Sind die Päpste unfehlbar?
Wir haben diese Frage schon einmal gestellt und zwar im zweiten Abschnitt unserer Papstgeschichte, als wir das Leben und die Kämpfe des heiligen Papstes Liberius erzählten. Der Papst Honorius, bei dessen Regierung unsere Geschichte nun angekommen ist, gehört mit dem heiligen Liberius zu jenen Päpsten, welche die Feinde gern als Beweis anführen, daß ein Papst sich in seinen Entscheidungen irren kann.
In dem Jahr der Thronbesteigung des Papstes Honorius wütete im Morgenland ein furchtbar blutiger Krieg. Die heidnischen Sonnenanbeter aus Persien hatten Jerusalem erobert, das heilige Kreuz fortgeschleppt und Konstantinopel selbst angegriffen. Diese Schmach war notwendig, um den griechischen Kaiser Heraklius aus seinem Wohlleben aufzurütteln. Er wurde mit einem Mal ein Held, schlug die Perser und eroberte unermeßliche Schätze, darunter auch das heilige Kreuz. Es war im Jahre 629, als Kaiser Heraklius nach Jerusalem eilte, um selbst das heilige Kreuz in die Grabeskirche zurück zu bringen. Zum ewigen Gedächtnis daran wurde das Fest der Kreuzerhöhung eingesetzt.
Zwei Jahre später starb in Arabien der Prophet Mohammed, der Stifter der neuen Religion, die das Morgenland züchtigen sollte. Der Tod des Propheten war das Signal für die Araber, dem Halbmond die Welt zu unterwerfen. Eines ihrer ersten Ziele ward wiederum Jerusalem. An der Stelle des ehemaligen salomonischen Tempels baute der Beherrscher der Mohammedaner einen prächtigen türkischen Tempel, die Omar-Moschee. Seither trägt die Königin der Städte, innerhalb deren Mauern der Sohn Gottes lehrte und in der er litt, das Sklavenjoch fast ohne Unterbrechung.
Im Abendland dagegen machte das Christentum gewaltige Fortschritte, besonders in England, im nördlichen Frankreich und im Norden Deutschlands.
Papst Honorius I.
(regierte von 625-638)
war der Sohn eines vornehmen Beamten aus Campanien in Italien und ein Mann, dem sehr viel daran lag, das Wohl der Kirche zu fördern und die Strenge der alten kirchlichen Zucht aufrecht zu erhalten. Den päpstlichen Stuhl bestieg er am 27. Oktober des Jahres 625. Seine Grabschrift gibt an, daß er als Mitglied der römischen Geistlichkeit Papst Gregor den Großen zum Lehrer hatte und treu nach dessen Vorbild lebte. Papst Honorius war fromm und bescheiden, ebenso bedacht auf die Ausbreitung des Glaubens wie auf die Ausschmückung der Kirchen. Nur den schlauen Griechen war er nicht gewachsen, wie wir bald sehen werden. Aber Gottes Segen ruhte auf seinen Unternehmungen.
Der oströmische Kaiser Heraklius war durch das siegreiche Vordringen des Perservolkes wiederum in starke Bedrängnis gekommen. Sein eigenes Reich war durch Glaubensstreitigkeiten in verschiedene Parteien geteilt. In seiner Not trachtete nun der Kaiser vor allem danach, Friede und Einigkeit in seinen Ländern herzustellen, um dem auswärtigen Feinde leichter Widerstand leisten zu können. Da die Irrlehrer in seinem Reiche sehr viele Anhänger hatten, suchte der Kaiser nach Mitteln, diese für die katholische Kirche zu gewinnen, damit sie ihm wieder halfen, die Feinde des Landes zu bekämpfen. Dazu ersann nun der Patriarch Sergius von Konstantinopel ein Glaubensbekenntnis, das auch die Irrlehrer annehmen sollten. Dabei bat der Patriarch auch ausdrücklich, der Papst solle die von ihm aufgestellte Lehre über Jesus Christus prüfen und „das etwa mangelhaft Gesagte durch die von Gott ihm verliehene Gnade ergänzen“. Damals ging der Glaubensstreit besonders darüber, ob in Christus eine oder zwei Naturen, ein gottmenschlicher oder ein göttlicher und ein menschlicher, also zwei Willen seien. Der Patriarch Sergius erklärte nun: In Christus ist nur ein Wille in zwei Naturen. Das hieß aber das Geheimnis der Menschwerdung Jesu Christi zerstören. Der Patriarch behauptete, daß kein Kirchenlehrer der früheren Zeit gelehrt habe, es gebe in Jesus zwei Willen, einen göttlichen und menschlichen, sondern es handle die Person Christi nur durch den einen göttlichen Willen. Der katholische Glaube sagt hingegen, es gibt in Christus zwei Naturen und ebenso zwei Willen, den göttlichen und den menschlichen. Hätte Jesus als Mensch keinen freien Willen gehabt, so wäre ja seine menschliche Natur unvollkommen gewesen.
Der Patriarch Sophronius von Jerusalem erkannte schnell die Gefahr dieser Irrlehre. Er eilte selbst nach Konstantinopel, um den Patriarchen Sergius auf die schlimmen Folgen seiner Behauptung aufmerksam zu machen. Weil er aber bei dem boshaften Sergius nichts erreichte, so beschloß er, an den Papst Honorius zu schreiben.
Unglücklicherweise kam ihm aber Sergius zuvor. Dieser schilderte in einem Brief die ganze Angelegenheit sehr undeutlich und erklärte seine Gegner, darunter den Patriarchen Sophronius, für Friedensstörer, die nicht wollten, daß der Kaiser Heraklius der Kirche Frieden gebe. Der Patriarch Sergius ersuchte den Papst, die Angelegenheit zu prüfen. Dabei pries er auch mit großer Übertreibung die Rückkehr der Irrlehrer zur Kirche und bemerkte, es würde hart sein, diese Millionen von Menschen bloß wegen des von Sophronius getadelten Ausdruckes „Ein Wille in Christus“ zum weiteren Ungehorsam gegen die wahre Lehre der Kirche zu nötigen. Sergius stellte die Sache so dar, als wollte der Patriarch Sophronius von zwei sich widersprechenden Willen in Christus reden.
Täuschung durch den Irrlehrer Sergius
Was sollte nun der Papst tun, der das größte Verlangen trug, den Frieden in der Kirche zu erhalten? Der arglose Papst, der noch keine andern Nachrichten über die Vorgänge im Morgenland erhalten hatte, belobte darum den Sergius wegen seines Eifers um die Einheit in der Kirche. Papst Honorius kannte aber auch die Geschichte des Morgenlandes recht wohl und wußte, daß es nur eines kleinen Umstandes bedürfe, um die Gemüter in die furchtbarste Erregung zu bringen. Diese Gefahr suchte er zu vermeiden und schrieb darum an Sergius: „Ich lobe deinen Eifer, alle Neuerungen nach dem Rate des Apostels kräftig zu bekämpfen. Überlassen wir den Gelehrten die Sorge, müßige Fragen zu erörtern und verabscheuen wir Streitigkeiten mit Worten, welche die Kirche in Verwirrung bringen. In Christus ist nur ein Wille, weil Christus nur die schuldlose menschliche Natur angenommen hat.“ Der Papst schließt somit bloß den sündhaften Willen des Menschen in Christus aus, nicht aber den guten. Der Widerspruch des Sophronius erschien also dem Papst als ein bloßer Wortstreit. Während diese Briefe zwischen Rom und Konstantinopel hin und her gingen, hielt der Patriarch Sophronius eine Kirchenversammlung in Palästina. Dort wurde der katholische Glaube festgestellt und ein Brief an den Papst geschickt, worin die Lehre von den zwei Willen in Christus klar und überzeugend dargelegt wurde. Papst Honorius schrieb darauf an die Bischöfe von Palästina: „Hüten wir uns, die Lehre der Kirche durch die Wolken unserer Erörterungen zu verdunkeln. Der Papst glaubt, was Sophronius glaubt, verbietet aber um des Friedens willen Ausdrücke, welche zu neuen Streitigkeiten Anlaß geben könnten.“ Der Patriarch Sophronius schickte nun den Bischof Stephan von Dora nach Rom mit dem Auftrage: „Er soll zum Apostolischen Stuhle reisen, wo die Grundlage der rechten Lehre sich befindet, und dort das Spiel der Irrlehrer aufdecken.“ Wir sehen, daß der Patriarch von Jerusalem zwar von der Unfehlbarkeit des Papstes überzeugt war, aber auch sah, daß Papst Honorius von Sergius getäuscht werde.
Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so ergibt sich folgendes: Papst Honorius hat nicht wie der Irrlehrer Sergius einen Willen in Christus gelehrt. Sein Fehler bestand nur darin, daß er dem Rate des Sergius folgte und den Streit unterdrückt wissen wollte, wodurch die wahre Lehre nicht zum Ausdruck kommen konnte.
Papst Honorius starb am 12. Oktober des Jahres 638 nach einer Regierung von 12 Jahren, 11 Monaten und 17 Tagen in bestem Angedenken bei allen seinen Zeitgenossen. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden 1907, S. 198 – S. 200