Liturgische Betrachtung über den Passionssonntag (Joh. 8, 46-59)
Die liturgische Messfeier des Passionssonntags
Mit dem heutigen Sonntag tritt Christus in Seinem Opferleiden und Opfertod in den Vordergrund.
Die Kirche geht in zartem, liebendem Verstehen und Empfinden in Sein Leiden und Sterben ein. Sie legt die Trauerkleider an. Sie verhüllt ihren Schmuck, die Kreuze und Bilder, sie unterlässt in der Feier der heiligen Messe jedes „Ehre sei dem Vater“. Im Brevier wird die laufende Schriftlesung aus den Büchern Mosis unterbrochen. Stattdessen tritt der Prophet Jeremias auf den Plan, das Vorbild des leidenden Christus. „Aus dem Rachen des Löwen rette mich, Herr.“ So lautet der immer wiederkehrende Fleh- und Hilferuf. Die Kirche lebt ganz in der liebenden Teilnahme am Leiden und Sterben des Erlösers. Aus dieser seelischen Verfassung der Kirche heraus muss die Messliturgie der Passionszeit gewertet und miterlebt werden.
1. Gleich der Introitus versetzt uns in den Anblick des Hohenpriesters Christus am Fuße des Kalvaria. Wir sind Zeugen Seines Flehens und Seiner tiefen Beklemmung: „Schaff Recht mir, Gott, und führe meine Sache gegen ein unheiliges Volk“, das mich zu verderben gedenkt. Aber wir bleiben nicht bloß Zeugen des Ringens Christi, wir wissen uns eins mit Ihm, wir mitsamt der ganzen heiligen Kirche identifizieren uns mit Ihm, wir machen Seine Not zu unserem Gebet. Ein gewaltiges Rufen Christi und Seiner Kirche, das sich in den ernsten Melodien des Kyrie eleison und in der Oration zum Himmel emporarbeitet.
2. Christus tritt Seinen schweren Opfergang an. Er tritt nicht wie der Hohepriester des Alten Bundes mit dem Blut von Tieren, mit dem fremden Opferblut vor Gottes Angesicht hin, sondern im priesterlichen Ornat des eigenen Blutes, das Er bis auf den letzten Tropfen hingibt. Er bringt sich selbst als ein unbeflecktes, heiliges Opfer dar, das den Vater mit uns Menschen versöhnt und eine neue Menschheit schafft: in der heiligen Kirche (Lesung). Es ist kein leichter Gang, ein Gang voll der Qual und Seelennot. Aus ihr heraus betet Christus und beten wir mit ihm die rührenden Worte des Graduale und Tractus. „O Herr, errette mich von meinen Feinden!“
Im Evangelium umringen sie Ihn, verdächtigen und schmähen sie Ihn; ja sie heben bereits Steine wider Ihn auf. Aber „Jesus verbarg sich und ging hinweg aus dem Tempel“. Ein bedeutsames Ereignis. Er verlässt die Synagoge, die Seine Person und Sein Wort ablehnt und von sich stößt, und wendet sich der Kirche des Neuen Bundes zu. Sie hört sein Wort und wird Seines Lebens teilhaft: „Wenn jemand Mein Wort hält, wird er den Tod nicht schauen in Ewigkeit.“ Die heilige Kirche, wir wollen Sein Wort halten und bejahen diesen unseren Willen in einem kräftigen „Credo – ich glaube“, und ich will leben, was ich glaube. „Das tue an Deinem Knecht, dass ich lebe Deine Gebote halte“ (Offertorium).
3. Nun vollzieht Er auf unserem Altare in wirklicher, wennschon unblutiger und geheimnisvoller Weise Seinen Erlösertod. Wir folgen Ihm. Wir teilen Seinen Todesgang in ebenso geistig-wirklicher wie geheimnisvoller, innerlich verborgener Weise. Wir erwarten und begrüßen Ihn dankbaren Herzens als unsere reine, heilige, unbefleckte Opfergabe, die wir der unendlich erhabenen Gottheit stellvertretend für uns, als Gabe des Dankes, der Huldigung, der Fürbitte, der Sühne übergeben.
Aber wir tun ein Zweites. Wir lassen Ihn nicht allein vor den Vater hintreten und sich opfern. Wie Er gehen auch wir den Todesgang und treten „mit dem eigenen Blute“ in das Allerheiligste ein, vor Gottes Angesicht. Wie die Substanz des Brotes und Weines aufhört zu sein, gleichsam stirbt, so hören auch wir, ein Mitopfer mit Christus geworden, auf, der alte Mensch zu sein. Wir ziehen den neuen Menschen an, wir leben neue Gedanken, verfolgen neue Ziele, leben ein neues, ganz in Christus aufgegangenes Leben. Wir sind Geopferte geworden, Gott Zugehörige, in die Welt Gottes hineingehoben. Mit Christus sind wir der Sünde gestorben und leben heute ganz für Gott (Röm. 6, 11).
Dazu gibt uns der Vater in der heiligen Kommunion Seinen eigenen Sohn. In der Kraft der heiligen Kommunion werden wir das große Werk leisten können, zu dem uns die Mitfeier des heiligen Opfers verpflichtet.
Passionssonntag – Der Hohepriester
1. „Judica me – Schaff Recht mir, Gott, und führe meine Sache gegen ein unheiliges Volk. Von frevelhaften, falschen Menschen rette mich; denn Du bist ja mein Gott und meine Stärke“ (Introitus). „O Herr, errette mich vor meinen Feinden. Sie feindeten gar oft mich an von Jugend auf. Auf meinem Rücken schmiedeten die Sünder. Sie trieben ihre Bosheit lange; doch der Herr brach der Sünder Nacken“ (Tractus). So betet die Kirche. So tief empfindet sie die Not und die Passion des Herrn mit, den sie der Gewalt Seiner Feinde ausgeliefert sieht.
2. „Brüder! Christus erschien als Hoherpriester der künftigen Güter. Er ging durch das erhabenere und vollkommenere Zelt (den Himmel) nicht mit dem Blute von Böcken und Stieren (wie der Hohepriester des Alten Bundes in das Bundeszelt), sondern mit Seinem eigenen Blut ein für allemal in das Allerheiligste (des Himmels) ein, nachdem Wer (am Kreuze) eine ewige (für ewig gültige und wirksame) Erlösung bewirkt hatte.“
Die Tieropfer des Alten Bundes können die Reinigung von Sünden nicht bewirken. Christi Blut aber „reinigt unser Gewissen von den toten Werken (Sünden), auf dass wir dem lebendigen Gott dienen. Darum ist Er der Mittler des Neuen Bundes, damit durch Seinen Tod die Berufenen das verheißene, ewige Erbe erhielten durch Christus Jesus unsern Herrn“ (Lesung).
Jesus geht mit Seinem eigenen Blute in das Allerheiligste des Himmels ein. Der Hohepriester des Alten Testamentes tut sich mit seinem Opfern nicht wehe. Anders Jesus. Er opfert alles, Seinen letzten tropfen Blutes, unter namenlosen Verdemütigungen, Ungerechtigkeiten, inneren und äußeren Leiden und Qualen: im Ölgarten, an der Geißelsäule, auf dem schmerzvollen Kreuzweg, am Kreuz. Um uns, die Seinen, von der Sünde loszukaufen und uns, den Berufenen, das ewige Erbe zu sichern. Dass wir es genügend erwägen würden!
„Sie hoben Steine auf, um nach Ihm zu werfen. Er aber verbarg sich und ging hinweg aus dem Tempel“ (Evangelium) Sie können Ihm nichts anhaben. Er ist der Stärkere. Sie glühen von Hass. Sie missdeuten Seine Worte. Er erklärt ihnen: „Ich kenne den Vater und halte Seine Worte. Abraham, euer Vater, hat frohlockt, dass er Meinen Tag sehen werde: er sah ihn (im Geiste) und freute sich.“ Das reizt die Gegner zum Äußersten. „Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben.“ Er antwortete ihnen: „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Ehe Abraham ward, bin Ich.“
Jetzt heben sie Steine auf, um gegen ihn zu werfen. Aber gegen Seinen Willen können sie Ihm nichts anhaben. Er geht vom Tempel hinweg. Wenn sie Ihn ergreifen, verurteilen und morden, so können sie es nur, weil und soweit Er es ihnen gestattet. Freiwillig unterzieht Er sich dem Leiden und Sterben. „Er wurde geopfert, weil Er selber es wollte“ (Is. 53, 7). In souveräner Macht über den Willen und die Pläne seiner Feinde bestimmt Er den Augenblick, die Art und die Dauer Seiner Passion. In der Schwachheit, in der Niederlage des Todes am Kreuz ist Er der unüberwindliche Starke, der Triumphator. Als der Starke geht Jesus in Seine Passion ein. Als Sieger geht Er aus ihr hervor.
3. War wir in der Passion und am kreuz des Herrn sehen, ist nicht bloß ein menschliches Blutopfer: es ist die Erscheinung und Darstellung des Göttlichen, mitten im zerbrechlichen und zerbrochenen Leib des Gekreuzigten, mitten im Trauerspiel menschlicher Verblendung und Leidenschaft. Da ist nichts vom Geräusch des irdischen Martyriums, kein sich brüstendes Heldenbewusstseins, kein Groß- und Wichtigtun, keine Sensation, kein Hass, vielmehr ist alles nur der friedvolle Sieg der Liebe des Erlöserherzens über die Leidenschaft, Schwäche und Blindheit der Menschen. Das Herz des gekreuzigten strömt zu uns über: „Vater. Verzeihe ihnen.“ Es ist Friede geschlossen. Der Sieg des Göttlichen im Tode des Gottmenschen!
„In Seinem eigenen Blute“, aus göttlich inniger, starker Liebe zur Menschenseele, zu meiner Seele. Und wir? Die Kirche verhüllt heute das Kreuz. Sind vielleicht nicht mehr wert, es anzuschauen? Sind vielleicht auch wir Seine Feinde und antworten wir auf Seine Liebe so wie die Juden, die Steine gegen Ihn aufheben? –
Er hat für die Seelen Seiner Brüder Angst ausgestanden bis aufs Blut, sich geißeln, mit Dornen krönen, kreuzigen lassen – und uns lässt die Not der anderen so kalt. Was liegt uns an einer Seele? Wenn wir ein wenig für sie gebetet, wenn wir sie mit armseligen Worten getröstet, wenn wir ein paar Schritte für einen Bedrängten getan, ihn bei einer Caritasstelle empfohlen, dann sind wir zu Ende. Ist das im Geiste Christi? –
Er hat sich mit grausamen Geißeln blutig schlagen lassen, Er hat die Dornenkrone getragen, Er hat das schwere Kreuz geschleppt – und wir? Wir pflegen unseren Leib so sorglich, als wäre es unser alles und letztes; wir wollen um unser Haupt immer einen Kranz von Rosen und Lorbeer tragen und sind ungeduldig, wenn wir Christo auch nur ein Splitterchen Seines Kreuzes nachtragen sollen, das liegengeblieben ist. Sind wir wirklich Eines Geistes mit Ihm?
Jetzt ist die Zeit, in der wir anfangen sollen, das Kreuz, das Leiden zu schätzen und zu lieben. Im Kreuz, im Leiden, im Mitgekreuzigtwerden mit dem Herrn ist unser Heil. Im vollen Ja zu allen Ungerechtigkeiten, die uns persönlich zugefügt werden, zu den täglichen Unannehmlichkeiten, Widerwärtigkeiten, Krankheiten, Mühen, Opfern und Überwindungen. Stattdessen fliehen wir das Kreuz, wo immer wir nur können.
Was der Apostel von vielen Christen seiner Tage schreibt, gilt leider für unsere Tage nicht weniger: „viele wandeln, wie ich euch schon oft gesagt habe und jetzt unter Tränen wiederhole, als Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Gott ist der Bauch, ihren Ruhm setzen sie in das, was ihre Schande ist, ihr sinnen geht auf das Irdische“ (Phil. 3, 18. 19).
„Mir aber sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus. Durch Ihn ist mir die Welt gekreuzigt und ich der Welt“ (Gal. 6, 14). So sollten wir Christen denken und leben!
Gebet
Wir bitten Dich, allmächtiger Gott, sieh gnädig auf Deine Familie herab, damit durch Deine Freigebigkeit ihr leibliches Leben Führung und ihr geistiges Leben durch Deine Obhut Schutz habe. Durch Christus unseren Herrn. Amen.
Es ist recht und heilsam, Dir immer und überall Dank zu sagen, allmächtiger Vater, ewiger Gott. Dein Wille war es, dass vom Kreuzesholz das Heil des Menschengeschlechtes ausgehe. Von einem Baum kam der Tod, von einem Baum sollte das Leben erstehen. Der am Holz siegte (Satan im Paradies), sollte auch am Holz besiegt werden durch Christus unseren Herrn (Präfation vom heiligen Kreuz). –
aus: Benedikt Baur OSB, Werde Licht, Liturgische Betrachtungen an den Sonn- und Wochentagen des Kirchenjahres, II. Teil Osterfestkreis, 1937, S. 189 – S. 195
Siehe auch den Beitrag von Moritz Meschler SJ:
Bildquellen
- StMartin43-53: Wikipedia | CC BY 3.0 Unported