Enzyklika Pascendi gegen den Modernismus

Der Papst trägt das Kreuz Christi, von Christus glorreich empfangen; es zeigt das Leiden der Päpste und zugleich der Kirche

Pius X. im Kampf gegen den Modernismus

Ein Porträt von Papst Pius X.; er ist in weißer päpstlicher Kleidung zu sehen, er trägt ein schönes Kreuz und schaut ernst, aber fest entschlossen

Die Enzyklika Pascendi gegen den Modernismus

Um den Begriff völlig zu zergliedern, müssen wir jedoch zur Enzyklika selber greifen. Nachdem der Papst den Modernismus als Zusammenfassung aller Irrlehren verurteilt, bezeichnet er darin folgende Gruppen von Irrtümern:

  • die Scheidung des geschichtlichen Christus von dem Christus, der Gegenstand unseres Glaubens ist;
  • die Vernichtung der Menschwerdung durch Ableugnung vom Eingreifen des Göttlichen in das Gebiet der Tatsachen;
  • die Herabwürdigung des Glaubens in die Region des Gefühls;
  • die Herabminderung der religiösen Autorität, indem man ihr die apostolische Grundlage abspricht;
  • schließlich die Behauptung, die angeblich veraltete Bibel und die äußere Offenbarung seien durch die innere Offenbarung zu ersetzen.

Der Papst behandelt das Thema in drei Teilen. Zuerst bringt die Enzyklika eine Analyse der modernistischen Lehre mit dem Agnostizismus als Basis ihrer Philosophie und der Immanenzlehre als positive Begleiterscheinung, so zwar, daß die ganze Religion aus dem Menschen als solchem allein erklärt und die individuelle Erkenntnis der äußern Offenbarung gleich gestellt wird. Der Modernismus trennt Glauben und Wissen und weist dem Wissen den Vorrang vor dem Glauben an. Die religiösen Dogmen sind ihm nicht der durchaus entsprechende Ausdruck der Glaubens-Wahrheiten; sie müssen veränderlich sein, um sich den zeitweiligen Bedürfnissen anzupassen. Alles muss der Entwicklung unterstehen. Diese Prinzipien finden ihre Anwendung bei der Umbildung der Dogmengeschichte und der Apologetik.

Der zweite Teil studiert den Modernismus in seinen Ursachen. „Zweifellos“, sagt der Heilige Vater, „liegt seine nächste und unmittelbare Ursache in einem Irrtum des Verstandes. Entferntere Ursachen dagegen erblicken Wir zwei: Vorwitz und Stolz. Wenn der Wissensdrang nicht weise gemäßigt wird, ist er allein schon hinreichend, um alle möglichen Irrtümer zu erklären… In weit höherem Grade jedoch hat der Stolz die Wirkung, den Geist zu verblenden und in Irrtum zu führen, und der ist sozusagen bei den Modernisten zu Hause… Es ist Stolz, wenn sie in verwegenem Selbstgefühl die eigene Person als Norm für alles betrachten und als solche ausgeben. Es ist Stolz, wenn sie prunken, als besäßen sie allein alle Weisheit, und sich zu den aufgeblasenen Worten versteigen: Wir sind nicht wie die andern Menschen; und um nicht mit andern auf eine Stufe gestellt zu werden, greifen sie nach allem, was neu heißt, und ersinnen die größten Abgeschmacktheiten. Es ist Stolz, wenn sie jegliche Unterwerfung ablehnen und verlangen, die Autorität müsse sich mit der Freiheit abfinden. Es ist Stolz, wenn sie an die Reform anderer denken und dabei sich selbst vergessen, wenn sie keinen Stand und kein Amt, auch das höchste nicht, achten.“

„Gehen wir nun von den moralischen Ursachen zu denen über, die im Verstand liegen, so zeigt sich als erste und hauptsächlichste die Unwissenheit. Denn die Modernisten, alle ohne Ausnahme, die Lehrer in der Kirche sein und heißen wollen, die mit vollen Backen die moderne Philosophie preisen und die scholastische verachten, konnten sich nur deshalb von ihrem falschen Schein verleiten lassen, sich zu ihr zu bekennen, weil sie, bei völliger Unkenntnis der Scholastik, gar keine Beweismittel in Händen hatten, um der Begriffsverwirrung zu steuern und die Sophismen zurück zu weisen. Aus der Verbindung der falschen Philosophie mit dem Glauben ist dann ihr System mit all seinen groben Irrtümern erwachsen.“

„Zum reinsten Pantheismus führt die Lehre von der göttlichen Immanenz. Wir müssen fragen, ob eine solche Immanenz zwischen Gott und dem Menschen scheide oder nicht. Wenn ja, was ist dann für ein Unterschied von der katholischen Lehre vorhanden, und warum darf man dann die Lehre von der äußeren Offenbarung verwerfen? Wenn nein, so ist der Pantheismus da.“

Das war das Dilemma, vor das die Enzyklika Pascendi die Modernisten stellte.

Im dritten Teil werden die Heilmittel gegen das Übel angeführt: vertieftes Studium der scholastischen Philosophie in den Klerikal-Seminarien und theologischen Lehranstalten; sorgfältigste Auswahl der hier zum Lehramt Berufenen; unablässige Wachsamkeit der Bischöfe über die in ihren Diözesen veröffentlichten oder verbreiteten Bücher und Schriften, Einsetzung amtlicher Bücherzensoren; Einschränkung solcher Kongresse, die der Verbreitung der Irrtümer günstig sind.

Noch am 18. November 1907 erließ der Papst ein Motu proprio über Bibelstudium und Modernismus. Am 8. September 1910 verlangte er von allen in der Seelsorge, kirchlichen Verwaltung, Predigt und Lehramt verwendeten Geistlichen die Ablegung eines besonderen, gegen die modernistischen Irrlehren gerichteten Eides.

„Die Reinerhaltung des katholischen Namens steht auf dem Spiele“, hatte der Papst gesagt, „länger zu schweigen wäre ein Verbrechen.“

Die Gefahr war allerdings ernst. Die Modernisten hatten sich als Verteidiger der Wissenschaft aufgespielt, die zu ihren Folgerungen nur durch die Sorge um die wissenschaftliche Wahrheit gelangt seien. Für die wahrheitsdurstige Jugend hatte somit die modernistische Lehre, selbst unter den treuen Kindern der Kirche, eine gewisse Anziehungskraft. Pius X. beklagt das in der Enzyklika:

„Je kühner jemand das Alte umstößt, die Überlieferung und die kirchliche Lehre von sich weist, für um so gelehrter gilt er; hat ihn schließlich die kirchliche Verurteilung getroffen, so wird er nicht nur, zum Entsetzen aller guten Katholiken, von der ganzen Schar laut und öffentlich belobt, sondern fast als Märtyrer der Wahrheit verehrt. Von all dem Lärm dieser Lob- und Schmähreden lassen dann die jungen Leute sich verwirren und berücken; sie wollen nicht als Ignoranten gelten, und so geben sie sich, unter dem Drang ihres eigenen Vorwitzes…, nur zu oft gefangen und schließen sich dem Modernismus an… Manche, die nicht so weit gehen, sind doch von der schlechten Atmosphäre angesteckt, gewöhnen sich, mit einer Ungebundenheit zu denken, zu reden, zu schreiben, wie sie einem Katholiken schlecht ansteht. Es gibt solche unter den Laien und ebenso im Klerus, ja sogar in religiösen Orden… Man behandelt die biblischen Fragen nach den Regeln des Modernismus; schreibt man Geschichte, so stellt man, unter dem Schein der Objektivität, mit sichtlichem Vergnügen, alles ans Licht, was der Kirche einen Makel anheften kann. Fromme Volksüberlieferungen sucht man, nach vorgefaßtem Urteil, mit aller Entschiedenheit abzutun. Altehrwürduge Reliquien gibt man der Verachtung preis. Die Eitelkeit verlangt ja, in der Welt von sich reden zu machen, und das glaubt man nicht erreichen zu können, wenn man nur das sagt, was immer und allgemein gesagt worden ist. Vielleicht redet man sich dabei noch ein, man leiste Gott und der Kirche einen Dienst. Tatsächlich wird hierdurch schwer gefehlt, und zwar nicht allein durch die Arbeiten selbst, sondern noch mehr durch die Gesinnung, woraus diese entspringen, und weil dadurch der Kühnheit der Modernisten Vorschub geleistet wird.“
Dies glaubten Wir, ehrwürdige Brüder, Euch schreiben zu sollen“, schließt der Papst, „zum Heile aller Gläubigen. Die Feinde der Kirche werden es gewiß benützen, um die alte Verleumdung wieder aufzuwärmen, daß Wir Gegner des Fortschritts, der Bildung und Zivilisation seien. Um diesen Anklagen, gegen welche die Geschichte der christlichen Religion ein fortlaufender Gegenbeweis ist, auch eine neue Antwort entgegen zu halten, ist es Unsere Absicht, mit allen Mitteln ein neues Institut zu fördern, als dessen Mitglieder alle Katholiken von wissenschaftlichem Ruf am Fortschritt jeder Art wissenschaftlicher und gelehrter Studien arbeiten sollen, im Lichte der katholischen Wahrheit und unter ihrer Führung.“

Dieser Plan wurde 1909 ausgeführt, als Pius X. in Rom das Bibelinstitut errichtete, wo junge Geistliche nach vollendetem Philosophie- und Theologie-Kurs sich unter Führung von hervorragenden katholischen Lehrern dem besonderen Studium der heiligen Schriften widmen können. Der erste Direktor wurde P. Leopold Fonck SJ, Professor in Innsbruck.

Eine Zeitlang tobte der Sturm um den Oberhirten, der so freimütig gesprochen hatte. Aber tiefer Dank bewegte die Herzen jener, die den Ernst der Lage erfaßt hatten. „In seinem Auftreten Frankreich gegenüber“, schrieb einer der letzteren, „hat der Heilige Vater sozusagen den Leib der Kirche gerettet, aber nun hat er ihre Seele gerettet!“

Die deutschen Bischöfe unterstützten sofort die Entscheidungen des Heiligen Stuhles. In einem Ende Januar 1908 gegen den Modernismus gerichteten Hirtenschreiben äußerten sie ihre Betrübnis über das unehrenhafte Verhalten einzelner Priester, die sich kirchenfeindlicher Zeitungen bedienten, um kirchliche Einrichtungen und Vorgesetzte zu kritisieren. Auch widerlegten sie die Meinung, als sei durch die Enzyklika das wissenschaftliche Streben, die Selbständigkeit des Denkens und Forschens bedroht: „Die Kirche will nur einer Freiheit Schranken ziehen, der Freiheit zu irren.“

Ein Hirtenschreiben des bayerischen Episkopats desselben Jahres bezeichnete Kant und Darwin als Väter der neuen Lehren. Als die Bischöfe den katholischen Theologie-Studenten verboten, in München die Vorlesungen eines modernistisch gesinnten Professors zu hören, äußerte Kultusminister v. Wehner in der Abgeordneten-Kammer sehr richtig: „Die Theologie-Professoren sind nicht bloß Diener des Staates, sondern auch Diener der Kirche. Die theologischen Fakultäten sind konfessionelle Anstalten. Der Theologie-Professor ist an die dogmatische Grundlage gebunden. Ein Urteil darüber, ob er die richtigen Lehren vortrage, kann nicht der Staat, sondern nur die Kirche fällen.“

Im ganzen war die Wirkung der päpstlichen Kundgebungen eine mächtige und heilsame. Der von vielen erwartete große Abfall vom Glauben blieb aus. Von den deutschen Reformkatholiken wandten sich viele infolge des päpstlichen Vorgehens von den modernistischen Bestrebungen ab. Die „Kraus-Gesellschaft“ wies jede Trennung von der Kirche zurück. Manche modernistische Zeitschriften gingen allmählich ein. So stellte die „Münchner Allgemeine Zeitung“ mit dem 1. April 1908 ihr Erscheinen ein. Sie bestand noch eine Weile fort als politische Wochenschrift. Seit 1869 war sie durchaus antipäpstlich gesinnt. Wie früher Döllinger und Friedrich, so gab später Franz Xaver Kraus als kritischer „Spektator“ hier den Ton an. „Im Kampf gegen die Modernisten-Enzyklika“, sagt Richard v. Kralik, „hauchte sie zornig den Geist aus.“ – Eine Versammlung von Erzbischöfen und Bischöfen Frankreichs zu Toulouse beschloß im November 1907, daß der französische Episkopat ohne Umschweife und Winkelzüge die Lehren des Stuhles Petri befolgen und lehren werde, was die Kirche lehre, verdammen, was sie verdamme.
Auch die Vorschriften bezüglich des Antimodernisten-Eides fanden fast ausnahmslos willige Befolgung.

Ist der Modernismus überwunden? Er ist es nur in dem Sinne, daß, nachdem einmal der unfehlbare Lehrer des Glaubens den Irrtum bloß gestellt und die Gläubigen gewarnt hat, keiner mehr von denen, die guten Willens sind, wenigstens nicht mehr so leicht, in die Irre geführt werden kann. Der Katholik weiß jetzt, woran er sich zu halten hat. Daß aber der Modernismus in dem Sinne überwunden wäre, als ob es keine oder nur wenige Modernisten mehr gäbe, das anzunehmen wäre eine verhängnisvolle Täuschung. Eine so tiefgehende geistige Bewegung, die so ganz aus dem modernen Geist hervor gegangen und mit unzähligen Fasern darin fest gewurzelt ist, kann nicht auf einen Schlag aus der Welt fort geschafft werden. Wundern wir uns also nicht, daß erst kürzlich (Dezember 1922) Pius XI. In seinem ersten Hirtenschreiben sich veranlaßt sah, die auf sozialem und juridischem Gebiet noch immer fühlbaren modernistischen Grundsätze zu brandmarken.

Aber die Verurteilung wirkte damals wie ein befreiendes Gewitter an einem schwülen Tage; es vollzog sich allmählich die Scheidung der Geister. Diese Klärung bewirkt zu haben, ist Pius X. hohes Verdienst. –
aus: F.A. Forbes, Papst Pius X. Ein Lebensbild, 1923, S. 112 – S. 118

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