Jesus erneut vor den Hohen Rat geführt

Jesus mit dem Rohr in der Hand, auf der rechten ist Judas zu sehen

Jesus wird erneut vor den Hohen Rat geführt

Nachdem das Todesurteil gesprochen war, wurde Jesus von den Gerichtsdienern, die ihn den übrigen Teil der Nacht hindurch bewachen sollten, auf das schmählichste mißhandelt. Sie spieen ihm ins Angesicht (1), schlugen ihn mit Fäusten, verhüllten ihm das Angesicht, gaben ihm Backenstreiche und sprachen: „Weissage uns, Christus, wer ist`s, der dich geschlagen hat?“ Und noch viele andere Lästerungen stießen sie wider ihn aus. (2)

Gleich am frühen Morgen versammelte sich der Hohe Rat noch einmal, um Jesus dem Tod zu überliefern. (3) Sie ließen ihn vorführen und sprachen zu ihm: „Bist du Christus, so sage es uns!“ Er erwiderte ihnen: „Wenn ich es euch sage, so glaubt ihr mir nicht; und wenn ich euch (zu meiner Rechtfertigung) frage, so antwortet ihr mir nicht, noch läßt ihr mich los. Aber von nun an wird der Menschensohn zur Rechten der Kraft Gottes sitzen.“ Da sprachen alle: „Du bist also der Sohn Gottes?“ Er antwortete: „Ja, ich bin es!“ Sie aber sprachen: „Was begehren wir noch ein Zeugnis? Wir haben es ja selbst aus seinem Munde gehört.“

Die Verzweiflung des Verräters Judas

Dann erhob sich die ganze Versammlung, und sie führten Jesus gebunden von Kaiphas zum Gerichtshaus des Landpflegers Pontius Pilatus(4), um ihn diesem zu überliefern. (5) Da nun Judas (6), der ihn verraten hatte, sah, daß Jesus zum Tode verurteilt worden, reute ihn seine Tat, und er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und Ältesten zurück und sprach: „Ich habe gesündigt, daß ich unschuldiges Blut verraten habe.“ (7) Sie aber sprachen: „Was geht das uns an? Siehe du zu!“ (8) Da warf er die Silberlinge in den Tempel, ging hin und erhängte sich mit einem Strick. (9)

Die Hohenpriester aber nahmen die Silberlinge und sprachen: „Es ist nicht erlaubt, sie in den Tempelschatz zu legen; denn es ist Blutgeld.“ (10) Nachdem sie dann Rat darüber gehalten, kauften sie damit den Acker eines Töpfers zum Begräbnis für die Fremden. Deshalb heißt dieser Acker Hakeldama, d.i. Blutacker, bis auf den heutigen Tag. (11) Damals wurde das Wort des Propheten Jeremias (12) erfüllt: „Sie nahmen die dreißig Silberlinge, den Schätzungspreis, um den mich die Söhne Israels geschätzt haben, und gaben sie für den Acker eines Töpfers, wie mir der Herr befohlen hat.“ (13)

(1) Zeichen der tiefsten Verachtung. Durch diese gräuliche Beschimpfung und alle die anderen rohen Mißhandlungen Jesu wurden übrigens die Weissagungen der Propheten erfüllt, besonders Ps. 21,2-8; Is. 50,6f; 52,14; 53,2f.
(2) So diente derjenige, den die Engel anbeten, zum Spielball des Auswurfes der Menschen. Vermöge seiner zarten und vollkommenen Körperbeschaffenheit empfand er die körperlichen Schmerzen auf das lebhafteste; überdies fühlte er, je edler sein Herz war, um so tiefer und bis auf den Grund seiner Seele alles, was die Verachtung Demütigendes, die Verhöhnung Bitteres, die Schmähung Beleidigendes, unwürdige Behandlung Empörendes, die Undankbarkeit Schmerzliches hat; „er wurde von Schmach erfüllt bis zur Sättigung“ (Klgl. 3,30). Was muss er demnach in jener schrecklichen Nacht gelitten haben, und wen sollte nicht die bloße Erinnerung daran zum tiefsten Mitleid und bis zu Tränen rühren? Und Jesus schwieg und sagte kein Wort dagegen! (Vgl. Is. 50,5)
(3) Das Todesurteil war ungültig, wenn es bei Nacht gefällt war; auch durfte ein verdammendes Urteil nicht in derselben Sitzung ausgesprochen werden, in der die Verhandlung begann; daher suchten sie den Schein zu retten, indem sie am Morgen die Gerichtssitzung und das Urteil wiederholten. (Vgl. Lémann, Valeur de l`assemblée etc. 90)
(4) Bei der Burg Antonia.
(5) Das Synedrium (der Hohe Rat, Sanhedrin) erfreute sich auch unter der Römerherrschaft einer verhältnismäßig großen Selbständigkeit. Nur wenn es auf Todesstrafe erkannt hatte, musste es die Bestätigung des Urteils vom römischen Landpfleger einholen. „Der Prokurator konnte dabei nach freien Ermessen den Maßstab des jüdischen oder römischen Rechtes anlegen. Für einen speziellen Fall war den Juden das Zugeständnis gemacht, daß selbst gegen römische Bürger nach dem Maßstab des jüdischen Rechtes verfahren wurde. Wenn nämlich ein Nichtjude im Tempel zu Jerusalem die Schranke überschritt, über die hinaus nur den Juden ein weiteres Vorgehen in den inneren Vorhof gestattet war, so wurde er mit dem Tode bestraft, selbst wenn er ein Römer war. Natürlich bedurfte auch in diesem Fall das Urteil des jüdischen Gerichtes der Bestätigung durch den römischen Prokurator.“ (Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Christi II 209)
(6) Mt. 27,3-10
(7) Bei ernstem Nachdenken hätte Judas allerdings von vornherein sich überzeugen können, daß sein Verrat notwendig zum gewaltsamen Tode Jesu führen müsse. Kannte er ja doch den unversöhnlichen, blutgierigen Haß der Hohenpriester etc., in deren Hände er Jesus überliefern wollte, und hatte ja Jesus oft und bestimmt genug prophezeit, daß er sich für unser Heil dem gewaltsamen Tod nicht entziehen werde. Es erging aber dem Judas ähnlich, wie es von unseren Stammeltern an bis heute zahllosen Sündern und Verbrechern ergangen ist: Die Leidenschaft machte ihn gegen jede ruhige Erwägung und gegen die Regungen seines Gewissens blind und taub. Erst, als seine Leidenschaft befriedigt war, und er nun die schrecklichen Folgen seiner schändlichen Tat vor Augen sah, kam er wieder zur Besinnung; jetzt ließ sich sein Gewissen mit um so furchtbarerer Stimme vernehmen; der Teufel aber, der seiner Leidenschaft geschmeichelt, ihm die Sache bisher als nicht so schrecklich dargestellt, zeigte sie ihm nun in so furchtbarer Gestalt, daß er an der Gnade Gottes verzweifelte wie Kain.
(8) Diese verächtlichen, herzlosen Worte vollendeten die Verzweiflung des Judas. Gerade so sprechen die Welt und der Satan stets zu denen, die sich ihrem Dienst ergeben haben. Sie zahlen den Sündenlohn, den ihr unglückliches Opfer nicht einmal genießt, und überlassen dieses, nachdem sie es ausgenutzt, der Verzweiflung.
(9) Nach der Bemerkung des hl. Petrus (Apg. 1,18 u. 19), der sich hierbei auf das Zeugnis von ganz Jerusalem beruft, barst der Leib des Verräters mitten auseinander und fielen alle seine Eingeweide heraus.
(10) Weil das Blut des Heilandes daran klebte. Manche denken überdies an eine Beziehung auf den Selbstmord des Judas und nehmen an, daß diese Verhandlung über die Verwendung der dreißig Silberlinge erst nach dem Tode Jesu, somit auch nach dem des Judas stattgefunden habe, was nicht unwahrscheinlich ist. – Auch hier zeigt sich wieder, wie die Gottlosen manchmal in Kleinigkeiten ängstlich sind, während sie sich aus großen Sünden wenig machen. Die Pharisäer wollen das „Blutgeld“ nicht in den Tempelschatz tun, dagegen nahmen sie keinen Anstand, den Verräter zu dingen, falsche Zeugen anzunehmen und die Unschuld selbst zum Tode zu verurteilen.
(11) D. h. zunächst bis zur Zeit, da Matthäus dies schrieb.
(12) Die Weissagung steht bei Zacharias 11,12f als Parabel, in der der Messias selbst die Treulosigkeit der Juden schildert und die Geringschätzung, mit der sie ihn behandeln. Der hl. Matthäus führt die Stelle dem Sinne nach an, und zwar derart, daß die genaue Erfüllung zugleich hervor gehoben wird. Daß er Jeremias nennt, statt Zacharias, erklärt sich daraus, daß Zacharias auf Jeremias Rücksicht nimmt, und daß Jeremias (18,1-3 und 19,1 u.2) den Ort des Ackers bezeichnet, worauf es hier besonders ankommt.
(13) Wie er mir (dem Propheten) zu prophezeien aufgetragen hat.

aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. II, Neues Testament, 1910, S. 497-499

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