Jesus auf dem Fest der Tempelweihe

Jesus auf dem Fest der Tempelweihe (Lk. 13, 22; Joh. 10, 22-42)

1. Die Forderung der Juden: „Wenn du Christus bist, so sage es uns offen heraus.“ 2. Der Heiland weist darauf hin, dass seine Werke die Antwort auf diese Frage geben. 3. Er bezeugt sich als wesensgleichen Gottessohn. 4. Um der „Gotteslästerung“ willen wollen die Juden ihn steinigen; er aber geht nach Bethanien am Jordan.

Jesus durchzog lehrend die Städte und Flecken und nahm seinen Weg nach Jerusalem. Dort feierte man das Fest der Tempelweihe (1), und es war Winter.

Jesus wandelte im Tempel, in der Halle Salomons, da umgaben ihn die Juden und sprachen:

„Wie lange hältst du uns hin? Wenn du Christus bist, so sage es uns offen heraus.“ Jesus antwortete ihnen: „Ich sage es euch, und ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich im Namen meines Vaters wirke, sie geben Zeugnis von mir (2); aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen (3). Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben; und sie werden nicht verloren gehen in Ewigkeit, und niemand wird sie entreißen aus meiner Hand. (4) Was mir mein Vater gegeben hat (5), ist größer als alles, und niemand kann sie entreißen aus der Hand meines Vaters. Ich und der Vater sind eins.“

Da hoben die Juden Steine auf, um ihn zu steinigen.

Jesus entgegnete ihnen (6): „Viele gute Werke habe ich euch gezeigt von meinem Vater, wegen welches dieser Werke steinigt ihr mich?“ Die Juden erwiderten ihm: “Wegen eines guten Werkes steinigen wir dich nicht, sondern wegen der Gotteslästerung, weil du, da du doch ein Mensch bist, dich selbst zu Gott machst.“

Jesus antwortete ihnen: „Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben: Ich habe gesagt, ihr seid Götter. (7) Wenn es nun diejenigen Götter nennt, an die die Rede Gottes ergangen ist, und die Schrift nicht aufgehoben werden kann, wie könnt ihr zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat, sagen: Du lästerst Gott! Weil ich gesagt habe: Ich bin der Sohn Gottes? Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, so möget ihr mir nicht glauben; wenn ich sie aber tue, und ihr mir nicht glauben wollt, so glaubt den Werken, auf dass ihr erkennt und glaubt, dass der Vater in mir ist, und ich im Vater bin.“ (8)

Da suchten sie ihn zu ergreifen; er aber entging ihren Händen und ging wieder jenseits des Jordan an den Ort, wo Johannes zuerst getauft hatte (9), und blieb daselbst. Und viele kamen zu ihm und sprachen: „Johannes hat zwar kein Wunder gewirkt; aber alles, was Johannes von diesem gesagt hat, ist wahr.“ (10) Und viele glaubten an ihn.

Anmerkungen:

(1) Auch „Fest der Lichter“ genannt, am 25. des Monats Chislov, also im Dezember; es dauerte acht Tage und wurde sehr feierlich begangen zum Andenken an die Reinigung des Tempels durch Judas Makkabäus.

(2) Sie fragten nicht, um sich belehren zu lassen, sondern um eine Gelegenheit zur Anklage gegen Jesus zu finden.

Denn wenn er geradezu sagte: „Ich bin Christus!“, dann konnten sie ihn den Römern als Feind ihrer Herrschaft überliefern, da die Juden im Messias einen weltlichen König erwarteten, und die Römer dies wussten. Sagte er aber nicht: „Ich bin Christus“, dann erschien ihr Unglaube berechtigt, und sie konnten neue Verdächtigungen beim Volk ausstreuen. Die ewige Weisheit aber zerreißt das Gewebe ihrer Bosheit. Ohne zu sagen, was sie zu hören wünschten, lässt er sie hören, was sie zum Glauben verpflichtet und sagt zugleich deutlich genug, wer er sei. Er tut es mit solcher Kraft, dass sie in Ermangelung von Gegenständen nach Steinen greifen.

(3) Insofern euch nämlich alle Glaubenswilligkeit fehlt. Wie die „Liebe zur Wahrheit Bedingung des Glaubens“ ist, erörtert sehr schön Mausbach, Kernfragen christlicher Welt- und Lebensanschauung 28f.

(4) Aus dem, was ich den Meinigen verheiße, könnt ihr entnehmen, wer ich bin.

(5) Was ich vom Vater habe, d. i. meine göttliche Natur und Wesenheit, ist größer als jede andere Wesenheit und Macht, weil sie eben eine göttliche ist. Daraus folgt, dass die Meinigen so wenig aus meiner als aus des Vaters Hand entrissen werden können; es ist dieselbe göttliche Allmacht, mit der der Vater, wie die, mit der ich sie halte und bewahre. Denn ich und der Vater sind eins, einer und derselben göttlichen Natur und Wesenheit, darum auch derselben Allmacht etc. –

Es ist ganz unmöglich, hier, in diesem Zusammenhang, diese Worte bloß von einer sog. moralischen Einheit, d. h. bloß von einer Übereinstimmung des Willens, zu verstehen, da hiervon gar keine Rede ist, sondern von der gleichen Allmacht etc. So verstanden es auch die Juden, darum wollten sie Jesus als Gotteslästerer steinigen. (Nach Lv. 24, 14ff) –

Der hl. Augustinus bemerkt: „Durch das Wort eins bezeichnet der Herr die gleiche göttliche Natur, durch das Wort sind die Verschiedenheit der göttlichen Personen.“

(6) Wenn Johannes der Täufer klar und bestimmt auf die Frage der Juden antwortete: „Ich bin nicht Christus“, um wie viel mehr musste Jesus sagen: „Ich bin nicht Gott, nicht der Sohn Gottes“, wenn er es nicht wahrhaft und wesenhaft war! Allein er lässt seine Zuhörer bei der Auffassung seiner Worte, ja er bestärkt sie darin durch Hinweis darauf, dass ihm der Name „Gott“, „Sohn Gottes“ in viel höherem Sinne zukomme als allen, denen dieser Name in der Heiligen Schrift beigelegt werde, nämlich, wie besonders die letzten Worte zeigen und die Juden sehr wohl verstanden, im wahren und eigentlichen Sinn.

(7) Die Beweisführung Jesu gestaltet sich so: Wenn die Schrift, deren göttliche Autorität ihr alle anerkennt, schon die Richter und Fürsten der Erde (z. B. in Ps. 81, 6) „Götter“ nennt, um sie zu erinnern, dass sie Gottes Stellvertreter sind, wie könnt ihr es da mir als Gotteslästerung anrechnen, dass ich, vom Vater zum Amt und Beruf des Messias bestimmt und als „der Heilige Gottes“ in die Welt gesandt und als solcher beglaubigt, mich Sohn Gottes nenne? Jesus nimmt hier mit aller Bestimmtheit ein vorweltliches Sein beim Vater vor seiner Sendung in die Welt für sich in Anspruch. Vgl. Seitz, Das Evangelium vom Gottessohn 255f.

(8) Diese Worte sind ganz gleichbedeutend mit den früheren: „Ich und der Vater sind eins“, und wurden auch von den Juden grade so aufgefasst.

(9) Nach „Bethanien am Jordan“, im Gegensatz zu Ännon, wo er später getauft hatte. Jesus wusste, dass er hier, wo die Erinnerung an Johannes und sein Zeugnis noch lebendig war, das Heil vieler Seelen wirken würde, was auch geschah.

(10) Es wurde ja durch die zahlreichen und großen Wunder Jesu selbst bestätigt. –
aus: Schuster/Holzhammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Bd. 2, 1910, S. 354 – S. 356

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