Die Mystik der Weihnachtszeit

Das Fest der gnadenreichen Geburt Jesu, Weihnachten, in der Mitte sieht man Maria und Joseph sowie das Jesuskind in der Krippe, links die Hirten, die vom Engel die frohe Botschaft erhalten, rechts die drei Weisen mit ihren Geschenken; über der Krippe mit dem Jesuskind ist ein Engel, der ein Spruchband hält, auf dem in lateinischer Sprache steht: Und das Wort ist Fleisch geworden; das Bild ist geziert mit Tannen, Vögeln und zwei Heiligenstatuen rechts und links von der heiligen Familie

Weihnachtszeit: Die Bedeutung des 25. Dezember

In den Tagen, in welche wir nun eingetreten sind, ist Alles geheimnisvoll. Das Wort Gottes, welches da war vor der Morgenröte, nimmt in der Zeit Fleischesgestalt an; ein Kind ist Gott; eine Jungfrau wird Mutter und bleibt gleichwohl Jungfrau; göttliche und irdische Dinge vermengen sich und der höchste unaussprechliche Gegensatz, den der Liebesjünger Johannes nieder geschrieben: „Und das Wort ist Fleisch geworden“, tönt in allen Gebeten wider und durchdringt alle gottesdienstlichen Verrichtungen der Kirche; denn dieser Satz drückt in seiner bewundernswerten Kürze vollständig das große Geheimnis aus, welches um diese Zeit die Kirche in ganz besonderer Weise beschäftigt, nämlich die Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in derselben göttlichen Person. Ein Geheimnis, undurchdringlich für die Vernunft, aber süß und milde dem Herzen der Gläubigen, steh es vor uns als die Erfüllung der göttlichen Absichten in der Zeit, als der Gegenstand der Anbetung und Bewunderung in der Ewigkeit und zugleich als die Quelle und das Mittel des ewigen Heiles. Sehen wir nun, wie die heilige Kirche ihren Kindern dies Geheimnis sinnbildlich in der Liturgie vorstellt.

Nach den vier Wochen der Vorbereitung, die uns im Bilde die viertausend Jahre des alten Bundes vorstellten, sind wir endlich an jenem denkwürdigen 25. Dezember angekommen, gleichsam an einem ersehnten Haltepunkt. Bei der ersten Betrachtung fällt uns auf, daß diesem Tage alljährlich die Ehre vorbehalten ist, die Geburt Christi feiern zu sehen, während doch der ganze Kirchenkalender in Bewegung zu sein scheint, um Ostern, das Fest der Auferstehung, bald an diesem, bald an jenem Tage zu feiern.

Schon im vierten Jahrhundert war es dem heiligen Augustin gegönnt, den Grund dieser Verschiedenheit aufzufinden und er legt denselben in seinem berühmten Brief an Januarius nieder. Wir feiern nämlich den Geburtstag des Heilandes nur, um das Gedächtnis dieser Geburt zu begehen, ohne daß der Tag an sich irgend welche geheimnisvolle Beziehungen zu dieser Geburt hätte. Anders ist es indes mit dem Leiden und der Auferstehung Christi; hier knüpfen sich an die von Ewigkeit her bestimmten Tage geheimnisvolle Beziehungen an, deren bis an das Ende aller Zeiten gedacht werden sollte und welche daher, wenn diese geheimnisvollen Beziehungen sich an andere Tage des Jahres knüpfen, die Feier dieser Geheimnisse dahin nach sich ziehen müssen. Der heilige Isidor von Sevilla und Alcuin schließen sich vollständig dieser Ansicht des Bischofs von Hippo an und was sie darüber sagten, wurde von Durandus in seinem Nationale und hauptsächlich von Suarez im zweiten Buch seiner großen Abhandlung über die Religion des Weiteren entwickelt.

Diese ebenso frommen als scharfsinnigen Schriftsteller machen darauf aufmerksam, daß nach den kirchlichen Überlieferungen die Erschaffung des Menschen an einem Freitag stattgefunden habe, und an einem Freitag starb auch der Erlöser der Menschen, um ihre Sünden zu sühnen und so das Menschengeschlecht gleichsam neu zu schaffen, am Kreuz. Am dritten Tage darauf, also an einem Sonntag, fand die Auferstehung Jesu Christi statt. Und wunderbarer Weise; denn die Genesis sagt uns, daß Gott an diesem Tage das Licht erschaffen habe. „Die Feierlichkeiten des bitteren Leidens und der glorreichen Auferstehung“, sagt der heilige Augustinus, „bezwecken nicht allein das Gedächtnis der Tatsachen, die sich an diesem Tage erfüllt haben, sondern über dies Gedächtnis hinaus hat auch der Tag jener Feier tiefere geheimnisvolle und heilige Beziehungen zu den Ereignissen selbst.“

Wir dürfen indes nicht glauben, daß, wenn Weihnachten auch nicht auf einen bestimmten Tag der Woche fällt, die Wahl des 25. Dezember ganz ohne Bedeutung sei. Vor Allem hat schon Alcuin in dem Buche De divinis officiis darauf hingewiesen, daß das Weihnachtsfest nacheinander alle Tage der Woche durchläuft, um sie alle zu reinigen und sie von dem Fluch zu befreien, den die Sünde Adams auf jeden derselben gewälzt hatte. Aber noch ein viel erhabeneres Geheimnis knüpft sich an die Wahl dieses Festtages, ein Geheimnis, welches sich zwar nicht auf die von Gott selbst in seinem Schöpfungswerk begründete Zeiteinteilung der Woche bezieht, dagegen aber sich in der ausdrucksvollsten Weise an den Lauf jenes großen Gestirnes knüpft, welches Licht und Wärme, d. h. das Leben auf Erden, erzeugt und erhält. Jesus Christus, unser Heiland, „das Licht der Welt“, ist gerade in dem Augenblick geboren, wo die Nacht des Götzendienstes die Erde am tiefsten umfangen hielt. Und der Tag seiner Geburt, der 25. Dezember, bezeichnet gerade diejenige Zeit, wo die Sonne am Tiefsten steht, wo sie der allgemeinen Finsternis zu erliegen scheint und neues Leben empfängt, um die Finsternis zu besiegen. –
aus: Dom Prosper Guéranger, Die heilige Weihnachtszeit, 1892, S. 9 – S. 12

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