Dritte Adventsbetrachtung
Es gibt innere und äußere Beweggründe für die Adventsfeier
Die inneren Beweggründe sind gegeben in den drei Arten der Ankunft des Herrn, die unter sich in der innigsten Wechselbeziehung stehen. –
Der erste Beweggrund ist die Größe der Wohltat, die in der ersten wirklichen Ankunft unseres Heilandes für uns liegt und an welche Weihnachten uns erinnert. Ein zuverlässiges Wort ist es und aller Annahme würdig, daß Christus, Jesus gekommen ist in die Welt (1. Tim. 1, 15). Wie billig ist es, daran zu denken, und es zu erwägen, daß er, und er selbst, gekommen ist, uns zu retten, daß er es getan mit so vielen Opfern und daß uns seine Ankunft so viele und so große Güter gebracht! Was wären wir ohne ihn? Wäre es ein Gewinn, zu leben, wenn er uns nicht erlöst hätte? Ist es jetzt nicht eine Freude, Mensch zu sein, jetzt, wo die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes erschienen ist und wir die selige Hoffnung und die Ankunft der Glorie unseres großen Gottes und Erlösers erwarten? (Tit. 2, 11. 13) Und dennoch, wie wenige gedenken dieser Güte und Wohltaten! Ist es nicht billig und schön, daß wir an ihrer Statt die schuld des Dankes dem liebenden Erlöser abtragen? –
Der zweite Beweggrund ist die geistige Ankunft des Herrn, die sich jetzt in unserem Herzen vollziehen soll durch Aneignung der Güter der Erlösung. Wie reichlich ist uns diese Erlösung geboten! Alles, was die erste Ankunft der Welt gebracht, steht uns zur Verfügung. Wir können es uns aneignen ebenso gut und wahrhaftig als die Hirten, als die Könige, als Simeon und Anna und alle Welt, die an Christus geglaubt und durch diesen Glauben sich geheiligt hat. Das Blut Christi wäscht unsere Sünden jetzt ebenso ab wie einstmals die der hl. Magdalena; der Glaube und Friede Christi und das Glück, ihn zu finden, wird uns zu Teil wie den guten, einfältigen Hirten und den Königen; wir können Christus in unsere Arme schließen mit Simeon und Anna; er kann geistiger Weise in unsern Herzen geboren werden, wie er körperlich im Schoß der seligsten Jungfrau geboren wurde. Das sind keine frommen Meinungen und Einbildungen, sondern Wahrheiten und Tatsachen. Das Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung ist da, es wird begangen, nur in anderer Gestalt und unter andern Umständen. Ist aber das Erlösungs-Bedürfnis nicht ebenso groß und dringend wie zur Zeit der Ankunft Christi? Ist die Sünde nicht da in jeder Gestaltung, persönlicher und öffentlicher? Ist die Verheerung der Leidenschaft nicht da? Und das Heer der zeitlichen Übel? Und der Unglaube und das Heidentum? Bedeckt nicht das alte Heidentum noch den größten Teil der Erdoberfläche? Und hat sich nicht ein neues Heidentum aufgetan mitten im Christentum, das die Welt um das Heil und den Trost des Christusglauben bringen und sie um achtzehn Jahrhunderte in die heidnische Zeit und Sitte zurück werfen möchte? Wie bedürftig ist doch unsere Welt der Erlösung und des Friedens in Christus! Und wie leicht könnte sie ihn haben! –
Der dritte Beweggrund ist die künftige Ankunft des Herrn zum Gericht, auf welche wir uns vorbereiten sollen durch die geistige Aufnahme des Herrn in unser Herz und durch Aneignung der Erlösungs-Gnaden, die uns in dem Weihnachts-Geheimnis geboten werden. Hat die Welt, haben wir es nicht nötig, auf diese letzte Ankunft des Herrn vorbereitet zu werden? Möchten doch die Adventsglocken diese Wahrheit in alle Welt hinaus tragen und alle Menschen erwecken, durch Gebet und Buße zum Aufbau des Reiches Christi Hand anzulegen!
Die äußern Beweggründe sind das Beispiel aller guten Gläubigen und der Kirche, die es als einen uralten Gebrauch beobachtet, durch Buße und Gebet sich vorzubereiten auf die Ankunft des Herrn, um so jeder Zeit und jedem Geschlecht die Güter der Erlösung zuzuwenden. Die Kirche ist eben die bittende, büßende, um Christus ringende Welt, wie es vor ihr die Kirche des Alten Bundes gewesen war. Deshalb nimmt sie von den Lippen der Propheten und der Heiligen der Urzeit die Laute des Sehnens und des Verlangens nach dem Erlöser und trägt sie im Namen der ganzen Menschheit dem Herrn vor. Es sind dieselben Gebete und Seufzer, die einst den Heiland der Welt vor seiner wirklichen Ankunft im Fleisch erfleht haben. Ja, die Kirche sieht das Geheimnis der Menschwerdung und Geburt Jesu an, als sollte es nochmals vollführt werden und als stände diese Vollführung jetzt eben bevor. „Den nahenden König lasset uns anbeten. Nahe ist der Herr, beten wir ihn an“, spricht sie in ihren Tagzeiten. Bald hofft sie, bald freut sie sich, bald befürchtet sie, daß unsere Sünden seine Ankunft verzögern – kurz, mit ihrem ganzen liebenden Herzen, mit ihrem Sinnen und Trachten versenkt sie sich in das Geheimnis ihres göttlichen Bräutigams.
So wollen also wir es nun auch halten und den Schritten der Mutter folgen, wenn sie uns in ihre liebliche Engel- und Roratemesse führt, zur Betrachtung der Geheimnisse der Menschwerdung anleitet und dabei von unserem Herzen zu unserem Besten und zum Trost der armen Welt ein kleines Opfer begehrt. Wer weiß, ob wir noch einen heiligen Advent erleben, ob dieses nicht der letzte ist, und ob wir dem Heiland, dem wir jetzt in Freuden als unserem Erlöser entgegen gehen, nicht bald als unserem Richter begegnen werden? –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes, Bd. 1, 1912, S. 19 – S. 21
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