Kirchenlexikon – Stichwort Heiligsprechung
Kanonisation
Die Unfehlbarkeit der Kirche in der Kanonisation (nicht Beatifikation) eines Heiligen wird von den Theologen einstimmig als eine theologische Konklusion verteidigt (vgl. Bened. XIV. De beatific. Sanctor. 1, 45,28). Einmal haben manche Kanonisations-Bullen einen so autoritativen, den ganzen Erdkreis im Gewissen verpflichtenden Charakter, daß darin die Jurisdiktions- und Lehrgewalt des Papstes sich in ihrer höchsten Stufe aufbieten zu wollen scheint (…). Sodann fällt schwer der Umstand in die Waagschale, daß der Gedanke an die auch nur entfernte Möglichkeit, einen zur Hölle verdammten Menschen zur Ehre der Altäre erhoben und um seine Fürsprache bei Gott angerufen zu sehen, für jedes christliche Gemüt etwas überaus Empörendes und Unerträgliches an sich trägt. Umsonst macht Muratori als Gegengrund geltend, daß der von den Gläubigen möglicherweise einem membrum diaboli erwiesene cultus duliae höchstens auf einen materiellen, also entschuldbaren Irrtum oder Fehltritt hinauslaufe; denn er übersieht, daß die Kirche selbst es wäre, die kraft ihrer obersten Lehr- und Regierungsgewalt die Katholiken verpflichtete, einen Verworfenen für heilig und ein Scheusal für verehrungswürdig zu halten. Die naheliegende Einrede, daß zur erlaubten Anbetung einer Hostie die bloß moralische Gewissheit von ihrer Konsekration gefordert werde, begründet keine Parität; denn zur Sittlichkeit einer Handlung genügt die praktische Gewissheit ihrer Erlaubtheit, wenn die metaphysische nicht zu haben ist. Dagegen besagt die feierliche Heiligsprechung eines Menschen viel mehr: sie erzwingt mit kirchlichen Machtmitteln von der Christenheit das spekulative Urteil, daß diese bestimmte Person im Himmel und nicht in der Hölle sich befindet (vgl. Bened. XIV. 1.c. 1, 43,12). Allerdings kann dieser spekulative Glaube, da er mit wenigen Ausnahmen (vgl. Matth. 11,11; Apg. 7,59f.; 12,2; Offb. 21,14) kein formell geoffenbartes Faktum bezielt, nicht gut als fides divina gekennzeichnet werden, wie einige Theologen wollen; er ist vielmehr, ähnlich wie bei den theologischen Konklusionen und dogmatischen Tatsachen, eine fides ecclesiastica (…). –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 12, 1901, Sp. 267 – Sp. 268
Beatifikation und Kanonisation sind kirchliche Akte, durch welche einem Verstorbenen das Recht zugesprochen wird, von der Kirche verehrt und angerufen zu werden.
I. Beatifikation (Seligsprechung) ist die vom Papst gegebene vorläufige Erklärung, daß jemand um seiner heroischen Tugenden und der durch ihn gewirkten Wunder willen für selig gehalten und als solcher öffentlich angerufen und zum Gegenstand einer besonderen Verehrung gemacht werden dürfe oder solle. Die den Seliggesprochenen hiernach zukommende Verehrung ist beschränkter als die, welche den Heiligen gebührt. Letztere umfaßt siebenerlei: 1. Ihre Anerkennung als Heilige allenthalben in der ganzen Kirche; 2. ihre Anrufung in den öffentlichen Kirchengebeten; 3. die Errichtung von Kirchen und Altären ihnen zu Ehren; 4. die Anrufung derselben bei Darbringung der heiligen Messe und Abhaltung der kanonischen Tageszeiten; 5. die Feier von Festtagen ihnen zu Ehren; 6. die Ausstellung ihrer Bildnisse mit einem Schmuck oder einer Krone um das Haupt u. dgl. zum Zeichen der Heiligkeit; 7. die öffentliche Ausstellung und Verehrung ihrer Körper und Reliquien.
Die Art und Weise, wie von Seiten des apostolischen Stuhles dabei zu Werke gegangen wird, ist vollkommen darauf berechnet, jede Gefahr der Übereilung und jeden, auch den mindesten Zweifel über die Tugenden und Wunder eines verstorbenen Dieners Gottes zu beseitigen, bevor zu der Erklärung geschritten wird, daß er für selig gehalten und als solcher öffentlich verehrt werden dürfe. Es muss nämlich, wenn von einem Bekenner, nicht von einem Märtyrer die Rede ist, vorerst ausgemacht sein, daß er im Rufe heroischer Tugenden und der Wunderkraft gestanden sei, bevor nur der päpstliche Stuhl sich mit der Sache befaßt… Es muss festgestellt sein, daß dem zu Beatifizierenden, wenn er nicht unter einen der oben erwähnten Ausnahmefälle gehört, nicht bereits, im Ungehorsam gegen die Bestimmungen Papst Urbans VIII., eine öffentliche Verehrung erwiesen worden ist. (z. B. selbst wenn durch ihn noch so viele Wunder bewirkt worden wären).
II. Kanonisation (Heiligsprechung) ist die feierliche Erklärung des Papstes, daß ein verstorbener Diener oder eine verstorbene Dienerin Gottes als ein mit Gott in der Herrlichkeit regierender Heiliger (Heilige) anzusehen und in der ganzen Kirche zu verehren sei.
Ob die Unfehlbarkeit der Kirche in der Heiligsprechung de fide sei und deren Leugnung mithin die Note der Häresie verdiene oder ob sie nur sententia communis et certa sei, deren Leugnung der Note der Temerität oder schwererer theologischer Zensuren verfalle, ist Streitfrage. Beide Meinungen gelten als probabel (Heinrich, Dogmatik II, 645ff.) Der Fall, wo einem Verstorbenen ohne die bisher erörterten gesetzlichen Voraussetzungen eine öffentliche Verehrung erwiesen worden ist oder noch wird, gehört nicht hierher; doch mag es nicht überflüssig sein zu bemerken, daß ein solcher Kultus nicht bloß eine offene und strafbare Verachtung der päpstlichen Autorität, sondern auch ein Akt des Aberglaubens (superstitio) ist. Zuweilen beschränkt sich der päpstliche Stuhl, um nicht Aufregung im Volk hervorzurufen, darauf, gegen einen solchen Kultus bloß zu protestieren. Diese Zulassung ist aber nicht als eine Genehmigung anzusehen, und kann nicht als Grundlage einer eigentlichen Beatifikation später benutzt werden. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 2, 1883, Sp. 140 – Sp. 154