Mystisches Leiden der heiligen Lidwina

Das mystische Leiden der heiligen Lidwina

Es kann nicht streng genug an der Wahrheit festgehalten werden, daß in den übersinnlichen Gebieten, welche durch das Licht des Schauens aufgeschlossen werden, nicht die Seele allein handelnd ist, als wäre sie in Wirklichkeit außer oder ohne den Leib, sondern daß auch hier die Ordnung Gottes unverletzt erhalten bleibt, wonach der leibliche Organismus als das Werkzeug für die seelischen Tätigkeiten zu dienen hat. Diese Wahrheit ist eine Forderung des Glaubens, nach welchem der Mensch nur in so lange verdienstlich, sühnend, stellvertretend wirken kann, als er ein viator, d. h. in und mit dem Leib handelnd ist. Es erhellt dies besonders deutlich aus den Tatsachen, welche von den Biographen der seligen Lidwina berichtet werden. (*)

Die heilige Lidwina liegt im Bett, das Kreuz mit beiden Händen umfassend, in ihrem Leiden und schaut auf den Engel, der ihr eine Blumenzweig überreicht

„Wenn Lidwina – erzählt der Augenzeuge – von dem Besuch der heiligen Orte, wie des Ölgartens und des Kalvarienberges zurückkam, so waren ihre Lippen mit Blasen, Arme und Beine mit Rissen, die Knie mit Stichen bedeckt, und am Lein zeigten sich nicht bloß die Verletzungen durch das Dorngestrüpp, sondern Reste von den Dornspitzen selbst. Sie wurde darüber von ihrem Schutzengel belehrt, daß sie in den Dornen die sichtbaren und handgreiflichen Beweise dafür mitbringe, daß sie nicht im Traum oder nur in der Einbildung, sondern wahrhaftig und mit dem Vermögen sinnlicher, körperlicher Eindrücke an den heiligen Orten gewesen sei. Als sie einmal im Gesicht durch Pfade wandeln musste, welche wegen Schlüpfrigkeit kaum gangbar waren, fiel sie zu Boden, das rechte Bein sich ausrenkend; und aus dem Gesicht zurück gekommen, fand sich ein Auge geschwollen und mit einem blauen Mal bedeckt, und der Schmerz an dem sichtbar verletzten Bein und den anderen Gliedern hielt mit großer Heftigkeit mehrere Tage an. Auf ihren weiten Reisen ward sie bald an Händen, bald an den Füßen verwundet, und der wunderbare Wohlgeruch, der von ihr ausströmte, offenbarte, wohin sie von ihrem Engel geleitet worden. So geschah es also nach göttlicher Ordnung, daß ihre den Leib durchdringende Seele aus der Fülle der Geistesgaben diesem nicht allein die Reste der Tröstungen zuwenden, sondern ihn auch als ihr Werkzeug oder Lasttier auf den Reisewegen an den Leiden Anteil nehmen lassen konnte. Denn die Seele dieser hl. Jungfrau stritt in ihrem Leib und ihr Leib zugleich mit seiner Seele bis zum letzten Todeskampf; sie liefen mit einander auf der Rennbahn; sie mühten sich mit einander als Genossen eines Zeltes. Darum kein Wunder, wenn sie zusammen ihre Reisen machen, mit einander des Trostes genießen, im Herrn frohlocken und mit einander das Vorspiel künftiger Herrlichkeit, die Erstlinge des Geistes, den Genuss am Tisch der Kinder im Tauregen, der vom Himmel fällt, empfangen durften, sie, die ja mit einander auf der Wanderschaft des irdischen Lebensbegriffen waren.“

„Auf allen solchen Reisen war der Engel ihr Begleiter, mit dem sie verkehrte wie ein Freund mit einem Freund. Er erschien ihr stets in hoher Klarheit, welche zuweilen das Licht von tausend Sonnen überstrahlte. An seiner Stirn leuchtete das Zeichen des Kreuzes, damit die Jungfrau nicht von dem bösen Feind getäuscht werde, der sich so gerne als Engel des Lichtes zu kleiden sucht. In der ersten Zeit pflegte sie beim Beginn des Entrücktwerdens auf der Brust eine solche Beengung zu empfinden, daß sie unvermögend wurde Atem zu holen und zu sterben meinte; später aber, da sie an das Entrücktwerden mehr gewohnt wurde, empfand sie nichts dergleichen mehr. Während nun der Geist entrückt war, war ihr Leib tot und leblos auf seiner Lagerstätte, so daß sie eine Berührung nicht empfunden hätte. Zuerst wurde sie von dem Engel in die Kirche von Schiedam vor den Altar der Mutter Gottes geleitet, von wo aus nach kurzem Gebet die Weiterreise angetreten wurde. Die Jungfrau aber, die nie vor Schwäche des Leibes gehen, noch ihr Lager verlassen konnte, erhielt doch oft und mannigfach die Gewissheit, daß sie nicht bloß geistig, sondern auch leiblich entrückt werde. So erzählte sie, daß sie manchmal durch die Gewalt der geistigen Erhebung, so wie sie auf dem Bett liege, mit dem Bett und dem Leib an die Decke ihres Gemaches empor getragen werde. Und wegen der unzähligen körperlichen Verletzungen, welche sie von ihren Reisen zurück brachte, pflegte sie nach den Worten ihres Engels zu sagen, sie glaube, auch leiblich entrückt gewesen zu sein. Wie aber dies geschah, das weiß nur der Engel, der bezeugte, daß es leiblich geschehe, und der zum Beweis der leiblichen Entrückung die körperlichen Verletzungen der Jungfrau anzuführen pflegte.“

Hierbei ist jedoch keineswegs an den ganzen Stoff des Leibes zu denken, als wäre die Jungfrau gerade so, wie sie leibte und lebte, entrückt worden; der Engel wollte nur sagen, daß die Seele in ihrem Ausgehen, oder, wie die selige Hildegardis sich ausdrückte, in ihrem den Lichtstrahlen ähnlichen Sichverbreiten durch die fernsten Räume, nicht außer dem Kontakt des Leibes, also nicht außer der Vereinigung mit jenem feinsten Fluidum, den sogenannten Lebensgeistern, gewesen sei, welche zwar dem Leibe angehören, aber der seelischen Natur so nahe stehen, daß sie das erste, vornehmste Werkzeug zu ihren vitalen Tätigkeiten bilden. Je feiner und vergeistigter der ganze leibliche Organismus der Begnadigten durch jede Art von Mortifikation überhaupt geworden ist, um so durchdringender, feuriger, also der Natur der Seele ähnlicher, sind auch jene Lebensgeister, so daß der im Schauen, wie außer und ohne den Leib, tätigen Seele die Möglichkeit gegeben ist, ohne wirkliche Trennung vom Leib und ohne eigentliche Lockerung des naturnotwendig mit ihm sie verknüpfenden Bandes, also leiblicher Weise, in übersinnliche Verhältnisse einzugehen und ungehindert von den Schranken des Raumes und der Dichtigkeit der Körperwelt in und mit dem Leib zu wirken, d. i. sinnlich vermittelte Handlungen zu vollbringen und sinnlich vermittelte Eindrücke zu empfangen. Die vergeistigten inneren Sinne leisten der erhöhten Kraft der Seele keinen Widerstand mehr, sondern folgen dieser, wohin ihr Hauch sie zieht, so daß der ganze Mensch, nach Leib und Seele, im Schauen tätig ist, leidend und empfangend wirkt, wenn auch die äußeren Sinneswerkzeuge untätig und geschlossen bleiben, und die dichtere Last des Leibes dem Ausstrahlen der feurigen Natur der Seele in so weite Fernen nicht mehr folgen kann. Es ist eine vollständige Umkehrung des natürlichen Verhältnisses zwischen Leib und Seele, wenn man glaubt, als könne die Seele von körperlichen Gegenständen ohne sinnliche Vermittlung Eindrücke empfangen, und gar noch Eindrücke von solcher Mächtigkeit, daß diese erst aus ihr heraus den Weg nach dem Leibe suchen sollten, um in ihm eine neue Impression hervor zu bringen!

(*) Acta SS, die 14. Aprilis vita prior c. V. vita posterior c. III.

aus: K. E. Schmöger CSsR, Das Leben der gottseligen Anna Katharina Emmerich, Zweiter Band, 1873, S. 14 – S. 17

siehe auch die Leiden der Anna Katharina Emmerich: Die Leidensarbeit für die Kirche

Tags: Heilige

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