Reden Jesu am Laubhüttenfest zu Jerusalem (Joh. 7, 11-53)
1. Verschiedenes Gerede über den Heiland vor seinem Erscheinen beim Fest. Jesu Erscheinen. 2. Eine Gruppe von Festteilnehmern verwundert sich über Jesus als Lehrer, der keinen Lehrmeister hat. Jesus begründet die Göttlichkeit seiner Lehre und rechtfertigt sich gegen den Vorwurf der Sabbatschändung. 3. Eine andere Gruppe versagt ihm den Glauben ob seiner vermeintlichen Herkunft. Jesus betont seinen göttlichen Ursprung und seinen baldigen Hingang zum Vater. 4. Das Selbstzeugnis Jesu am letzten Tag des Festes und dessen Wirkung auf das Volk und den Hohen Rat.
Endlich kam Jesus nach Jerusalem. Die Juden hatten ihn bereits auf dem Fest gesucht, und unter dem Volk war viel Redens von ihm; denn einige sagten: „Er ist gut“; andere aber sprachen: „Nein! Sondern er verführt das Volk.“ (1) Doch sprach niemand öffentlich von ihm aus Furcht vor den Juden. (2) als aber das Fest schon halb vorüber war, ging Jesus in den Tempel hinauf und lehrte. Die Juden sprachen untereinander mit Verwunderung: „Wie versteht dieser die Schrift, da er sie nicht gelernt hat?“ Jesus entgegnete ihnen:
„Meine Lehre ist nicht mein, sondern dessen, der mich gesandt hat (3) Wenn jemand dessen Willen tun will, so wird er innewerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich aus mir selbst rede (4). Wer aus sich selbst redet, der sucht seine eigene Ehre; wer aber die Ehre dessen sucht, der ihn gesandt hat, der ist wahrhaft, und es ist keine Ungerechtigkeit (5) in ihm. Hat euch nicht Moses das Gesetz gegeben? Und niemand von euch hält das Gesetz. Warum sucht ihr mich zu töten?“ (6) Das Volk (7) antwortete: „Du hast einen Teufel!“ (8) „Wer sucht dich zu töten?“ Jesus antwortete ihnen: „Nur ein Werk habe ich getan, und ihr alle verwundert euch.“ (9)
„Indessen Moses hat euch die Bescheidung gegeben (nicht als ob sie von Moses herkomme, sondern von den Vätern), und ihr beschneidet den Menschen am Sabbat. Wenn nun ein Mensch am Sabbat die Beschneidung empfängt, ohne dass das Gesetz Mosis verletzt wird, wollt ihr da über mich zürnen, dass ich am Sabbat einen ganzen Menschen gesund gemacht habe? (10) Richtet nicht nach dem Schein, sondern fällt ein gerechtes Urteil!“
Da sprachen einige von Jerusalem (11): „Ist das nicht der, den sie töten wollen? Siehe, er redet öffentlich, und sie sagen ihm nichts. Heben denn die Vorsteher des Hohen Rates wahrhaft erkannt, dass dieser Christus ist? Doch wir wissen ja, woher dieser ist; (12) aber wenn Christus kommen wird, weiß niemand, woher er ist.“ (13) Hierauf rief Jesus im Tempel, lehrte und sprach: „Wohl kennt ihr mich und wisset, woher ich bin; aber von mir selbst bin ich nicht gekommen, sondern der Wahrhaftige ist es, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt. (14) Ich kenne ihn; denn ich bin von Ihm, und er hat mich gesandt.“
Da suchten sie ihn zu ergreifen; aber niemand legte Hand an ihn; denn seine Stunde war noch nicht gekommen.
Es glaubten aber viele von dem Volk an ihn und sagten: „Soll denn Christus, wenn er kommt, mehr Wunder tun, als dieser tut?“
Als das die Pharisäer hörten, schickten sie und die Hohenpriester Diener aus, um ihn zu ergreifen. Jesus aber sprach zu ihnen und zu den versammelten Juden: „Noch eine kurze Zeit bin ich bei euch, und ich gehe zu dem, der mich gesandt hat. (15) Ihr werdet mich suchen (16), aber nicht finden; und wo ich bin (17), dahin könnt ihr nicht kommen.“ Da sprachen die Juden untereinander: „Wo will dieser hingehen, dass wir ihn nicht finden können? Will er etwa unter die (in allen Ländern) zerstreuten Heiden gehen und die Heiden lehren?“ (18)
Am letzten Tag des Festes (19) aber trat Jesus auf und rief: „Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, aus dessen Innerem werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.“ (20) Das sagte er aber von dem Geist, den diejenigen empfangen sollten, die an ihn glauben würden; denn der Heilige Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.
Da sprachen einige aus dem Volk: „Dieser ist wahrhaftig der Prophet!“ (21) Andere sagten: „Dieser ist Christus!“ Einige aber sprachen: „Soll denn Christus aus Galiläa kommen? Sagt nicht die Schrift, dass Christus vom Geschlecht Davids kommt und von dem Flecken Bethlehem, wo David war?“ (22) So entstand wegen Jesus eine Spaltung unter dem Volk. Einige wollten ihn auch ergreifen; aber niemand legte Hand an ihn. (23)
Die Diener kehrten vielmehr zu den Hohenpriester und Pharisäern zurück; diese fragten: „Warum habt ihr ihn nicht hergebracht?“ Jene antworteten: „Niemals hat ein Mensch so geredet die dieser!“ Da sprachen die Pharisäer: „Seid etwa auch ihr verführt? Glaubt denn jemand von den Vorstehern des Hohen Rats oder den Pharisäern an ihn? Aber dieses Volk, das vom Gesetz nichts versteht, es ist verflucht!“ (24) Da sprach Nikodemus, derselbe, der früher nachts zu Jesus gekommen und einer von ihnen (25) war: „Verurteilt denn unser Gesetz einen Menschen, wenn man ihn nicht zuvor gehört und sein Tun untersucht hat?“ Hierauf erwiderten sie: „Bist etwa auch du ein Galiläer? (26) Durchforsche die Schrift und überzeuge dich, dass aus Galiläa kein Prophet aufsteht.“ (27)
Dann gingen sie unwillig nach Hause.
Anmerkungen:
(1) So redet man, bemerkt der hl. Augustin, noch alle Tage von seinen Dienern. Sowie einer mit außerordentlichen Gaben begabt erscheint oder in der Tugend ungewöhnliche Fortschritte macht, dann sagen die einen: „Er ist gut“; die anderen: „Er ist ein Betrüger.“ Aber die ihn loben, reden leise; die Tadler dagegen schreien aus vollem Hals. (Tract. In Ioann. 28, 11)
(2) Die Gutgesinnten fürchteten sich vor dem Hohen Rat, Jesus laut in Schutz zu nehmen.
(3) Die Lehre, die ich euch vorlege, ist nicht meine – wie ihr wähnt, eines bloßen Menschen – Lehre, sondern sie ist göttlichen Ursprungs.
(4) Erster Grund für den göttlichen Ursprung dieser Lehre: Wer immer von dem aufrichtigen Streben beseelt ist, Gottes heiligen Willen zu erfüllen, wie er sich ausspricht im Naturgesetz und den zehn Geboten, der wird erkennen, dass meine Lehre ihn damit nicht nur nicht in Widerspruch bringt, sondern dass sie ihn zur vollkommensten Erfüllung dieses göttlichen Willens emporzuheben geeignet ist.
(5) Zweiter Grund: Freiheit von jedweder irdischen Ehr- und Selbstsucht Jesu und sein alleiniges Streben, Gottes Ehre und Verherrlichung zu erzielen. Wer so, wie Jesus, mit hingebendster Aufopferung bis zum Tod nur einzig und allein Gottes Ehre und Verherrlichung sucht, dient in allem, was er lehrt, der Wahrheit, und frevelhafte Handlungen sind ihm fremd.
(6) Der Grund, weshalb die Juden die Göttlichkeit der Sendung und Lehre Jesu nicht erkennen, obwohl seine Sendung wie seine Lehre unverkennbar das Gepräge der Göttlichkeit an sich trägt, liegt darin, dass es ihnen an aufrichtigem Streben fehlt, den Willen Gottes, wie ihn Moses als Gottes Gesandter im Gesetz verkündet hat, zu erfüllen. Beweis dafür ist der Mordanschlag, den der Hohe Rat gegen Jesus im Schilde führt.
(7) Die gewöhnlichen Leute, namentlich die Fremden, die von den Mordanschlägen des Hohen Rates noch nichts wussten.
(8) Du musst besessen sein, dass du so Unglaubliches annimmst.
(9) Jesus denkt an die Heilung des 38-jährigen Kranken, auf Grund deren ihn die Juden der Sabbatschändung beschuldigten und ihn zu töten suchten. (Vgl. Joh. 5, 18)
(10) Jesus weist glänzend den Vorwurf der Sabbatschändung zurück. Im Gesetz Mosis, sagt der Heiland zu seinen Anklägern, ist die Beschneidung der Knaben für den achten Tag nach der Geburt, ebenso wie der Sabbat als Ruhetag vorgeschrieben. Wenn nun aber der achte Tag auf einen Sabbat fällt, so beschneidet ihr das Kind unbedenklich. Ihr stellt also das Gesetz der Beschneidung, die wegen der damit verbundenen Heilung der Wunde auch ein Heilakt ist, über das Sabbatgebot. Wie könnt ihr da sagen, dass ich das Sabbatgesetz verletze, wenn ich am Sabbat mit einem einfachen Wort meines Mundes nicht bloß eine teilweise, sondern eine gänzliche Heilung vornehme.
(11) Die schon irgendetwas von den Anschlägen seiner Feinde gegen ihn gehört hatten.
(12) Wir kennen ja seine Herkunft, seine Eltern. (Vgl. Joh. 6, 42) – „Dieser“ sagten sie in verächtlichem Sinne.
(13) Die Abstammung des Messias aus dem Geschlecht Davids und Bethlehem als Ort seiner Geburt (Mich. 5, 2) waren in den Weissagungen klar enthalten. Aber über seine nähere Herkunft hatten sich wohl im Anschluss an Prophetenworte, die den göttlichen Ursprung des Messias aussagen (Is. 53, 8 u.a.), mancherlei unklare und unwahre Meinungen gebildet.
(14) Ihr kennt mich äußerlich, ihr kennt auch meine Taten und Wunder, aus denen ihr erkennen müsstet, dass ich mehr bin, als meine Geburt und Herkunft, soweit sie euch bekannt ist, andeutet; dass ich vielmehr das bin, was ich sage: „Von mir selbst bin ich nicht gekommen etc.“, d. h. ich bin der verheißene Messias, von dem ihr eben geredet habt. Die Juden verstanden dies wohl; darum suchten sie ihn zu ergreifen.
(15) Im Hinblick auf die Vorkehrungen, welche die Synedristen treffen, um ihn gefangen zu nehmen, redet Jesus mit göttlicher Ruhe und Hoheit von seinem baldigen Hingang zum Vater.
(16) Ihr werdet den Messias suchen, nachdem ihr mich verworfen; aber ihr werdet ihn nicht finden, vielmehr von seinem Reich ausgeschlossen sein. (Vgl. Joh. 5, 43)
(17) Wo ich allzeit bin und dann nach meinem Erlösungstod sein werde, in der himmlischen Glorie.
(18) Eine andere Vermutung sprechen sie später aus. (Joh. 8, 22)
(19) Anschließend an die Zeremonie des Wasserschöpfens. Es wurde nämlich am Laubhüttenfest mit großer Feierlichkeit und großem Jubel Wasser aus der Quelle Siloë geschöpft und mit dem Trankopfer vermischt. Der Name der Quelle, Siloë (hebr. Schilóach), d. i. der Gesandte, erinnert an einen Namen des Messias, „der gesandt werden soll“ (Gn. 49, 10), und der die Gnadenströme bringen sollte, die diese Quelle vorbedeutete. Denn von jeher war diese Quelle, am Fuße des Tempelberges entspringend, mit ihrem frischen, unerschöpflichen, ruhig dahinfließenden Wasser ein Bild der dem Hause Davids und durch dieses dem Volk Israels verliehenen und verheißenen Gnaden und Segnungen, die namentlich im „Sohn Davids“, im Messias, in ganzer Fülle über Israel kommen sollten.
(20) Wer an Jesus glaubt, wird die Gnadenfülle des Heiligen Geistes derart empfangen, dass sein ganzes Wesen und Leben davon erfüllt und er selbst wiederum eine Quelle des Heiles für andere wird. Jesus redet nicht von vereinzelter Mitteilung des Heiligen Geistes, wie sie dem greisen Simeon, Zacharias, Elisabeth, Johannes dem Täufer geworden, sondern von der Sendung desselben für die ganze Menschheit nach seiner Himmelfahrt, von der auch die Propheten geredet. (Vgl. Joel 2, 28; Is. 12, 3; 44, 3; 55,1; Ez. 36,25; 47, 1ff etc.)
(21) Den Moses verheißen, der Messias.
(22) Dass der Messias in Galiläa auftreten werde, hatte Isaias (9, 12) ausdrücklich gesagt; aber auch die Weissagung, dass er in Bethlehem geboren werde, war an Jesus erfüllt.
(23) Warum? Sehen wir aus dem Folgenden; die göttliche Wahrheit, die aus Jesus sprach, und sein ganzes Auftreten band ihnen die Hände.
(24) Eine Anspielung auf Dt. 27, 26: „Verflucht sei, wer nicht in den Worten des Gesetzes bleibt.“ Allein der Fluch traf sie selbst, weil das Gesetz vom Messias sprach, und sie ohne Untersuchung den verurteilten, der mir Berufung auf das Gesetz und die Propheten und so viele Wunder sich als den Messias erklärte und erwies. Das hielt ihnen Nikodemus vor, auf die Vorschriften hindeutend, die ein genaues Verhör vor der Verurteilung fordern. (Vgl. Dt. 17, 8ff; 19, 15; Nm. 35, 30)
(25) Mitglied des Hohen Rates
(26) Ein Anhänger Jesu, des Galiläers.
(27) Eine in der Leidenschaft ausgesprochene unwahre Behauptung; denn Elias, Jonas und Nahum waren jedenfalls aus Galiläa, und vom Messias war bestimmt geweissagt, dass er seine Wirksamkeit in Galiläa entfalten werde. –
aus: Schuster/Holzhammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Bd. 2, 1910, S. 320 – S. 324
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