Das Geheimnis der Menschwerdung

Das Geheimnis der Menschwerdung Teil 1

Zur rechten Erkenntnis des Heilandes und seines Lebens ist es notwendig, einen Begriff des Geheimnisses der Menschwerdung zu haben. Wir müssen deshalb etwas tiefer eingehen auf dasselbe und es betrachten in seinem Wesen, in der Art und Weise, wie es bewirkt wurde, und in den Wirkungen, die es nach sich zog.

Das Wesen der Menschwerdung

Unter der Menschwerdung verstehen wir im allgemeinen das Geheimnis der Vereinigung der menschlichen und göttlichen Natur oder der Vereinigung der Gottheit und Menschheit in einer Person in Christus, das Geheimnis, dessen einfacher und schlagender Ausdruck „der Gottmensch“ ist. Es kommt nun vor allem darauf an, zu wissen, worin diese Vereinigung besteht. Und damit die Sache klarer werde, ist zuerst zu sehen, worin diese Vereinigung nicht besteht, und dann, was sie eigentlich ist und wie sie geschehen.

Diese Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur geschah nicht durch unmittelbare Verbindung der beiden Naturen, also durch Verschmelzung, Übergehen, Aufgehen, Verändertwerden des einen in das andere, durch Umsetzung in ein anderes Drittes. Das ist alles nicht möglich. Der Glaube sagt uns, daß Christus die wahre, volle menschliche und göttliche Natur hatte und behielt, und deshalb kann von einer Veränderung und Verminderung der einen oder andern Natur nicht die Rede sein. Die göttliche Natur kann ja überhaupt nichts gewinnen oder verlieren, sie kann nicht herab steigen, sich erniedrigen und sich unmittelbar mit etwas außer ihr verbinden. Deshalb sagen auch die Gottesgelehrten, die Menschwerdung sei nicht ein Herabsteigen und ein Erniedrigen der Gottheit, sondern vielmehr die Auf- und Annahme der menschlichen Natur zur Gottheit. Wenn die menschliche Natur aber angenommen wurde, blieb sie, was sie war.

Wie geschah denn nun die Vereinigung der beiden Naturen? Einfach in der zweiten göttlichen Person und durch dieselbe. Die zweite göttliche Person war das Mittel, in dem beide Naturen zusammen traten, da durch nämlich, daß die zweite Person in der Gottheit zugleich die Person der menschlichen Natur ward. Wir müssen uns also in Christus zwei wahre und vollkommene Naturen denken, einerseits die göttliche und andererseits die menschliche, und zwar die ganze menschliche Natur, wie auch wir sie haben, mit Leib und Seele, mit Verstand und Willen begabt und ganz in denselben Zuständlichkeiten und Beziehungen wie bei uns. Nie und nimmer versah die Gottheit die Stelle der menschlichen Seele. Es fehlte dieser menschlichen Natur nichts als ihre natürliche und zukömmliche Persönlichkeit. Wenn wir auf die Welt kommen, sind wir abgeschlossen in unserer Seinsweise, unabhängig von andern; wir sind die Träger, Inhaber, Besitzer unserer Kräfte und Vermögen und das Rechtssubjekt unserer Handlungen, mit einem Wort: wir haben eine Persönlichkeit und sind eine Person. Bei Christus nun trat an die Stelle der menschlichen Persönlichkeit die zweite göttliche Person, und diese war vom ersten Augenblick der Inhaber, der Träger und Besitzer dieser Natur, auf sie bezog sich alles, sie tat alles. – Diese göttliche Person aber änderte nichts an der menschlichen Natur, wie ja überhaupt die Persönlichkeit nichts bewirkt an der Natur, als sie unabhängig und selbständig machen, sie vervollständigen und abschließen. So bewirkte auch hier die göttliche Person in der menschlichen Natur nichts, als daß diese in der zweiten Person subsistierte und ihr angehörte. Daß die menschliche Natur in Christus infolge dieser Vereinigung oder ihretwegen weiser, heiliger und mächtiger war als die unserige, ist bloß ein Unterschied dem Grade der Vollkommenheit und nicht der Wesenheit nach. – Es gibt also in Christus zwei ganz verschiedene Naturen, die menschliche und die göttliche, und nur eine Person, nämlich die des Sohnes Gottes. Diese eine göttliche Person vereinigt in sich beide Naturen, besitzt die beide zu eigen und verfügt als Herr und selbständiger Besitzer über die Macht und die Reichtümer beider.

Daraus geht nun hervor, daß diese Vereinigung die innigste ist, die es geben kann, ja eine wesentliche, weil sie in Christus ein Wesen macht, das aus verschiedenen Naturen besteht: ferner, daß sie die größte, letzte und höchste Vereinigung ist, also nicht bloß eine Verähnlichung mit Gott durch Mitteilung der Natur und Gnade und Glorie, sondern durch Mitteilung einer göttlichen Person selbst; dann folgt, daß diese Vereinigung die herrlichste und glorreichste ist, weil ihr Ergebnis der Gottmensch ist; und endlich, daß sie eine rein übernatürliche, die Quelle und das Vorbild aller übernatürlichen Vereinigung und Verähnlichung mit Gott ist.

Die Art und Weise, wie die Menschwerdung gewirkt wurde

Aus dem Wesen dieser Vereinigung der menschlichen Natur der zweiten Person in der Gottheit folgt, daß dieselbe erstens ganz frei gewirkt wurde, aus reiner Güte und reinem Wohlwollen Gottes, eben weil sie ganz übernatürlich ist und über allem Bedürfnis, Vermögen und Ahnen der Natur steht. Wer wird auch zum Himmel fahren und Gott herab bringen? (Röm. 10, 6)

Zweitens wurde diese Vereinigung bewirkt höchst huldreich für uns: einmal, weil die menschliche Natur, die zur Vereinigung mit der göttlichen Person des Sohnes aufgenommen wird, aus dem Blute Adams und aus wirklicher Abstammung von Adam angenommen wurde. Christus kam nicht, wie Adam, unmittelbar aus der Hand Gottes in diese Welt. Er hatte menschliche Ahnen, und sie reichen hinauf bis zum ersten Menschen (Luk. 3, 38). Er ist uns also nicht fremd, er ist wirklich einer aus unserem Geschlecht, unser Blut ist in ihm, und er ist so in der Tat unser Bruder. – Ferner war die Annahme unserer Natur sehr huldreich, weil er sie annahm mit allen physischen Schwächen, die im allgemeinen unserer Natur zukommen. Sein Leib war leidensfähig, dem Hunger, dem dem Durst, der Ermüdung, den Schmerzen unterworfen, und zwar weil er es wollte, denn er hätte diese Zustände infolge der hypostatischen Vereinigung aufheben können. Ebenso war seine Seele, wie der Liebe und Freude und Barmherzigkeit, so auch den Gefühlen der Traurigkeit, der Furcht, des Widerwillens und allen natürlichen Bewegungen des sinnlichen Begehrungs-Vermögens unterworfen wie wir, nur mit dem Unterschied, daß diese Empfindungen der Entstehung und der Stärke nach ganz von seinem Willen abhingen, dieselben also stets gut und verdienstlich waren. In diesen Empfindungen des sinnlichen Begehrungs-Vermögens unseres Heilandes haben wir einen neuen Beweis seiner wahren Menschennatur und zugleich ein schönes Vorbild der Geduld in Leiden und der Beherrschung unserer Leidenschaften; der Heiland aber erhielt in diesen Fähigkeiten und Akten des sinnlichen Begehrungs-Vermögens ein neues Werkzeug des erlösenden Leidens.

Drittens nahm er diese Natur unauflöslich und für immer an. Keine Macht wird diese Verbindung sprengen. Selbst der Tod, der alles trennt, trennte die Gottheit nicht von Leib und Seele. –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes, Bd. 1, 1912, S. 81 – S. 83

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