Brief des heiligen Papstes Clemens I. an die Korinther
(Die Liebe)
In dem Brief an die Philipper Kap. 4, V. 3 spricht der Apostel Paulus von einem Clemens, daß derselbe mit ihm für das Evangelium gearbeitet habe und sein Name im Buch des Lebens geschrieben stehe. Clemens war somit ein Schüler und Gehilfe der Apostel und deshalb besonders geeignet, nach dem Tode des hl. Petrus und seiner zwei Nachfolger Linus und Anaklet die heilige apostolische Kirche zu regieren; Clemens ist somit der vierte unter den Päpsten.
Ein Papst hat aber, wie der Hausvater einer unermesslichen Familie, überall hin seine Sorgfalt zu wenden, besonders aber zu solchen Teilen der großen katholischen Kirche, wo Friede und Ordnung gestört ist. Nun war zur Zeit des hl. Clemens eine heftige Spaltung in Korinth entstanden; Eifersucht und Neid trennte die Gemeinde in Parteien; rechtschaffene Priester wurden ihres Amtes entsetzt; gute Christen wurden geärgert, schwache wurden am Glauben irre, und den Heiden war es ein Anlass, die christliche Religion zu verlästern. Da das Übel nicht nachließ und zumal Liebe und Tugend der Gemeinde zu Korinth immer mehr dabei erlosch, so wandten sich die Besseren endlich nach Rom an den Papst Clemens. Dieser schrieb nun einen Brief an die Korinther, welcher im Altertum so hoch geschätzt wurde, daß er nicht nur zu Korinth, sondern auch bei andern Gemeinden gerade wie die Briefe der Apostel in den Kirchen vorgelesen wurde, und zwar währte dieser Gebrauch einige hundert Jahre lang. Vor zweihundert Jahren ist genannter Brief wieder aufgefunden worden; da er nun im Altertum fast der hl: Schrift gleichgestellt wurde, derselbe jedoch sehr groß ist, so will ich wenigstens ein Stück davon hierher setzen.
Nachdem der hl. Clemens aus der hl. Schrift eine Anzahl von Männern aufgeführt hat, deren Beispiel zur Demut und Friedfertigkeit ermahnt, fährt er fort:
„Betrachten wir aber mit den Augen des Geistes die Langmut und Güte Gottes selbst. Die Himmelskörper, welche sich nach seiner Anordnung bewegen, sind friedlich ihm untertan, und vollenden Tag und Nacht, ohne einander zu stören, die ihnen vorgezeichnete Bahn, und Sonne und Mond und die Chöre der Sterne machen einträchtig ihre Bewegungen ohne die mindeste Abweichung von der angewiesenen Ordnung. Die Segen schwangere Erde bringt seinem Willen gemäß zu bestimmten Zeiten einen Überfluss von Nahrung für Menschen und Vieh und für alle Tiere hervor, die auf ihr wohnen, und zögert nicht und ändert nichts von dem, was Gott bestimmt hat. Und die unzugängliche Welt in den Tiefen und die geheimnisvollen Gegenden der Unterwelt bestehen nach denselben Gesetzen. Das tiefe unermessliche Meer, welches nach göttlicher Anordnung sich in seine Räume gesammelt und so zusammen gehalten wird, es durchbricht die Riegel nicht, die ihm rings gesetzt sind, sondern tut, wie er ihm gebot: denn er sprach: „Bis hierher sollst du kommen und deine Fluten sollen in dir selbst sich brechen.“ Der den Menschen unüberschiffbare Ozean und die jenseits gelegenen Weltgegenden folgen in ihrer Ordnung denselben Geboten des Herrn. Frühling, Sommer, Herbst und Winter folgen friedlich auf einander. Die bestimmten Winde vollbringen, wenn ihre Zeit ist, ohne sich zu hindern ihr Geschäft; unversiegliche Quellen reichen ohne Unterlass ihre Brust den Menschen zur Erquickung dar, und die kleinsten Tiere leben in Eintracht und Frieden beisammen.“
„So hat es der große Schöpfer und Herr des Weltalls geordnet, daß alles in friedlicher Eintracht mit einander lebe, indem er allen Wesen, vorzüglich aber und in überfließendem Maße uns wohltut. Seht nun zu, Geliebte, daß nicht seine vielen Wohltaten uns Allen zur Verdammung gereichen, wenn wir uns seiner nicht würdig betragen und nicht tun, was vor ihm gut und wohlgefällig ist. Denn es sagt die Schrift: „Der Geist des Herrn ist eine Leuchte, die das Verborgenste des Herzens erspäht.“ Sehen wir, wie nah er uns ist, und daß weder von unsern Gedanken, noch von den Gesprächen, die wir führen, ihm etwas verborgen ist.“
„Es ist also billig, daß wir uns der Erfüllung seines Willens nicht entziehen. Lieber wollen wir törichten und unverständigen Menschen missfallen, als uns gegen Gott verfehlen. Verehren wir den Herrn Jesus Christus, dessen Blut für uns zum Lösegeld hingegeben ward! Erweisen wir Ehrerbietung unsern Vorstehern; ehren wir Jene, die älter als wir sind; lehren wir die Jugend in der Gottesfurcht wandeln! Suchen wir die Frauen im Guten zu erbauen! Dieselben sollen in ihrem Leben die Liebenswürdigkeit keuscher Sitte zeigen, mit ihrer Sanftmut ein herz ohne Falsch beweisen, und durch bescheidenes Stillschweigen Beherrschung der Zunge an den Tag legen. Eure Kinder sollen an der christlichen Zucht und Bildung Teil nehmen und lernen, wie viel die Demut bei Gott vermöge, was reine Liebe vor ihm gelte, wie schön und groß die Gottesfurcht sei und wie beseligend für Alle, die in reiner Gesinnung vor ihm wandeln; denn ein Erforscher der Gedanken und Absichten des Herzens ist der, dessen Hauch in uns ist, und der ihn, wann er will, hinweg nehmen kann.“
„Da wir also zum Heiligtum auserwählt sind, so lasset uns Alles tun, was zur Heiligkeit des Lebens gehört, und fliehen alles üble Nachreden, jeden ungebührlichen unreinen Umgang, Trunkenheit und jugendlichen Übermut, abscheuliche Begierden, den schändlichen Ehebruch und den heillosen Hochmut. Wer die christliche Liebe besitzen will, der muss die Gebote Christi halten. Die Macht der Liebe Gottes, wer vermag sie auszusprechen? Die erhabene Schönheit derselben, wer ist im Stande, sie nach Gebühr genug zu schildern? Die Höhe, zu der die Liebe erhebt, ist unaussprechlich. Die Liebe vereinigt uns mit Gott, die Liebe deckt der Sünden Menge zu. Die Liebe erträgt Alles, mit Langmut duldet sie Alles. Nichts Gemeines, nichts Hochmütiges ist in der Liebe. Die Liebe kennt keinen Zwiespalt, die Liebe empört sich nicht, die Liebe tut Alles in Eintracht. Durch die Liebe gelangten alle auserwählten Gottes zur Vollendung; ohne die Liebe ist nichts Gott gefällig. Aus Liebe zu uns gab der Herr Jesus Christus nach dem Willen Gottes sein Blut für uns hin, und seinen Leib für unsern Leib, und seine Seele für unsere Seele.“
„Seht, Geliebte, wie groß und wunderbar die Liebe, und wie ihre Vollkommenheit mit Worten nicht auszudrücken ist! Wer ist fähig in ihr erfunden zu werden, außer Jenen, welche Gott dessen würdigt? Lasset uns daher beten und flehen, daß wir untadelig zu leben vermögen in der Liebe. Alle Geschlechter bis auf den heutigen Tag sind vorüber gegangen; die in der Liebe Gestorbenen aber besitzen durch die Gnade Gottes die Wohnstätte der Frommen, die bei der Erscheinung des Reiches Christi in ihrer Herrlichkeit offenbar werden. Der allsehende und allwaltende Geist, der Herr der Geister und Gebieter alles Fleisches, Er, der den Herrn Jesus Christus und uns durch ihn zu einem besondern Volk erwählt hat, lasse jeder Seele, die seinen herrlichen und heiligen Namen anruft, zu Teil werden Glauben, Frömmigkeit, Frieden, Geduld, Langmut, Mäßigung, Keuschheit und Weisheit, damit sie ihm wohl gefalle durch den Hohen Priester und Mittler Jesus Christus, durch welchen ihm Ehre sei und Majestät und Macht und Anbetung jetzt und in alle Ewigkeiten der Ewigkeiten. Amen.“ –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 4 Oktober bis Dezember, 1872, S. 320 – S. 323