Das Leben und Leiden und der Tod Jesu
Das weitere Leiden im Hause Kaiphas
Luk. 22,63. Und die Männer, die Jesum fest hielten, verspotteten ihn und schlugen ihn. – 64. Und sie verhüllten ihn und schlugen ihm ins Angesicht, fragten ihn und sagten: „Weissage, wer ist`s, der dich geschlagen hat?“ – 65. Und viele andere Lästerungen redeten sie wider ihn.
Mark. 14,65. Nun fingen einige an, ihn anzuspeien, sein Angesicht zu verhüllen und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: „Weissage!“ und die Diener gaben ihm Backenstreiche.
Matth. 26,67. Dann spieen einige in sein Angesicht und schlugen ihn mit Fäusten, andere aber gaben ihm Backenstreiche in sein Angesicht – 68. und sprachen: „Weissage uns, Christus, wer ist`s, der dich geschlagen hat?“
Der Rest der Nacht nach der vorläufigen Verurteilung verging für den Heiland im Hause des Kaiphas unter vielfältigen Leiden.
Leiden durch die Umstände der Lage
Nach den traurigen und aufregenden Vorkommnissen dieser Nacht, nach den Leiden am Ölberg, nach den Misshandlungen bei der Gefangennehmung und Überführung in die Stadt musste der Heiland natürlicherweise ganz erschöpft von Müdigkeit, Ermattung und von Hunger und Durst gequält sein. Man ließ ihm aber keine Ruhe, gönnte ihm keinen stillen Winkel. Man brachte ihn aus dem Gerichtssaal in den Hof, und auf den ermüdeten Füßen stehend, musste er dort neue und lange Unbilden leiden. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß man ihn auch nur mit einem Trunk frischen Wassers erquickte.
Dazu kam noch die empfindliche Kühle und Kälte der Frühlingsnacht. Während sich seine Peiniger ab und zu am offenen Feuer wärmten (Luk. 22,55; Mark. 14,54), musste der Heiland notdürftig bekleidet auf den kalten Steinplatten des Hofes stehen, und zitterte und bebte vor Frost und Kälte. Er war der Herr der Elemente und hätte sich zu seinem Leiden die lieblichste Frühlingsnacht schaffen können. Aber er wollte auch dieses Leid in den Plan seiner Passion aufnehmen, damit nichts fehle.
Die Misshandlungen durch die Menschen
Statt dem armen Heiland einige Ruhe zu lassen nach der stürmischen Ratssitzung, machte man ihn zum Gegenstand der gemeinsten und empörendsten Misshandlungen.
Die Urheber und Werkzeuge dieser Misshandlungen scheinen nicht bloß die Soldaten gewesen zu sein, deren Hut er anvertraut war (Luk. 22,63), und anderes Hofgesinde, sondern selbst einige der Mitglieder des Hohen Rates (Matth. 26,67; Mark. 14,65). Auch diese, scheint es, fanden es nicht unter ihrer Würde, teilzunehmen an dem unwürdigen Spiel.
An Arten von Misshandlungen werden namentlich drei aufgeführt. Zuerst verspotteten sie ihn, höhnten ihn und trieben Spaß mit ihm und seinen erhabenen Ämtern und Eigenschaften. Sie verhüllten sein Antlitz, schlugen ihn und fragten dann, wer ihn geschlagen habe (Matth. 26,68; Mark. 14,65; Luk. 22,64), und manche andere Gotteslästerung stießen sie gegen ihn aus (Luk. 22,65). – Ferner spieen sie ihn an (Mark. 14,65; Matth. 26,67), was in Israel die größte Schmach war (Deut. 25,9; Num. 12,14; Job 30,10). – Endlich mißhandelten sie ihn tätlich, gaben ihm Backenstreiche, schlugen ihn mit Fäusten und versetzten ihm Schläge ins Antlitz (Luk. 22,64; Mark. 14,65; Matth. 26,67). Es ging da in Erfüllung, was der Prophet von ihm geweissagt hatte: „Meinen Leib gab ich preis den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden; mein Antlitz wandte ich nicht weg von den Schmähenden und auf mich Speienden.“ (Is. 50,6).
Die Schwere dieser Misshandlungen aber geht hervor erstens aus den Umständen, in denen sich der Heiland damals befand. War es schon eine Rohheit, einen armen, wehrlosen und schon so übel zugerichteten Mann so zu behandeln, so war es auch eine schreiende Ungerechtigkeit. Der Angeklagte hat ein Recht auf öffentlichen Schutz, und es ist die Pflicht der Obrigkeit, ihn vor jeder willkürlichen Behandlung zu schützen. Hier war es die Behörde selbst, unter deren Auge die widerliche Szene sich abspielte. –
Zweitens leuchtet die Schwere ein, wenn man bedenkt, wer der Mißhandelte war! Die Schwelle des Tempels durfte nicht mit Speichel verunreinigt werden; wir selbst würden es nicht wagen, in der Gegenwart einer geachteten Person auf den Boden zu speien, und nun wurde das Antlitz des lebendigen Gottes zur Zielscheibe dieser Gemeinheit gemacht. Der elendeste Mensch kann seinen Mutwillen und seine Rohheit an ihm auslassen. Und es ist derselbe, der hier mit Speichel und Unrat bedeckt wird und auf dem Tabor die Huldigung der Propheten empfing. Aber er duldet alles, nimmt alles an mit unsäglicher Geduld, Demut und Hingabe.
Die Leiden im Kerker
Wer weiß, was der Heiland alles hat dulden müssen und wie lange das höllische Schauspiel dauerte? Nach der Überlieferung wurde er dann endlich in einen Kerker gebracht, bis der Hohe Rat sich in der Frühe versammelte. Man trifft in katholischen Gegenden Süddeutschlands manchmal auf öder Bergeshöhe oder in tiefer Waldeinsamkeit ein gar rührendes Bild. Unser Herr sitzt da in einem Kerkerverließ, mit einem Eisenring am Hals an die Wand geschmiedet, mit gebundenen Händen; das edle, kranke Haupt gebeugt, als suche er eine Ruhestelle und finde sie nicht; er ist ganz verlassen und blickt gar ernst und traurig. Man nennt das Bild „Gott im Elend“. Das malt uns ungefähr die Lage des Heilandes im Kerker. An Ruhe war nicht zu denken. Er leidet, und zwar mit sehr lebhaftem Gefühl der Verlassenheit. Auf ihn passen die Worte: „Er weinet, weinet in der Nacht, und seine Tränen sind auf seinen Wangen; keiner ist, der ihn tröstet aus seinen Lieben allen; all seine Freunde verachten ihn und sind ihm zu Feinden geworden… Darob weine ich, und mein Auge ist tränennaß; denn fern ist mir der Tröster, welcher labte meine Seele; meine Kinder sind verloren, weil übermächtig war der Feind“ (Klagel. 1,2 u. 16).
Über dieser Lage ging nun wohl der Tag auf, und seine ersten Strahlen begrüßten durch die Kerkergitter das Antlitz des Heilandes. Auch er begrüßte den anbrechenden Tag und hob sein Auge zu ihm empor und begann sein Morgengebet. Es ist sein letztes. Wie mag es gewesen sein? Es war stets dasselbe. Seit dem ersten Augenblick seiner Empfängnis sah er mit Sehnsucht diesem Tag entgegen; immer hatte er ihn vor Augen und näherte sich ihm unentwegt und fest. Jetzt war er da. Zaudernd wie ein Blutrichter trat er ein, um dem Herrn sein Ende anzukündigen. Und der Herr empfing ihn gütig und freudig. Er erhob sicher seine Augen zum himmlischen Vater und dankte ihm für das Erscheinen dieses großen Tages. Er opferte ihm all sein Leiden, sein Leben und seinen Tod auf zu Ehre seines Namens und für uns Sünder alle. So brach der ewig denkwürdige Tag unserer Erlösung an, und mit diesen und ähnlichen Gesinnungen mag der Heiland seinen ersten Strahl begrüßt haben (Ps. 53). –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes in Betrachtungen Zweiter Band, 1912, S. 334 – S. 337