflichtverletzung schuldig befunden wird. Nur in diesem Sinne und Umfange ist auch seine Verurteilung durch spätere Konzilien und Päpste anerkannt worden. (ebd. S. 444 – S. 453)
siehe auch: Papst Honorius – ein katholischer Papst
siehe auch: Papst Honorius I. Keine Häresie nachweisbar
Ansonsten Fabeln oder Entstellungen von Tatsachen und Lehren
Was sonst von angeblichen Häresien und häretischen Lehrentscheidungen der Päpste von Protestanten, Gallikanern und neuerdings von Janus und Döllinger vorgebracht wurde, ist teils im Früheren erledigt (so die Verleugnung Petri und seine Kontroverse mit Paulus in Antiochien S. 291 & 301 – der angebliche Fall des Zosimus), teils verdient es keine nähere Besprechung.
In keinem einzigen dieser Fälle liegt eine Kathedral-Entscheidung vor. Teils sind es einfache Expositionen, in welchen die von den Gegnern behauptete Entscheidung gar nicht enthalten ist (siehe: Papst Eugen IV.); teils sind es Meinungsäußerungen über unentschiedene Fragen (siehe: Papst Nikolaus I.);
teils sind es partikulare Urteile, worin die Päpste, wie in fast allen Dekretalen, nur einzelne Fälle entschieden, auf einzelne Fragen antworteten, wobei sie in zweifelhaften Fällen, wie jeder Richter tun muss, die ihnen wahrscheinlichere Meinung befolgten, ohne diese ihre Meinung als absolut wahr zu behaupten oder gar als Glaubensartikel vorzuschreiben (*);
teils sind es Maßregeln, welche persönliche Sünden einzelner Päpste konstituieren mögen, nimmermehr aber Lehrentscheidungen sind (siehe: Papst Stephan VI.); teils sind es Privatmeinungen, welche einzelne Päpste als Theologen und Schriftsteller hegten und äußerten (siehe: Papst Johannes XXII.);
teils beruhen die angeblichen Irrtümer und Widersprüche der Päpste auf Missverständnissen und falschen Auslegungen (siehe: Papst Nikolaus III. und Papst Johannes XXII.); teils sind es Fabeln oder Entstellungen von Tatsachen und Lehren. (**)
(*) Nichts kann verkehrter sein, als jeden Ausspruch, jede Dekretale eines Papstes, jede Äußerung in den Canones des Corpus jur. Canon. als eine Lehrentscheidung anzusehen, wie nicht so sehr unbedachtsame Freunde, als vielmehr die Gegner der päpstlichen Autorität in perfider Weise tun. (…) Das gilt namentlich da, wo es sich um Entscheidungen in einzelnen Rechts-Streitigkeiten und in praktischen Fragen handelt, wo der Vorgesetzte oder der Richter in zweifelhaften Fällen oft nach der Rechtsregel: Inspicimus in obscuris, quid est verisimilius, entscheiden muss. (…) Hiermit erledigen sich namentlich eine Anzahl (zudem vielfach missverstandener oder historisch zweifelhafter) Fälle in Entscheidung einzelner Ehesachen u. dgl., die als irrige Glaubens-Definitionen von den Gegnern ausgebeutet wurden.
(**) Eine große Menge solcher im Reformations-Zeitalter aufgestellter unbegreiflicher Behauptungen kann man bei Bellarmin finden. Aber auch die neueste „deutsche“ Wissenschaft hat darin Fabelhaftes geleistet.
aus: J.B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Bd. 2, 1876, S. 435 – S. 455
Bildquellen
- Liberius,_papa_(-_366): wikimedia
- Pope_Honorius_I_-_Apse_mosaic_-_Sant’Agnese_fuori_le_mura_-_Rome_2016: wikimedia | CC BY-SA 4.0 International