Der Heiland das Licht der Welt

Liturgische Betrachtung über den Passionssonntag: verhülltes Kruzifix

Der Heiland das Licht der Welt (Joh. 8, 12-59)

Betrachtung des Evangeliums für den Passionssonntag

Christus, der Heiland das Licht der Welt - Holzschnitt v. Hans Holbein dem Jüngeren

1. Allgemeiner Charakter des Lehrvortrages

Im Allgemeinen gefasst, ist der ganze Lehrvortrag eine Streitunterredung mit den Juden, bestehend aus Rede und Widerrede. Der Heiland stellt seinen Satz auf, die feindlichen Judäer erwidern, und an diese Widerrede knüpft der Heiland sofort die Antwort und spinnt mit derselben zugleich die Selbstoffenbarung fort, bis dieselbe mit einem Angriff auf sein Leben abgebrochen wird. Wahrscheinlich wurde der ganze Vortrag nach dem Schluss des Laubhüttenfestes gehalten. Ob das Ganze hintereinander, zur selben Zeit und am selben Tag vorgetragen wurde, ist unbestimmt.

2. Nähere Ausführung des Lehrvortrags

Dem Gedankeninhalt nach zerfällt der Lehrvortrag in zwei Teile. Der erste Teil (Joh. 8, 12-30) befasst sich direkt mit den ungläubigen Juden, der zweite zunächst mit den Juden, die an Jesus auf sein Wort hin glauben, und nur gelegentlich zugleich mit den Ungläubigen und Widerspenstigen (ebd. 8, 30-59).

Der erste Teil enthält zuerst gleich den Satz der Offenbarung, den der Heiland hinstellt, dann die Widerrede der ungläubigen Juden und drittens die Antwort des Heilandes auf den Widerstand ihres Unglaubens.

Der Satz, den der Heiland als Gegenstand des Lehrvortrags aufstellt, ist enthalten in den Worten: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir folgt, wandelt nicht in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (ebd. 8, 12) Veranlassung zu diesem bildlichen Ausdruck hatte wahrscheinlich die Beleuchtung des Tempels am Laubhüttenfest gegeben, durch welche zugleich die Feuersäule in der Wüste und der Messias versinnbildet wurde. –

Wie der Wasserquell, so war auch das Licht, die Flamme ein Sinnbild des Messias, und häufig bezeichnen ihn die Propheten unter diesem Bilde (Num. 24, 17; Hab. 3, 4; Is. 9, 2; 42, 6; 49, 6).

Es liegt also in diesen Worten einfach eine Offenbarung und Selbstbezeugung, dass er der Messias ist. Er sagt, das festliche Licht sei erloschen, aber jetzt leuchte das wahre Licht im Tempel in ihm, und zwar über die ganze Welt hin. Die Judäer verstanden das ganz gut (Luk. 2, 32). Es war so viel als eine Behauptung seiner Gottheit, denn Gott allein ist das ‚Licht des Lebens‘ hienieden durch den Glauben und dort durch die Anschauung. So kann nur ein Gott von sich selbst reden (Joh. 1, 4) –

Das ist die Selbstbezeugung Jesu. Daher der Widerspruch der Pharisäer. Zuerst leugnen sie die Gültigkeit seines Zeugnisses, weil es ein Selbstzeugnis sei (ebd. 8, 13); dann fragen sie, als er ihnen deutliche Andeutungen über seinen (Ursprung aus dem) Vater und über seine Person gibt, stets, wo sein Vater sei (ebd. 8, 19) und wer er selbst sei (ebd. 8, 25); endlich verharren sie im Vorsatz, ihn zu morden (ebd. 8, 20. 21), und spotten über die Vorhersagung seines Hingangs mit der Bemerkung, ob er sich zum Selbstmörder machen und zur Hölle fahren wolle (ebd. 8, 22). –

Darauf erwidert der Heiland erstens, dass sein Selbstzeugnis doch wahr sei, und das beweist er durch zwei Gründe: einmal aus dem klaren Bewusstsein seiner absoluten Heiligkeit, seiner Gottheit, nämlich seines Ursprungs (des ewigen Ausgangs) und seines Zieles, der Himmelfahrt (ebd. 8, 14), während sie ihn nach dem Augenschein und seiner ärmlichen Herkunft nach für einen gewöhnlichen Menschen erklären und deshalb irren können; wenn er richten wollte, irre er nicht (ebd. 8, 15); ferner sei sein Zeugnis wahr, weil der Vater mit ihm, der zweiten Person in der Gottheit, Zeugnis gebe; sein Zeugnis sei also gesetzlich (ebd. 8, 16. 17. 18). –

Zweitens auf die Fragen, wo sein Vater sei, und wer er sei, antwortet er ausweichend: wenn sie ihn kennten, kennten sie auch den Vater (ebd. 8, 19); und in Bezug auf sich antwortet er: „Der Anfang, der auch zu euch redet.“ (Nach andern: „Was habe ich überhaupt noch mit euch zu reden?“ „ Das bin ich, was ich euch von Anfang sagte“ oder: „Das bin ich, was ich euch eben sage, nicht mehr und nicht weniger“, ebd. 8, 25). Über vieles könnte er sie verurteilen, und zwar nicht aus sich, sondern nach dem Urteil desjenigen, der ihn gesendet und der wahrhaftig sei (ebd. 8, 26). –

Endlich bezeugt der Heiland den Unglauben der Juden, der aus ihrem weltlichen Wesen und Sinn (ebd. 8, 23) und aus ihrer leidenschaftlichen Verblendung (ebd. 8, 27) entspringt und bis zum Mord durch Kreuzigung gehen werde (ebd. 8, 28), er verkündet ihnen die furchtbarste Strafe, nämlich die Unmöglichkeit, an ihm einen Helfer in der Not (im Untergang der Stadt) zu finden, Unbußfertigkeit im Tode und den Ausschluss von der ewigen Seligkeit (ebd. 8, 21. 24).

Erst sein Tod und dessen Folge, das Herabsteigen des Heiligen Geistes, werde ihnen zum Heile vieler die Augen öffnen über sein Wesen, über seine messianische Würde, seine Gottheit in Gemeinschaft der Natur und Wirksamkeit mit dem Vater (Joh. 8, 28. Vgl. ebd. 5, 19. 20. 30. 36). In allem, was er spricht und tut, ist der Vater mit ihm mit seiner Mitwirkung, Autorität und Leitung, der Beweis und der (verdienende) Grund davon ist die unentwegte Vollführung des väterlichen Wohlgefallens (ebd. 8, 29). In der Tat bekehrten sich viele Juden nach dem Tode Jesu.

Der zweite Teil des Lehrvortrags befasst sich zunächst mit den Gläubigen. Es glaubten nämlich viele aus dem Volk auf diese Lehren und auf die Wunder hin an Jesus (ebd. 8, 30). Um diese Neugläubigen zu befestigen und zugleich zu prüfen, führt der Heiland vier Beweggründe an.

Erstens das Glück und die Ehre seiner wahren Jüngerschaft, zweitens die Erkenntnis der Wahrheit, die er predigte, drittens durch diese Erkenntnis die Freiheit (ebd. 8, 31. 32).

Namentlich dieser letztere Beweggrund gab Anlass zu einem heftigen Widerspruch von Seiten der Neugläubigen, aus denen der Altjude noch nicht heraus war und die sich in ihrem Nationalstolz verletzt fühlten, als mache der Heiland sie erst zu Freien. In der Tat war dieses ein wunder Punkt des jüdischen Bewusstseins. Trotz aller Knechtschaft, in die sie wiederholt gerieten, hielten sie sich allein für die Freigeborenen, eben deshalb, weil sie von Abraham abstammten und zum Bund gehörten (ebd. 8, 33). Das Höchste, was sie vom Messias und ihrer Religion erwarteten, war die nationale, politische Freiheit.

Der Heiland erwidert darauf ein Doppeltes.

Erstens sagt er, worin die wahre Freiheit besteht, nämlich in der Freiheit von der Sünde (ebs. 8,34) und im Anschluss an ihn. Ohne die Freiheit von der Sünde ist man nur Sklave im Hause Gottes und kann immer ausgetrieben werden; bloß der Sohn hat Erb- und Verfügungsrecht. Gott aber hat nur einen natürlichen Sohn, und nur durch den Anschluss an ihn wird die Sünde getilgt und die Kindschaft erworben (ebd. 8, 35. 36). Er ist die Wahrheit, und so befreit uns in ihm wirklich die Wahrheit (ebd. 8, 32). Das ist die wahre Befreiung durch den Messias. Widrigenfalls scheint der Heiland den Juden das Los Ismaels in Aussicht zu stellen (Gal. 4, 22. 30. 31).

Zweitens widerlegt der Heiland die Gründe, auf welche die Juden ihre vermeintliche Freiheit stützten, nämlich die Abstammung von Abraham (Joh. 8, 33. 39) und das äußere Bundesverhältnis zu Gott: somit seien sie keine Heiden (ebd. 8, 41)

Der Heiland führt dagegen aus, dass sie wohl fleischlich von Abraham abstammen (ebd. 8, 37), aber nicht dem Geiste nach, denn sein Wort dringe bei ihnen nicht durch (ebd. 8, 37), und sie folgen in ihren Eingebungen einem anderen Vater (ebd. 8, 39), nicht Abraham; denn Abraham wollte den Messias nicht töten (ebd. 8, 40); ebenso wenig hätten sie Gott zum Vater, wie sie sich im Gegensatz zu den Heiden rühmten, denn sonst liebten sie ihn als den Sohn (ebd. 8, 40) und den Gesandten Gottes (ebd. 8, 43) und würden sein Wort hören (ebd. 8, 47).

Er sagt ihnen dagegen, wessen Kinder sie sind, nämlich Kinder des Teufels, und das beweist er daraus, dass sie des Teufels Werke tun (ebd. 8, 38. 41), nämlich Menschenmord und Lüge (ebd. 8, 44), von den Tagen des Paradieses an, während er die Wahrheit rede (ebd. 8, 45), weil er keiner Sünde geziehen werden könne, und doch glaubten sie ihm nicht, deshalb seien sie nicht aus Gott (ebd. 8, 46. 47). –

Diesen schweren Vorwurf erwidern die Juden mit Schmähung; sein Eifer beweise, dass er ein Samaritaner und von einem bösen Geist besessen, d. h. ebenso töricht wie schlecht sei (ebd. 8, 48), worauf der Heiland antwortet, sein Eifer sei Eifer für die Ehre Gottes, und es sei eine Unbill, die sie ihm antun (ebd. 8, 49); ein anderer möge sie dafür ins Gericht nehmen (ebd. 8, 50).

Nach dieser Zwischenrede führt der Heiland für die Neugläubigen einen vierten Beweggrund an, am Glauben festzuhalten; wer nämlich an seinem Wort festhalte, werde den ewigen Tod nicht sehen (ebd. 8, 51). Es ist der standhafte Glaube an Jesus zugleich das Mittel, dem Gericht zu entgehen, und diese verheißene Unsterblichkeit ist der glänzende Gegensatz zur Strafe des Gerichtes, die im ewigen Tod besteht. Darin erblicken die Juden einen neuen Beweis, dass er besessen sei und nicht recht wisse, was er sage, indem er seinen Jüngern Größeres verspreche, als Abraham und den Propheten zuteil geworden, nämlich dies Freisein vom leiblichen Tode; wozu er sich denn eigentlich mache? (Ebd. 8, 52. 53) –

Der göttliche Heiland hat darauf eine doppelte Antwort, eine indirekte und direkte.

Zuerst sagt er, allerdings wäre seine Selbstverherrlichung nichtig, wenn er sich selbst erhöbe; allein nicht er, sondern der Vater verherrliche ihn, habe ihm die Herrlichkeit gegeben, indem er ihn von Ewigkeit zeugte und zu dem machte, wofür er sich jetzt ausgibt und wofür der Vater selbst wieder das Zeugnis einlegt (Joh. 8, 54), „der Vater nämlich, von dem ihr sagt, dass er euer Gott sei, den ihr aber nicht kennt als meinen Vater und den ihr praktisch nicht ehrt dadurch, dass ihr sein Zeugnis (Wort) annehmt; ich aber kenne ihn als meinen Vater, halte sein Wort, indem ich mich als seinen Sohn bekenne, sonst wäre ich wie ihr ein Lügner“ (ebd. 8, 55).

Dann geht er zur direkten Antwort über, indem er sich über sein Verhältnis zu Abraham, auf den sich die Juden beriefen, ausspricht.

Vor allem, sagt er, huldigte ihm Abraham und begrüßte mit Freuden seine Ankunft, sei es auf die Offenbarung und Verheißung hin, die ihm hier im leiblichen Leben ward (Gen. 18, 18; 22, 18), oder in der Vorhölle. Abraham ist also weniger als er (Joh. 8, 56). Und wie die Juden nun böswilliger Weise dieses geistige Schauen als ein wirkliches Auslegen und Fragen, wie Abraham ihn habe sehen können, da er noch nicht das vollkommene Mannesalter erreicht (ebd. 8, 57), da verkündet Jesus ganz offen nicht bloß seine Zeitgenossenschaft mit Abraham, sondern sein Dasein vor Abraham, einfach als ungeschaffenes und göttliches Dasein von Ewigkeit: „Bevor Abraham ward, bin ich“, als Jehova, der Seiende (ebd. 8, 58).

So fassten es auch die Juden auf und wollten ihn als Gotteslästerer steinigen (ebd. 8, 59. Lev. 24, 16), sei es, dass sie zu den Steinen griffen, welche zum Bau des Tempels dalagen, oder dass der Heiland in den Heidenvorhof ging, wo zwar kein Steinpflaster war, aber Steine genug zu Gebote standen. Der Heiland aber verbarg sich, d. h. er verschwand im Volk oder machte sich unsichtbar, ungefähr wie in Nazareth, und ging aus dem Tempel (Joh. 8, 59).

3. Ergebnis und Wirkung

Es sind zwei Ergebnisse zusammenzuhalten, nämlich das Fortschreiten der Selbstoffenbarung und der Selbstbezeugung des Herrn und auf der anderen Seite die Zunahme des Widerstandes von Seiten der Juden.

Ganz passend sagt der Herr, er sei das Licht der Welt. Auch hier enthüllt sich das Licht der Gottheit immer mehr. Wir haben hier dreierlei Aussprüche bezüglich seiner Gottheit. Erstens solche, in denen er eine unverhohlene Aussprache verweigert, weil die Juden es nur missbraucht hätten (ebd. 8, 19. 25). –

Zweitens Aussprüche, in denen er, wenn auch geheimnisvoll, doch deutlich genug seine Gottheit, seine Zeugung aus dem Vater (Joh. 8, 14. 18. 25. 42), die Selbigkeit der Natur, die Eigenschaften des Erkennens und Wirkens (ebd. 8, 18. 19. 26. 28. 38. 40), der Mitteilung des Lichtes und der Seligkeit (ebd. 8, 12. 51) bezeugt. –

Drittens haben wir Aussprüche, in denen er ganz deutlich seine Gottheit dartut (ebd. 8, 54. 58), so dass die Juden darin eine Gotteslästerung sehen.

Diesem Fortschreiten der Offenbarung gegenüber entspricht auch eine fortschreitende Steigerung der Erbitterung, des Hasses und der Wut von Seiten der Judäer. Man merkt die Erregung an den immer häufigeren und erregteren Widerreden; dann an dem Hohn und Spott, zu dem sie übergehen und mit dem sie viel böswilliger als beim Laubhüttenfest die Voraussagung des Herrn über seinen Hingang beantworten (ebd. 7, 35; 8, 22); endlich an dem offenen Schimpf und Fluch, den sie dem Herrn vor allem Volk in das Antlitz schleudern, indem sie ihn Samariter und einen Besessenen nennen (ebd. 8, 48. 52; 7, 20).

Auch der Herr wird schärfer in seinen Worten und hält ihnen ganz bittere Wahrheiten vor, indem er ihnen ihr unbußfertiges Ende und den zeitlichen und ewigen Untergang vorhersagt (ebd. 7, 34; 8, 21. 24) und sie einfach Teufelskinder nennt (ebd. 8, 44). Schon die schwere und verdemütigende Niederlage mit der Ehebrecherin musste diese verbissenen herzen auf das tiefste aufregen und erbittern, und jetzt, wo der Herr ihre Nationalehre und ihren persönlichen Stolz so unbarmherzig geißelt, da bricht ihr Hass und ihre Wut in wilder Gewalttat los und sie wollen ihn im Tempel steinigen.

Bloß die Macht des Heilandes vereitelte ihr Beginnen. Es ist, als sähe man den Kampf des Lichtes und der Finsternis leibhaftig vor sich und als spielten sich die Worte des hl. Johannes: „Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternisse haben ihn nicht erkannt“ (1, 5), hier in lebendiger Szene durch (Keppler). Die Juden sind nicht bloß die wahren Ehebrecher an der Bundestreue gegen ihren Gott, sondern seine Vergewaltiger und Mörder; sie wollten ihren Messias mitten in seinem Tempel steinigen und das Licht der Welt mit eigenen Händen begraben.

Wie wunderbar schön, herrlich und majestätisch hebt sich von diesem finsteren Hintergrund die Gestalt des Heilandes ab in seiner Ruhe und Besonnenheit, in seiner kindlichen Treue und Liebe gegen seinen Vater; in seinem reinen Eifer für die Ehre und den Auftrag seines himmlischen Vaters und endlich in seinem Mut gegenüber dem wütenden Volk und in seiner siegreichen göttlichen Macht, indem er nicht flieht und sich nicht beugt vor den steinigenden Händen, sondern sich einfach ihnen enthebt wie das Licht, das sich nicht greifen und steinigen lässt! Die Gottheit war sein Schild und sein Zufluchtsort.

Indessen hatten sich durch diese Vorgänge die Gegensätze so zugespitzt, dass eine Entscheidung unvermeidlich war. –
aus: 
Meschler, Moritz SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi, Bd. 1, 1912, S. 557 – S. 563

Siehe auch Unterricht auf die Feste im Jahreskreis nach P. Leonhard Goffine: Passionszeit

Bildquellen

  • Christ_as_the_True_Light__by_Hans_Holbein_the_Younger: wikimedia

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