Das Zeitalter der Revolutionen
Das Pontifikat von Papst Leo XII. (regierte von 1823-1829)
Auf dem Schloß della Genga unweit unter Spoleto wurde am 20. August des Jahres 1760 Hannibal, der Sohn des Grafen Hilarius della Genga geboren, welcher der Nachfolger Papst Pius VII. werden sollte. Nachdem er den ersten Unterricht in der Heimat erhalten hatte, ging Hannibal nach Rom, um sich für den geistlichen Stand vorzubereiten. Im Juni des Jahres 1783 empfing er die Priesterweihe und erhielt unter Papst Pius VI. verschiedene Ehrenämter am päpstlichen Hof. Im Jahre 1793 wurde Hannibal Erzbischof von Tyrus und im folgenden Jahr päpstlicher Gesandter in Regensburg und dann in Köln; er konnte sich aber dort infolge der Kriegsunruhen nicht aufhalten, sondern wohnte gewöhnlich in Augsburg. Durch seine Kenntnisse und Leutseligkeit erwarb er sich die Liebe und Hochachtung aller, besonders des damaligen Kurfürsten Karl Theodor von Bayern. Infolge der Bedrückungen der Katholiken von Seiten der Franzosen war Hannibal genötigt, nach Wien zu gehen. Hier wurde er an der kaiserlichen Residenz mit großer Achtung behandelt. Bei den verschiedenen Unterhandlungen der deutschen Fürsten mit dem heiligen Vater erwarb sich Hannibal große Verdienste. Im März des Jahres 1816 erhielt der tüchtige und erfahrene Mann von Papst Pius VII. den Kardinalshut. Als dieser Papst gestorben war, wurde Kardinal Hannibal am 28. September des Jahres 1823 von 49 Kardinälen gewählt und nahm als Leo XII. die Regierung der Kirche in die Hand. Er war ein Mann von ungewöhnlicher Erfahrung und Weltkenntnis. Vierzig Jahre stand er an der Seite der Päpste und hatte die Gräuel der Revolution, die Tyrannei Napoleons I. miterlebt. Als ihm die Erwählung zum Papst mitgeteilt wurde, fuhr er ganz erschrocken auf und rief: „Brüder, wollt ihr einen Halbtoten zum Papst wählen?“ Doch hörten die Kardinäle auf sein Sträuben nicht, sondern beharrten auf ihrem Entschluss. Der Jubel des römischen Volkes äußerte sich laut; denn der Kardinal Graf von Genga besaß ja schon lange die Liebe und Verehrung der Römer. Die allgemeine Freude verwandelte sich aber sehr bald in bitteren Schmerz; denn der neue Papst fiel nach seiner Krönung in eine schwere Krankheit, so daß er mit den heiligen Sterbesakramenten versehen werden musste. Im Januar des Jahres 1824 gaben ihn die Ärzte für verloren. Nun verlangte er noch, den heiligmäßigen Bischof von Macerata zu sprechen. Der genannte Bischof besuchte ihn, las in seinem Zimmer die heilige Messe und bot bei derselben dem lieben Gott sein eigenes Leben zum Opfer an, wenn er das des heiligen Vaters erhalten wolle. Nach der Messe sagte er: „Gott hat mein Opfer angenommen. Der Papst ist gerettet.“ Leo erhielt seine Gesundheit wieder, der Bischof aber starb.
Den Armen war Leo ein stets treu besorgter Vater, lud sie an seinen Tisch und bediente sie mit eigener Hand. Große Summen wanderten aus seinem Palast in die Hütten der Bedrängten. Um aber nicht etwa die Faulheit und Liederlichkeit zu unterstützen, ernannte Leo eine Kommission von Geistlichen, welche die Austeilung der Gaben besorgen und die wahrhaft Armen aufsuchen mussten.
Der heilige Vater erließ auch strenge Verordnungen gegen die geheimen Gesellschaften der Freimaurer und mahnte zu beständiger Wachsamkeit gegen die protestantischen Vereine, welche fehlerhafte und ungenaue Bibeln im Volk verbreiteten. Er stellte die Zucht und Ordnung in Rom wieder her, beschränkte die Zahl der Gasthäuser und schritt streng gegen Diebe und Räuber ein. Einen besonderen Dank verdient der Papst, daß er den Jesuiten ihre Anstalten, Büchersammlungen und ihre Sternwarte in Rom wieder zurück gab und ihnen ein gesichertes Jahreseinkommen gewährte. In besonderer Weise sorgte Papst Leo für die englische und deutsche Studienanstalt in Rom. Außerdem erließ der heilige Vater einen Aufruf zur Beisteuer für den Wiederaufbau der im Juli des Jahres 1823 abgebrannten St. Paulskirche in Rom; er selbst konnte bei seiner Sparsamkeit und guten Verwaltung eine große Summe Geldes dazu abgeben.
Leo war aber nicht bloß um Rom besorgt; sein Eifer erstreckte sich auf die gesamte Christenheit. Im Juni des Jahres 1824 bat der Papst den französischen König Ludwig XVIII. Um Hilfe gegen die Bedrückten der Katholiken jenes Landes. Ebenso trat er mit dem König der Niederlande, mit Russland, Preußen und Österreich in Verbindung, errichtete im Jahre 1828 das Bistum Basel und besetzte eine Reihe von erledigten Bischofsstühlen. Sehr viel wirkte der heilige Vater für die Missionsländer und vereinigte mehrere Gemeinden im Morgenland wieder mit der römischen Kirche. In der Türkei wurden die katholischen Armenier schwer verfolgt, aus der Hauptstadt vertrieben, ihres Eigentums beraubt und mißhandelt. Papst Leo ordnete öffentliche Gebete für die bedrängten Katholiken des Morgenlandes an und bat den österreichischen und französischen Fürstenhof um Hilfe für die Verfolgten. Im Jahre 1825 wollte der heilige Vater ein feierliches Jubiläum veranstalten, nachdem es im Jahre 1800 wegen der Kriegsunruhen nicht stattfinden konnte. Aber auch diesmal stieß der Papst auf viele Schwierigkeiten. Sein erster Minister fürchtete, es möchten sich geheime Verschwörer, als Pilger verkleidet, in die Stadt schleichen und einen Umsturz anzetteln. Der Schatzmeister geriet in Schrecken, weil er durch das Jubiläum außerordentliche Ausgaben fürchtete. Der König von Neapel protestierte, Österreich verhielt sich schweigend, hellauf lärmten die Protestanten in Deutschland. Papst Leo sah die Schwierigkeiten und sprach: „Dennoch soll das Jubiläum stattfinden.“ Es sollte das Jubiläum zugleich an Dankfest sein für den Sieg über die Feinde der Kirche, ein Jahr der Versöhnung und Gnade. Schon am Himmelfahrts-Tag erschien das päpstliche Schreiben, welches der Christenheit das Jubeljahr verkündigte. Einige Wochen später begannen die Vorbereitungen. Die Kanzeln wurden mit den beredtesten Predigern besetzt, in verschiedenen Sprachen wurde Beichte gehört. Dagegen waren die Theater geschlossen und weltliche Unterhaltungen verboten. Über alle Erwartung groß war der Zudrang der Pilger in Rom, wo die Erzbruderschaft von der heiligsten Dreifaltigkeit allein fast hunderttausend aufnahm. Als die Pilgerscharen aus allen Ländern ankamen, wurden auf den freien Plätzen Predigten gehalten, denen der heilige Vater selbst als einfacher Zuhörer beiwohnte zur Erbauung der Pilger, die über eine solche Demut bis zu Tränen gerührt wurden. Zu Weihnachten dehnte der Papst den Jubiläumsablass auf den ganzen katholischen Erdkreis aus.
Sobald das Jubeljahr geschlossen war, wendete der heilige Vater alle seine Sorge dem Wohl seines Volkes zu; denn die Revolution hatte das Land arm gemacht; die Republikaner in Frankreich hatten für sich gesorgt und die Staatskassen geleert. Durch weise Sparsamkeit gelang es dem Papst bald, mehrere Steuern vermindern zu können. Ja, er legte noch Geld zurück, um den Kirchen die Grundstücke wieder zurück zu kaufen, welche die Franzosen um ein Spottgeld verschleudert hatten. Aber nicht nur dem Steuerwesen gab er eine wohltätige Besserung. Auch das gerichtliche Verfahren und die Prozess-Ordnung wurden vereinfacht. In dieser Weise regierte Papst Leo bis zum Neujahr 1829, da erkrankte er plötzlich sehr bedenklich. Seine Krankheit ertrug er mit englischer Geduld, verlangte die Tröstungen unserer heiligen Religion, verschied sanft und ruhig am 10. Februar des genannten Jahres und fand seine Ruhestätte bei St. Peter. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 713-717