Jesus lehrt wiederholt im Tempel (Joh. 8)
1. Das Erbarmen Jesu und das unbarmherzige Richten der Pharisäer. 2. Jesu Selbstzeugnis: „Ich bin das Licht der Welt“ und dessen Gültigkeit. 3. Jesu Hinweis auf seinen Tod und dessen Folgen. 4. Als Lohn des Glaubens verspricht Jesus wahre Erkenntnis und wahre Freiheit. 5. Widerlegung des Wahns der Juden, als wären sie frei. 6. Hinweis Jesu auf sein Verhältnis zu Abraham und Selbstbezeugung seiner ewigen Gottheit.
Die Ehebrecherin
Die Nacht brachte Jesus am Ölberg zu. (1) Frühmorgens kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte es. Da führten die Schriftgelehrten und Pharisäer ein Weib herzu, das im Ehebruch ertappt worden war, stellten sie in die Mitte und sprachen zu Jesus: „Meister, dieses Weib ist auf frischer Tat im Ehebruch ertappt worden. Nun hat uns Moses im Gesetz befohlen, solche zu steinigen (2); was sagst denn du?“ Dies sagten sie aber, um einen Vorwand zur Anklage gegen ihn zu erhalten. (3)
Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf den Boden. (4) Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe zuerst einen Stein auf sie!“ Und er bückte sich abermals und schrieb auf den Boden. Als sie aber seine Worte gehört, gingen sie, von den Ältesten angefangen, einer nach dem anderen, hinaus, und Jesus blieb allein (mit seinen Jüngern und dem Volk) und das Weib, das in der Mitte stand.
Jesus aber richtete sich auf und sprach zu ihr: „Weib, wo sind die, die dich angeklagt haben? Hat dich niemand verdammt?“ Sie sprach: Niemand, Herr!“ Da sprach Jesus: „So will auch ich dich nicht verdammen. Gehe hin und sündige nicht mehr!“ (5)
Jesus lehrt wieder im Tempel
Jesus redete nun wieder mit ihnen (6) und sprach: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wandelt nicht in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (7)
Da sprachen die Pharisäer zu ihm: „Du gibst Zeugnis von dir selbst, dein Zeugnis, dein Zeugnis ist nicht gültig.“ Jesus erwiderte ihnen: „Wenn ich auch von mir selbst Zeugnis gebe, so ist doch mein Zeugnis gültig. Denn ich weiß, woher ich komme und wohin ich gehe; ihr aber wisset nicht (8), woher ich komme oder wohin ich gehe. Ihr richtet nach dem Fleisch; ich aber richte niemand. Und wenn ich richte, so ist mein Gericht wahrhaft, denn ich bin nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat. Es steht in eurem Gesetz geschrieben, dass das Zeugnis zweier Menschen wahr sei. Nun bin ich es, der von sich selbst zeugt, und der Vater, der mich gesandt hat.“
Da sprachen sie zu ihm: „Wo ist dein Vater?“ (9) Er antwortete: „Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; wenn ihr mich kenntet, so würdet ihr wohl auch meinen Vater kennen.“ Diese Worte redete Jesus bei dem Opferkasten im Tempel; und niemand ergriff ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen.
Abermals sprach Jesus zu ihnen: „Ich gehe hin, und ihr werdet mich suchen, aber in eurer Sünde sterben. Wo ich hingehe, dahin könnt ihr nicht kommen.“ (10) Da sprachen die Juden: „Will er etwa sich selbst töten, dass er sagt: Wo ich hingehe, dahin könnt ihr nicht kommen!“
Er aber sprach zu ihnen: „Ihr seid von unten, ich aber bin von oben; ihr seid von dieser Welt, ich aber bin nicht von dieser Welt. (11) Darum habe ich euch gesagt: Ihr werdet in euren Sünden sterben; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin (12), so werdet ihr in eurer Sünde sterben.“ Da sprachen sie zu ihm: „Wer bist du denn?“ Jesus antwortete: „Der Anfang (13), der ich auch zu euch rede. Ich habe vieles über euch zu sagen und zu richten; aber der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört, das rede ich in der Welt.“ (14) Und sie verstanden es nicht, dass er Gott seinen Vater nannte.
Jesus sprach daher zu ihnen: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin, und dass ich von mir selbst nichts tue, sondern nur dasjenige rede, was mich mein Vater gelehrt hat. (15) Ja, der mich gesandt hat, ist mit mir, und der Vater lässt mich nicht allein, weil ich allzeit tue, was ihm wohlgefällig ist.“ Als er dieses sagte, glaubten viele an ihn. (16) Zu diesen sprach er: „Wenn ihr in meiner Rede (im Glauben an meine Lehre) verbleibt, so werdet ihr wahrhaft meine Jünger sein. Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“. (17)
Da entgegneten ihm die Juden: „Wir sind Nachkommen Abrahams und waren nie jemandes Sklaven. Wie sagst du: Ihr werdet frei werden?“ (18) Jesus antwortete ihnen: „Wahrlich, wahrlich, sage ich euch, jeder, der Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde. Der Knecht aber bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn aber bleibt ewig. Wenn euch daher der Sohn frei macht, so werdet ihr wahrhaft frei sein. (19) Ich weiß, dass ihr Söhne Abrahams seid (20); aber ihr sucht mich zu töten, weil mein Wort nicht in euch haftet. Ich rede, was ich bei meinem Vater gesehen habe; und ihr tut, was ihr bei eurem Vater gesehen habt.“
Sie erwiderten: „Unser Vater ist Abraham!“ Jesus sprach zu ihnen: „Wenn ihr Kinder Abrahams seid, so tut auch Abrahams Werke. Nun aber sucht ihr mich zu töten, weil ich euch die Wahrheit gesagt, die ich von Gott gehört habe, das hat Abraham nicht getan. Ihr tut die Werke eures Vaters.“ (21)
Da sprachen sie: „Wir sind nicht aus Buhlerei entsprossen, wir haben Einen Vater, Gott!“
Jesus aber sprach zu ihnen: „Wenn Gott euer vater wäre, so würdet ihr mich leben; denn ich bin von Gott ausgegangen und gekommen (22); denn ich bin nicht von mir selbst gekommen, sondern er hat mich gesendet. Warum erkennt ihr meine Sprache nicht? (23) Weil ihr mein Wort nicht hören könnt. (24) Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach den Gelüsten eures Vaters wollt ihr tun.
Dieser war ein Menschenmörder von Anbeginn und ist in der Wahrheit nicht bestanden (25); denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er Lüge redet, so redet er aus seinem Wesen; denn er ist ein Lügner und der Vater der Lüge. Wenn ich aber die Wahrheit rede, so glaubt ihr mir nicht. Wer aus euch kann mich einer Sünde beschuldigen? (26) Wenn ich euch die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht? Wer aus Gott ist, der hört auf Gottes Wort; darum hört ihr nicht darauf, weil ihr nicht aus Gott seid.“
Da antworteten die Juden: „Sagen wir nicht mit Recht, dass du ein Samariter bist und einen Teufel hast?“ (27) Jesus antwortete: „Ich habe keinen Teufel, sondern ich ehre meinen Vater, ihr aber entehrt mich. Doch ich suche meine Ehre nicht: es ist einer, der sucht und richtet. (28) Wahrlich, wahrlich, sage ich euch, wenn jemand meine Worte hält, so wird er in Ewigkeit den Tod nicht kosten.“ (29)
Da sprachen die Juden: „Nun erkennen wir, dass du einen Teufel hast; Abraham und die Propheten sind gestorben, und du sagst: Wenn jemand meine Worte hält, so wird er in Ewigkeit den Tod nicht kosten. Bist du denn größer als unser Vater Abraham, der gestorben ist? Auch die Propheten sind gestorben. Was machst du aus dir selbst?“
Jesus antwortete: „Wenn ich mich selbst ehre, so ist meine Ehre nichts; mein Vater ist es, der mich ehrt, von dem ihr sagt, dass er euer Gott sei. Doch ihr kennt ihn nicht; ich aber kenne ihn; und wenn ich sagen würde: Ich kenne ihn nicht, so wäre ich ein Lügner gleichwie ihr. Ich kenne ihn und halte seine Worte. Abraham, euer Vater, hat frohlockt, dass er meinen Tag sehen würde; er sah ihn und freute sich.“ (30)
Da sprachen die Juden: „Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt (31) und hast Abraham gesehen?“ Jesus erwiderte: „Wahrlich, wahrlich, sage ich euch: Ehe denn Abraham ward, bin ich!“ (32) Da hoben sie Steine auf, um auf ihn zu werfen (33); Jesus aber verbarg sich (34) und ging aus dem Tempel hinaus.
Anmerkungen:
(1) In Bethanien oder vielleicht auch im Garten Gethsemani am Abhang des Ölbergs gegen Jerusalem.
(2) Lv. 20, 10; Dt. 222, 22.
(3) Eine sehr arglistige Schlinge; denn behandelte Jesus die Ehebrecherin milde, wie die Pharisäer nach seinem sonstigen Verfahren gegen die Sünder vermuteten, so klagten sie ihn der Verachtung des mosaischen Gesetzes an; sprach er dagegen das Todesurteil, wie das Gesetz es erforderte, so kam er in Widerspruch mit der römischen Obrigkeit, die das Recht über Leben und Tod den Juden genommen hatte.
Jesus machte ihre Arglist zu Schanden durch Hinweisung auf dasselbe mosaische Gesetz, das auch gebot, dass bei der Steinigung die Ankläger den ersten Stein zu werfen hätten (Dt. 17, 7), wodurch sie selbst in noch viel gefährlicheren Konflikt mit der römischen Obrigkeit gekommen wären; zugleich verweist ihnen Jesus ihre Härte gegen die Sünder, da sie doch selbst nicht ohne Sünde seien. Ihr Eifer für das Gesetz war im vorliegenden Fall ohnehin nur erheuchelt, da es ihnen bloß darauf ankam, Jesus zu verderben.
(4) Zum Zeichen, dass er auf ihre Frage nicht achte und nicht antworten wolle.
(5) So hat Jesus durch ein Wort Barmherzigkeit geübt, das Gesetz geachtet, die Sünderin befreit, die Heuchelei entlarvt, sich selbst gerechtfertigt. Er steht als Sieger da, seine Feinde fliehen, eine Seele ist gerettet.
(6) „Bei dem Opferkasten im Tempel“, im Vorhof der Frauen, wo am Abend des ersten Tages der Laubhüttenfestoktav auf vier großen, etwa 25 m hohen goldenen Leuchtern mit je vier goldenen Schalen eine Beleuchtung veranstaltet wurde, von der die ganze Stadt in festlichem Glanz erstrahlte.
(7) Wie das Wasserschöpfen am Laubhüttenfest den Heiland veranlasste, von den lebendigen Wasserströmen seiner Gnade zu reden, so veranlasste ihn die Erinnerung an die Lichtfeier, sich als das wahre Licht der Welt zu bekennen, das alle Menschen erleuchtet und ihnen Licht und leben der Gnade und Glorie bringt. Vgl. Seitz, Das Evangelium vom Gottessohn 400 ff.
(8) Jesus stellt hier sein Zeugnis über sich selbst als ein absolut gültiges hin, weil er der Sohn Gottes sei. Letzteres sagt er aber jetzt noch verhüllt, um die Juden nicht zu reizen; verweist ihnen aber, dass sie nur nach dem Fleische, nur äußerlich und oberflächlich, urteilen, sonst könnten sie wohl erkennen, dass sein Zeugnis über sich, wie sie es äußerlich vor sich haben, noch von zwei Zeugen, die sie nicht äußerlich sehen, unterstützt sei, nämlich von dem mit seiner Menschheit verbundenen ewigen Worte und vom Vater, und müssten es folglich (nach Dt. 17, 6; 19, 15) annehmen.
(9) Sie wollen diese Zeugen mit leiblichen Augen sehen. Jesus erwidert ihnen, dass sie dieses Verlangen gar nicht stellen würden, wenn sie ihn kennten, d. h. nicht bloß äußerlich (Joh. 7, 28), sondern wahrhaft nach seiner göttlichen Natur und seinem Verhältnis zum Vater. (Ganz ähnlich ist die Forderung Joh. 14, 8ff: „Zeige uns den Vater“ etc.)
(10) vgl. Joh. 7, 33: „Weil ihr nicht an mich glaubt, werdet ihr keinen Teil an meiner Erlösung und an meinem Reich haben.“ Daran knüpft nun Jesus die Andeutungen über die Art seines Todes, durch den die Juden ihre Verwerfung besiegelten.
(11) Ihr seid durch eure schuldhafte Verblendung gar nicht imstande, zu verstehen, was ich euch sage, um euch zu retten. In dieser Verblendung verwerft ihr euren Messias und Erlöser und werdet dann selbst verworfen.
(12) Dass ich der bin, für den ich mich ausgebe, der Messias und wahre Sohn Gottes. Sie verstehen die Andeutung wohl, daher die Frage: „Wer bist du denn?“
(13) So liest die Vulgata, und man erklärt: Ich bin das ewige Wort des Vaters, durch das alles erschaffen ist, und das sich euch nun offenbart. (Vgl. auch Seitz, Das Evangelium vom Gottessohn 391f.) Der griechische Text wird sehr verschieden erklärt. Die einfachste und wahrscheinlichste Erklärung ist die: Ich bin durchaus das, was ich zu euch rede und wofür ich mich ausgebe.
(14) Ich hätte euch vieles vorzuwerfen; doch will ich euch nur das eine vorhalten, dass ihr an mich ebenso glauben müsstet wie an den, der mich gesandt hat. Damit stellte Jesus sich dem Vater gleich, aber die Juden verstanden es noch nicht.
(15) In der Tat folgte auf den Tod Jesu am Kreuz, zum Teil schon unter dem Kreuz, schnell die Bekehrung eines großen Teils der Juden, teils infolge der Wunder, die beim Tode Jesu, bei seiner Auferstehung, bei der Sendung des Heiligen Geistes etc. geschahen (Mt. 27, 53. 54; Lk. 23, 48; Apg. 2, 22ff. 36ff.; 3, 13ff; 4, 4 etc.), teils durch den innerlichen, wunderbaren Zug der Gnade, der vom Kreuz ausging. (Vgl. Joh. 3, 14; 12, 32)
(16) Unter dem lebendigen Eindruck der inneren Wahrheit seiner Worte in Verbindung mit den Wundern, die er wirkte, glaubten viele an ihn, und er ermahnte sie, in diesem Glauben beharrlich zu sein.
(17) Dieser Glaube gibt euch die Wahrheit, und die Wahrheit wird euch frei machen von dem Wahn falscher Anschauungen, von der Knechtschaft der Sünde und dem ewigen Verderben, dem die Knechte der Sünde verfallen sind. Die Wahrheit wird euch erheben hienieden schon zur „Freiheit der Kinder Gottes“, d. h. zur übernatürlichen religiösen und sittlichen Freiheit, und sie wird euch hinführen dereinst zur vollkommenen Freiheit von allen Banden des Niedrigen, Irdischen und Vergänglichen im ewigen Leben.
(18) Eine sehr stolze, aber unwahre Entgegnung. Seit fast 600 Jahren dienten sie nacheinander den Babyloniern, Persern, Griechen (Alexander d. Gr.; den Ptolemäern; den Seleukiden), Römern, und schon in Ägypten waren sie Sklaven gewesen. Freilich sträubten sie sich stets gegen das Joch der Fremdherrschaft. Nur einmal erkannten sie dieses Joch feierlich an, als sie in blinder Wut Jesus vorwarfen und schrieen: „Wir haben keinen König als den Kaiser!“ Jesus verweist ihnen ihr Pochen auf ihre leibliche Abstammung von Abraham und weist sie hin auf die wahre Freiheit, die er, ihr Erlöser, ihnen bringen wollte.
(19) Dies ist eben die Wahl, die Israel hatte, den Erlöser anzuerkennen und durch ihn zu jener wahren Freiheit erhoben zu werden, oder ihn in unseliger Verblendung zu verwerfen, Sklave der Sünde und des Irrtums zu bleiben und aus dem Hause Gottes, aus dem Reich des Messias, ausgeschlossen zu werden.
(20) Dem Fleische, der Abstammung nach; aber der Gesinnung nach so wenig (vgl. Röm. 4, 11. 12. 16; Gal. 3, 7), dass ihr in eurer ungläubigen Verstocktheit mich sogar zu töten sucht.
(21) Jetzt erkannten sie, dass Jesus von einer geistigen Vaterschaft rede, und protestierten sogleich gegen die Andeutung, dass sie nicht Kinder Gottes seien wie Abraham. Buhlerei bezeichnet den Götzendienst, das Heidentum.
(22) Ich bin von Gott ausgegangen von Ewigkeit, und zu den Menschen gekommen in der Zeit. (Vgl. Joh. 16, 27. 28; 17, 8)
(23) Als eine himmlische, göttliche Sprache.
(24) Weil ihr verstockt seid. Jesus hatte ihnen alle Beweise der Wahrheit seiner Worte gegeben, die sie vernünftigerweise fordern konnten. Nur ihr Hochmut, ihr Neid und ihre Bosheit hinderten sie, dieselbe anzuerkennen. Dies spricht Jesus in den folgenden Worten ebenso klar und bestimmt als ernst abmahnend aus.
(25) Im Paradies und seitdem immer. Lüge und Gewalttat waren stets die Waffen der Feinde der Kirche Gottes. (Vgl. Weish. 2, 24. 25)
(26) Auch die Entschuldigung habt ihr nicht, dass mein Leben nicht meiner Lehre entspreche. Nur die Heiligkeit Gottes selbst konnte so boshaften und so erbitterten Feinden gegenüber eine solche Frage stellen. (Vgl. Hebr. 7, 26; 1. Petr. 2, 22; 1. Joh. 1, 8) Man beachte auch, dass Jesus, der sich demütig von Herzen nennt und der es auch war, in anderen zwar mächtig das Sündenbewusstsein zu erregen weiß, sich selbst aber nie einschließt, sondern immer ausschließt, wenn von Sünden oder Schulden die Rede ist: Das einzige Mal, wo er sagt: vergib uns unsere Schulden“, belehrt er eben nur die Jünger, wie sie beten sollen.
(27) Außerstande, der Wahrheit mit Gründen zu widerstehen, greifen sie zu den größten Schmähungen, nennen Jesus einen Samaritaner und einen vom Teufel Besessenen. Nur das letztere widerlegt Jesus, nicht das erstere, um anzudeuten, dass er kein Volk verachte und von seinem Heil ausschließe. (Vgl. Apg. 10, 35) Jene Schmähung gibt übrigens dem Heiland Anlass, im folgenden sein Verhältnis zu Abraham dahin darzulegen, dass er der von Abraham erwartete Erlöser, Abrahams Herr und Gott sei.
(28) Durch meine Worte und Vorwürfe vertrete ich nur die Sache Gottes; ihr dagegen antwortet mir mit gemeiner Beschimpfung. Doch auf letzteres achte ich nicht; die Vergeltung kann ich füglich meinem Vater überlassen.
(29) D. i. der wird bewahrt bleiben vor dem geistigen Tod durch die Todsünde und vor dem ewigen Tod in der Hölle; und auch der leibliche Tod wird für den, der in seiner Seele das übernatürliche Leben der Gnade und in diesem den Keim der Glorie in sich trägt, nicht sowohl ein Sterben, als vielmehr der Durchgang zu einem neuen, ewig seligem Leben sein. Dieses Leben wird zunächst der Seele und mit der allgemeinen Totenauferstehung auch dem Leibe zuteilwerden, so dass dann der ganze Mensch in himmlischer Herrlichkeit und Verklärung ewig leben wird. (Vgl. Joh. 5, 24)
(30) Abraham lebte der freudigen Erwartung, dass ich als Erlöser kommen würde (vgl. Gn. 12, 3; 18, 18; 26, 4; Sir. 44, 25; Apg. 3, 25; Gal. 3, 8); er hat auch wirklich den Tag meiner Menschwerdung und Geburt in der Vorhölle mit Jubel vernommen. Andere verstehen unter dem „Tag Christi“ die ganze Zeit seiner Erscheinung und Wirksamkeit auf Erden, andere speziell die Zeit seiner messianischen Wunderwirksamkeit.
(31) Nicht ein halbes Jahrhundert gegen zwei Jahrtausende!
(32) Jesus sagt nicht etwa bloß: „… bin ich schon gewesen“, sondern „… bin ich“, und bezeichnet sich so als den ewigen Gott selbst, in dem es keine Vergangenheit und Zukunft gibt, als Jahwe, den Seienden. – Vgl. Seitz, Das Evangelium vom Gottessohn 392f.
(33) Wegen angeblicher Gotteslästerung. (Lv. 24, 15. 16) Steine waren für den Umbau des Tempels, der damals noch fortgesetzt wurde, genug in der Nähe.
(34) Er entzog sich ihnen in wunderbarer Weise wie einst bei Nazareth. –
aus: Schuster/Holzhammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Bd. 2, 1910, S. 324 – S. 329
Bildquellen
- Pieter_Bruegel_the_Elder_-_Christ_and_the_Woman_Taken_in_Adultery_-_WGA03469: wikimedia